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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

kannte, war gerade im Zimmer des Sohnes anwesend, als ich diesem mein Anliegen vortrug. Ich that es mit einem gewissen desperaten Humor, der mich die Gegenwart des mir ziemlich fremden älteren Herrn als etwas Nebensächliches übersehen und die ganze Sache als den letzten Akt einer ausgepfiffenen Tragikomödie betrachten ließ. Aber der Vater des jungen Sportsman war ein Menschenkenner; er stellte einige Fragen an mich, die ich, in meiner verzweifelten Stimmung, mit einer geradezu waghalsigen Offenheit beantwortete, und bot mir dann kurzerhand eine Stelle in seinem Comptoir an. Ich starrte ihn an, als ob er chaldäisch mit mir redete, aber er wiederholte sein Anerbieten mit dem Zusatz: es sei freilich eine Art Experiment für uns beide, er habe den Versuch zu wagen – ich möge dasselbe thun!

So bin ich vom Rennsattel herunter, um das Kapellmeisterpult herum, auf den Comptoirstuhl hinaufgekommen, und ich mußte meinem Schöpfer danken, daß ich noch da hinaufgekommen bin. Mein Prinzipal merkte bald, daß ich viel guten Willen und ernsten Eifer, aber nicht die Spur Talent und Neigung für meinen neuen Beruf besaß. Die notwendigen Elemente, den gebräuchlichen kaufmännischen Briefstil eignete ich mir zur Not an, rechnete auch nicht zu schlecht, aber mir fehlte aller und jeder Geschäftssinn. Mein Prinzipal sah das recht gut, sah auch, daß ich mir alle Mühe gab, den alten Menschen aus- und einen neuen anzuziehen, und hatte Nachsicht mit mir. Dennoch war er gewiß seelenfroh, als ihm ein Zufall half, mich nach nahezu zwei Jahren loszuwerden. Er stand, da er ein ausgebreitetes Getreidegeschäft hatte, in Verbindung mit vielen namhaften Firmen – unter ihnen befand sich A. T. von Hofmann, Kolonie Josephsthal. Ich hatte im Auftrag meines Chefs dorthin zu schreiben und unterzeichnete daher außer mit unserer Firma auch noch mit meinem eigenen Namen. Ich war gespannt, zu sehen, ob Tante Kathis Gatte sich meiner noch erinnern und sich zu unserer Verwandtschaft bekennen würde!“

„Warum wendeten Sie sich nicht gleich an meinen Vater, als Sie in Verlegenheit waren?“ fragte Alix mit etwas unsicherer Stimme.

„Sie vergessen, daß es damals gar nicht in meiner Absicht lag, Kaufmann, Comptoirist zu werden. Irgend eine einigermaßen lohnende Beschäftigung wollte ich …. mußte ich haben, daher wandte ich mich an meine sogenannten Freunde. Ich hätte Musikkritiker, Mitarbeiter an einem guten musikalischen Blatt werden mögen, daneben ernste Studien treiben: meine Freunde versagten. Tante Kathis Gatten aber um eine Geldunterstützung, eine namhafte noch dazu, anzugehen – ihn, den ich ganz aus den Augen verloren hatte, dem ich mit meinen Anlagen und Wünschen vollkommen fremd war .…. das konnte mir wahrlich nicht in den Sinn kommen!

Aber Baron von Hofmann erinnerte sich meiner. Er schrieb an mich und an meinen Prinzipal, kurz und bündig: es würde ihn interessieren, Näheres über mich und mein Ergehen zu hören. Mich fragte er, ob mir meine Stellung zusage, und meinen Prinzipal, ob er mit mir zufrieden sei.

Ich antwortete sehr aufrichtig und bat meinen Chef, ein Gleiches zu thun, nichts zu beschönigen oder zu mildern. Ich sagte offen, meine Neigung und Begabung gehörten einzig der Musik, ich sei Buchhalter geworden, weil ich samt meinem Vater leben mußte und sich nichts anderes für mich fand. Mein Prinzipal gab mir seinen Brief an Herrn von Hofmann zu lesen. Er stellte mir als Mensch ein überaus günstiges Zeugnis aus, nannte mich einen ehrenwerten Charakter, eine energische Natur, die sich jeden Tag aufs neue zwinge, einen Beruf auszuüben, dem er noch immer als Neuling angehöre.

