Seite:Die Gartenlaube (1898) 0595.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

graues Schnurrbärtchen sich emporsträubte, und antwortete auf keine meiner gutgemeinten Fragen.

Ich zweifelte nicht mehr, daß ich es mit einem Idioten zu thun hatte, den die Gemeinde von Dausenau hier an der Landstraße seinen Unterhalt erbetteln ließ.

Also ließ ich ihn, wo er war, und langte bald an dem alten Stadtthor an, dessen festes Mauerwerk dafür zeugte, daß vor Jahrhunderten dies kleine Stadtwesen darauf bedacht gewesen war, sich etwaiger räuberischer Ueberfälle kräftig zu erwehren.

Hiervon war freilich in den verwahrlosten, schlechtgepflasterten Gassen nichts mehr zu spüren. Die Einwohner schienen, nach allerlei Ackergerät, das herumlag, zu schließen, sich durch eine bescheidene Feld- und Wiesenwirtschaft zu ernähren, vielleicht durch die Bearbeitung einiger Weinberge, die zwischen den Felsen auf sonnigen Abhängen liegen mochten. Heute, am Sonntag, saßen sie vor ihren Häusern, nicht eben in den zierlichsten Feierkleidern, die Männer standen, kurze Pfeifen rauchend, in kleinen Gruppen plaudernd bei einander, auf einem etwas freieren Platze fand ein richtiger Hahnenkampf statt, dem eine lachende und hetzende Schar von Weibern und Kindern zuschaute. So war das kleine Nest bald durchwandert, und einigermaßen enttäuscht schlenderte ich unten auf dem schmalen Uferweg zurück um das Städtchen herum, das sich von hier aus freilich malerischer ausnahm. Der Gang hatte mich durstig gemacht, und ich wandte mich, die Böschung wieder ersteigend, einem Wirtsgärtchen dicht vor dem Thore zu, wo ich an sauberen Tischen unter jungen Bäumen allerlei Sonntagsgäste hatte sitzen sehen. An einem der wenigen noch unbesetzten nahm ich Platz und ließ mir ein Schöppchen von dem leichten Landwein bringen, an dem auch die meisten der anderen Gäste sich gütlich thaten.

Er hatte freilich so wenig Feuer, daß mich’s nicht wundern konnte, wenn er den guten Leuten nicht ins Blut ging und ihnen die Zungen löste. Von dem raschen rheinischen Temperament, dem „das Leben so lustig eingeht“, hatte ich in diesem Seitenthal überhaupt nichts wahrnehmen können. Das schien in der schwülen Luft zwischen den dichten Waldhöhen nicht zu gedeihen. Es war mir aufgefallen, daß auch die Brunnennymphen, die den Kurgästen die Becher füllen, fast alle ein bleiches, blutarmes Ansehen haben und zu einem mutwilligen Verkehr mit den Fremden nicht aufgelegt scheinen.

So auch die beiden Mädchen, die an einem Tische in meiner Nähe beisammensaßen und zu ihrer Tasse Kaffee ein Stück Topfkuchen zerkrümelten. Ich sah nur von der einen das volle Gesicht, ein Paar munterer schwarzer Augen unter einem schwarzen Strohhut mit einem riesigen Mohnblumenstrauß, ein etwas stumpfes Näschen und einen großen lachenden Mund mit blanken Zähnen. Während sie mit sichtbarem Behagen die kleinen Bissen des süßen Gebäcks verspeiste, hörte sie doch keinen Augenblick auf, in ihre Gesellin hineinzureden, so leise jedoch, daß ich nicht ein einziges Wort verstand, bis auf den Namen Lischen, den sie beständig einstreute. Sie trug ein geblümtes helles Kattunkleid, das ihre runde kleine Figur vorteilhaft zur Geltung brachte. Ich grübelte darüber nach, wo ich das Mädchen schon gesehen haben mochte. Zuletzt fiel mir ein, daß es in der Trinkhalle gewesen war, wo sie aber als Quellnymphe in der schwarzen Uniform mit dem weißen Schürzchen und in der Einförmigkeit ihrer Beschäftigung sich nicht so hübsch und lustig ausnahm.

Ein wenig blutarm erschienen ihre vollen Wangen auch jetzt in der freien Luft. Doch nicht so sehr wie die ihrer Freundin, die mir nur das feine Profil zukehrte.

Ein merkwürdiges Gesicht, wachsbleich und so regungslos wie ein gemaltes Heiligenbildnis, an das auch die wie im halben Traum gesenkten Augen erinnerten. Auch sie trug einen schwarzen Strohhut, doch nur mit einigen malvenfarbenen Schleifen aufgesteckt. Unter dem schmalen Rande fielen schlichte braune Haare, kurzabgeschnitten, bis auf den hohen Rand ihres Kattunkleides herab, aus dem ein schmaler weißer Leinwandkragen hervorsah. Alles verriet, daß das blasse Wesen auf seine Erscheinung nicht den geringsten Wert legte.

