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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

man dagegen Blumenstengel z. B. von Hyacinthen oder Amaryllis ab und stellt sie in Wasser, so beobachtet man nach einem gewissen Zeitraum nicht allein, daß der Stengel Samen ansetzt, sondern auch vollkommen ausreift. Ja noch mehr, als Hugo Lindemuth die ihrer Blüten beraubten Blumenstengel allein in Wasser stellte, bildeten sich an der im Wasser stehenden Stengeloberfläche Zwiebelchen, aus denen sich, wenn man sie weiter kultiviert, Pflanzen entwickeln.

Worin haben nun diese auffälligen Erscheinungen ihren Grund?

Alle diese Pflanzen, von denen die Rede war, vermehren sich sowohl in der freien Natur, als auch in der Kultur durch die Neubildung von Knollen oder Zwiebeln. Sie haben sich früher einmal, das darf sicher angenommen werden, auch durch Samen vermehrt, und es steht dahin, ob Schwierigkeiten in der Befruchtung oder sonstige, nicht mehr nachweisbare Einwirkungen sie zu der Abänderung in der Art ihrer Fortpflanzung veranlaßt haben. Jedenfalls genügt ihnen aber die jetzige Art, sich zu vermehren, so vollständig, daß sie das Samentragen verlernt haben. Bei ihnen gehen die Nährstoffe, die sonst nach den Blüten wandern und zur Ernährung des reifenden Samens dienen, in die Knollen und Zwiebeln zurück und werden zur Neubildung junger derartiger Organe verwandt. Wird nun ein solcher Blumenstengel abgeschnitten, so können die in ihm enthaltenen und in dem krautigen, saftigen grünen Stengel fortdauernd neugebildeten Nährstoffe nicht mehr in die Knollen zurückwandern; verwandt müssen sie aber doch werden, und nun besinnt sich d:e Pflanze gewissermaßen auf längst vergangene Zeiten, es tritt ein Rückschlag ein, und sie kehrt zu einer Art der Fortpflanzung zurück, die sie sonst nicht mehr übt. Die Bildung der Zwiebelchen an den ihrer Blüten beraubten Blumenstengeln ist auf ähnliche Weise zu erklären.

Die geschilderten Vorgänge bilden einen Beweis für die ungeheure Zeugungskraft der Natur, für die Energie, mit der unter ungünstigen Verhältnissen die Art sich zu erhalten bestrebt ist, sie zeigen, wie auch im Notfall die Pflanzen noch Mittel und Wege für ihre Vermehrung besitzt.

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Heimstätte für weibliche Genesende: 
Gut am Gleesberg 
bei Neustädtel im Sächsischen Erzgebirge.
 

 Heimstätte für männliche Genesende:
 Rittergut Förstel bei Raschau im Sächsichen Erzgebirge
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Zwei Heimstätten für Genesende im Sächsischen Erzgebirge. (Mit Abbildungen.) Zu den schönsten Errungenschaften der Krankenpflege zählt ohne Zweifel die Gründung von Heimstätten für Genesende. Die Minderbemittelten leiden doppelt schwer unter den Nachwehen überstandener Krankheiten. In ihrem Hause finden sie nur selten reine Luft, stärkende Nahrung und zweckmäßige Pflege. An verschiedenen Orten Deutschlands wurden darum in jüngster Zeit Heimstätten errichtet, in welchen die Genesenden bis zur völligen Wiederherstellung ihrer Kräfte verbleiben können. Vor etwa zehn Jahren sind zwei solcher Anstalten im Sächsischen Erzgebirge von einem hochherzigen Leipziger Bürger gegründet worden. Dr. Willmar Schwabe erwarb zwei Güter mit ausgedehnten Wald-, Wiesen- und Feldparzellen und ließ in ihnen je eine Heimstätte errichten. Das in der Nähe der Städte Schneeberg und Neustädtel gelegene Gut am Gleesberg wurde zur Aufnahme weiblicher Genesender bestimmt, während auf dem Rittergute Förstel bei Raschau männliche Genesende Verpflegung finden sollten. Anfangs wurden die Oekonomien beider Güter an Landwirte verpachtet, die im Gutsgehöfte wohnten; seit einigen Jahren löste man aber dieses Verhältnis auf, verpachtete die Felder und Wiesen einzeln an umwohnende Landwirte, und die Heimstättenverwaltung nahm sämtliche Wohn- und Wirtschaftsgebäude in Gebrauch. Jede der beiden Heimstätten war ursprünglich für 30 Betten eingerichtet; im Laufe der Zeit erhielt aber die am Gleesberge eine wesentliche Erweiterung. Dort brannte am 9. Oktober ein Teil der Oekonomiegebäude ab, und an ihrer Stelle ließ Dr. Schwabe ein neues Gebäude errichten, das Raum für weitere 30 Betten bietet, einen Speisesaal für 70 Personen und eine entsprechend große Küche enthält.

Nach der Bestimmung des Stifters sollen die Heimstätten in erster Linie den Mitgliedern der Ortskrankenkasse für Leipzig und Umgegend dienen, aber auch die Aufnahme anderer Personen ist gestattet, wobei als Verpflegungssatz 2 Mark für den Tag festgesetzt sind. Die Leitung der Anstalt, die auch im Winter geöffnet ist, wurde den Schwestern des Albert-Zweig-Vereins zu Leipzig übertragen, während Aerzte aus den benachbarten Städten ärztlichen Beistand leisten. Im Laufe der ersten acht Jahre ihres Bestehens hat die Heimstätte am Gleesberg 2082 weibliche, die in Förstel 1716 männliche Genesende verpflegt. Die Rekonvalescenten verblieben durchschnittlich etwa vier Wochen in der Heimstätte, und die meisten kehrten, dank der sorgfältigen Pflege in der erquickenden Gebirgsluft, völlig gekräftigt und arbeitsfähig nach Hause zurück.

Die Ruine Unspunnen bei Inlerkaken. (Zu dem Bilde S. 597.) Der Eingang in das Lütschinenthal bildet gleichsam das Thor zu der Wunderwelt der eisgekrönten Bergriesen des Berner Oberlandes. Hier liegt malerisch, von Obstbäumen überschattet, das Dörfchen Wilderswyl, und über ihm thront auf einem schmalen Hügel ein altersgraues Gemäuer: die Ruine der Burg Unspunnen. Noch sind in ihr die Burgverließe erhalten, in denen einst Gefangene der Burgherren schmachteten, und der sachkundige Führer weiß dem fremden Wanderer so manche Geschichte aus der Vergangenheit des einstigen Ritterhorstes zu berichten. Einst waren die Freiherren von Oberhofen Besitzer des Schlosses Unspunnen und sie hatten nach alter Ritterart allerlei Fehden auszufechten. So gab es auch eine Todfeindschaft zwischen ihnen und dem Herzog Berchtold von Zähringen, der als Rektor von Burgund in Bern gebot. Der Name der Freiherren drohte aber zu erlöschen; Burkhard, der letzte Ritter von Unspunnen, hatte nur eine Tochter. Da ereignete sich die alte Geschichte, daß die Jungfrau die Liebe eines Ritters aus dem feindlichen Lager erwiderte. Rudolf von Wädiswyl drang in finsterer Nacht in die Burg Unspunnen ein, entführte das Mädchen und vermählte sich mit ihm in Bern. Nun entbrannte eine mehrjährige Fehde zwischen Burkhard und den Zähringern, bis eines Tages Rudolf von Wädiswyl auf der Burg Unspunnen erschien und dem ergrimmten Schwiegervater seinen Sohn vorführte. Der Anblick des Enkels rührte das Herz des alten Ritters, und er schloß Frieden mit seinen Gegnern. Zur Erinnerung an diese Versöhnung wurde im Lande alljährlich am 17. August ein Fest abgehalten, das im Laufe der Zeiten sich zu einem großen Alphirtenfeste mit Schwingen, Steinstoßen, Alphornblasen, Kuhreihen u. dergl. gestaltete. Zu seinem Schauplatz wurde die herrliche Wiese unterhalb Unspunnen gewählt. Diese Feste, die namentlich im Anfang dieses Jahrhunderts viele Zuschauer herbeilockten, trugen sehr dazu bei, die Aufmerksamkeit der Fremden auf die Naturwunder des Berner Oberlandes zu lenken.