Auch dies Gesicht mußte mir schon irgendwo begegnet sein. Richtig! Am frühesten Morgen, wenn die Kurkapelle den Choral anstimmte, mit dem die Morgenmusik regelmäßig begann, hatte ich auf einer der Bänke, nahe bei dem Pavillon, in dem die Musiker saßen, immer an demselben Platz ein Mädchen bemerkt, das unverwandt zu dem Orchester hinstarrte. Ja, es war mir aufgefallen, daß ihr Blick sich stets auf einen der Spieler heftete, einen großen, breitschultrigen, sorgfältig geschniegelten jungen Mann, der die Bratsche spielte. Sein Gesicht mit den wasserblauen runden Augen und rosigen Backen hatte etwas von den geschminkten Wachsköpfen im Schaufenster kleiner Friseure. Wenn er pausierte, pflegte er mit einer langfingrigen weißen Hand das zarte blonde Schnurr- und Spitzbärtchen zu karessieren, oder den blanken Cylinder zu lüften und sich durch das lockige Haar zu fahren. Dabei sah er nie von dem Notenblatt weg und schien, so geckenhaft seine ganze Haltung war, von der stummen Huldigung des blassen Mädchens auf der Bank nicht die geringste Notiz zu nehmen.

War der Choral zu Ende, so erhob sich die sonderbare Schwärmerin mit einem Seufzer, ging langsam nach dem Ausgang des Kurgartens, warf von da aus noch einen Blick nach dem Pavillon zurück und verschwand in der Straße, die am Kursaal entlangführte.

Sie war offenbar nicht der Kur wegen hier, denn ich traf sie nie bei einer der Quellen, vielmehr schien sie die Tochter eines hier ansässigen Bürgers zu sein, vielleicht irgendwo in einer dienstbaren Stellung, worauf auch ihr sehr bescheidener Anzug deutete. So mochte sie nur in dieser frühesten Morgenstunde, wenn ihre Herrschaft noch schlief, einen Choral lang ihrer heimlichen Liebe nachgehen können. Obwohl sie mir aber, trotz der regelmäßigen Züge, nicht eben reizend erschien, für diesen Bratsche spielenden Adonis schien sie mir doch zu gut zu sein.

*  *  *

Ich überlegte eben, ob ich nicht meinen Platz verlassen und unter einem schicklichen Vorwande – es zog wirklich da, wo ich saß – mich dem Tisch der beiden Mädchen nähern und einen kleinen Diskurs anknüpfen sollte. Da trat ein Anderer an sie heran, ein guter Bekannter, wie es schien, da ihn die Kleinere lebhaft begrüßte und einlud, an ihrem Tische Platz zu nehmen. Die Andere aber neigte kaum merklich den Kopf, so daß ihr die braunen Haare bis an das Kinn vorfielen, stand dann sofort auf und zog ihre schwarzen Filethandschuhe an. Die Freundin sah sie mißbilligend an, wandte sich dann an den sehr verblüfft dreinschauenden jungen Mann, der ein Bürgerssohn aus einem guten Hause zu sein schien, und entschuldigte den raschen Aufbruch. Lischen habe so arg Kopfweh, sie hätten ohnedies soeben den Heimweg antreten wollen. – Ob er die Fräuleins begleiten dürfe, fragte er, immer auf das blasse, stumme Gesicht blickend. – Nein, es sei besser, sie gingen allein. Lischen könne das Sprechen im Gehen nicht vertragen. – So verneigte sich der junge Mann mit einer Beileidsmiene, stammelte einen verlegenen Wunsch „guter Besserung“ und sah, während er sich an dem leergewordenen Tische niederließ, mit schwermütigen Augen den beiden nach, die Arm in Arm das Wirtsgärtchen verließen.

Ich witterte etwas von einem kleinen Roman, dem ich gern auf die Spur gekommen wäre, bezahlte also meinen Wein und brach nach etwa fünf Minuten ebenfalls auf, entschlossen, die Freundinnen einzuholen und auf dem gemeinsamen Heimwege mich ihnen zu nähern.

Auch hatten sie noch keinen großen Vorsprung gewonnen, da sie sehr langsam gingen, die Größere wie ermüdet ihren Arm um den Nacken der Freundin gelegt, den Kopf gesenkt, jetzt aber auf die Reden der anderen allerlei erwidernd, was der Wind überm Flusse verwehte. Nur den Ton der Stimme vernahm ich, der schärfer war, als man dem feinen, blassen Munde zugetraut hätte. Sie stritten offenbar über irgend etwas, und das Heiligenbildchen brauchte seine Zunge tapfer zu seiner Verteidigung.

So waren wir ein paar hundert Schritte gegangen, ich hinter ihnen in einem Abstand, der immer kleiner wurde, als ich sie plötzlich stillstehen sah und unwillkürlich ebenfalls den Schritt anhielt. Sie hatten den blinden Bettler erreicht, und ich dachte, sie suchten nach einem Almosen in ihren Taschen, es ihm in den Hut zu werfen. Statt dessen trat die Größere dicht an ihn heran, legte die Hand auf seine beiden über dem Stock und Hutrand zusammengepreßten Hände und fing an, leise und offenbar eindringlich in ihn hineinzusprechen, während ihre sonst so lebhafte

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0595.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2022)