Zu Anfang des 14. Jahrhunderts gehörte Unspunnen dem Geschlecht der Weißenburger, an welche Kaiser Heinrich VII die Landschaft Hasle verpfändete. Die Hasler empörten sich gegen die neuen Herren, welche den Zins eigenmächtig erhöhten; aber sie wurden besiegt, und in den Burgverließen von Unspunnen schmachteten fünfzig Hasler vier Jahre lang, bis sie 1334 von den Bernern befreit wurden. Seit jener Zeit verlor die Burg Unspunnen ihre Bedeutung und fiel langsam in Trümmer, gleich so vielen anderen Ritterburgen des Schweizerlandes.

Unser Bild führt die Ruine nach einer Zeichnung von J. Rummelspacher vor. Wir haben die Vorlage dem Prachtwerke „Die Jungfrau und das Berner Oberland“ von Theodor Wundt (Berlin, Raimund Mitscher) entnommen, das von der Sektion Berlin des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins herausgegeben wurde und die Beachtung aller Alpenfreunde verdient. *      

Stella Hohenfels. (Mit Bildnissen S. 611.) Im Burgtheater zu Wien findet am 8. September eine Jubiläumsfeier statt. Sie gilt der Schauspielerin Stella Hohenfels, die nunmehr auf eine fünfundzwanzigjährige Thätigkeit an dieser berühmten deutschen Bühne zurückblickt und in dieser langen Spanne Zeit durch Ausdauer und ernstes Streben die Gunst des Wiener Publikums und die Anerkennung der Kritik zu erringen verstand.

Die Jubilarin vertritt, um in der Theatersprache zu reden, das Fach der „Naiven“, dem sie aber in eigenartiger Weise einen weiten Umfang gegeben hat. Ihr Repertoire umfaßt nicht allein die naiven Gestalten in engerem Sinne, die spröden Backfischfiguren des älteren Lustspiels, die knabenhaften Mädchenrollen wie z. B. die der Parthenia im „Sohn der Wildnis“ von Halm oder des Junker Georg im „Götz von Berlichingen“. Ihre Kunst geht über diese Grenzen hinaus und erstreckt sich überhaupt auf die Darstellung von Frauengestalten, die bei aller Wärme und Innigkeit der Empfindung nicht gerade einen tragisch-heroischen Zug, wie z. B. eine Medea oder Judith, aufweisen. So hat Stella Hohenfels in der Vorführung der Cordelia und Ophelia Shakespeares sich hervorgethan, die reife Jdealgestalt der Leonore von Este in „Torquato Tasso“ und die Esther in Grillparzers gleichnamigem Fragment mit tiefem Verständnis wiedergegeben und als Darstellerin der Phöbe, der Gattin des „Meisters von Palmyra“, in Adolf Wilbrandts Dichtung einen glänzenden Erfolg errungen. Die Künstlerin besitzt die Gabe, die Einfalt des Naturkindes lebenswahr vorzutäuschen und auch den Seelenkampf einer Frau aus der verfeinertsten Gesellschaft zum wirksamen Ausdruck zu bringen. Mitunter gelingt es ihr auch, ihre Rollen zu „adeln“, indem sie derbere Gestalten wie z. B. den Puck im „Sommernachtstraum“ mit schelmischer Anmut umkleidet.

Trotz ihrer vielseitigen Begabung konnte Stella Hobenfels nur langsam in die erste Reihe der Schauspielerinnen des Burgtheaters

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0610.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2022)