Es traf nach drei, vier Tagen eine Antwort ein. Ihr Herr Vater ignorierte die Künstlernatur und die Liebe zur Musik vollständig, aber er bot mir eine Buchhalterstelle bei seiner neugegründeten Dampfschneidemühle an, und zwar mit erheblich höherem Gehalt, als ich bisher bezogen hatte. Mein Chef redete mir eifrig zu, mein Vater war Feuer und Flamme für die neue Stellung …. ich selbst – nun, was nützt es, seine Empfindungen zu zerfasern? Ich kam hierher, und hier bin ich noch heute!“

„Standen Sie gut mit meinem Vater?“

„Ich muß bekennen: ich stand gar nicht mit ihm! War er enttäuscht über mich? Hatte er doch mehr und Besseres erwartet? Flößte ihm meine Erscheinung, mein Wesen keinerlei Sympathie ein? Ich sah ihn zu Anfang selten, dann immer weniger, endlich gar nicht mehr, so daß ich mir einbilden konnte, nicht mehr Herrn von Hofmann zu meinem Vorgesetzten zu haben, sondern nur noch Herrn Oberingenieur Harnack, denn nur mit diesem bekam ich es noch zu thun. Es wunderte mich übrigens nicht, von seiten meines wirklichen Prinzipals keine besondere Beachtung zu erfahren: er war ein hervorragender Geschäftsmann, ich war es nicht, er arbeitete mit Freudigkeit, ich that es, weil ich es mußte. In meinen Erholungsstunden trieb ich Musik und suchte in dieser Trost. Aber es ist ein unvernünftiger Kampf, den ich kämpfe, es ist ein aussichtsloser dazu. Wohl kann ich jetzt des Abends ein paar Stunden spielen, ich kann mir musikalische Blätter halten, ich kann, wenn ich es vor Sehnsucht nicht länger ertrage, zu einer guten Oper, zu einem Konzert oder Musikfest fahren, aber gerade weil ich mich wieder im Zusammenhang mit der Musik fühle, sehe ich mit jedem Tag deutlicher, um was ich mich gebracht habe!“

„Unwiederbringlich?“ fragte Alix eindringlich.

„Ich fürchte – ja, ich glaube es sogar zu wissen. Schon die Rücksicht auf meinen Vater –“

„Sie haben Ihren Vater bei sich?“

„Nein, er lebt in Greifswald, und ich besuche ihn dort des öftern. Wir taugen nicht mehr zum Zusammenleben, wir beiden, seit dem Verlust unseres Vermögens. Einer beobachtet heimlich den andern, bedauert und beklagt ihn, möchte ihm helfen und kann nicht – das regt und reibt auf. Auch der gute Papa, trotzdem er nicht darbt, entbehrt vieles, was ihm das Leben geschmückt und interessant gemacht hat. Mich freut es, für meinen alten Vater sorgen zu können, aber ich wünschte, es geschähe auf andere Weise und geschähe besser. Zum Schluß, Baroneß, noch ein Bekenntnis: so lange Ihr Herr Vater lebte, hatte ich weniger das Gefühl des Geduldetseins, kam auch mit Harnack besser zurecht. Er konnte nicht an mich heran, so lange der Chef da war, der einen Uebergriff auch von seinen obersten und tüchtigsten Beamten niemals geduldet hätte. Seit Herrn von Hofmanns Tode glaubt er, im sichern Gefühl seiner Unentbehrlichkeit – und ich halte ihn in der That für hervorragend tüchtig und für die Werke notwendig! – solche Vorsicht nicht mehr nötig zu haben. Er macht mir bei jeder, auch der kleinsten Gelegenheit sein hundertfaches Uebergewicht fühlbar, er spielt den Herrn, und das empört und reizt mich. Ich war früher schon zuweilen nachlässig in meiner Arbeit, unvorsichtig in meinen Aeußerungen – ich bin es in letzter Zeit mehr denn je gewesen. Ich hatte das Gefühl, va banque zu spielen. Gelebt muß werden, schon um des Vaters willen, aber hier wollte ich nicht mehr leben, so lange ein Harnack mein unmittelbarer Vorgesetzter ist! Baroneß waren so gütig, mir zu sagen, ich könnte bleiben …. ich, nachdem ich meine ganze Lebens- und Leidensgeschichte mit viel zu großer Ausführlichkeit erzählt habe, muß jetzt dennoch, mit allem Dank für die mir erwiesene Geduld und Nachsicht, nochmals sagen: ich möchte gehen! Ich bitte Baroneß dringend und inständigst, mich nicht mißzuverstehen!“

Alix sah in sein erregtes Gesicht, in diese Augen, die jedes Empfinden so treu wiederspiegelten; sie mußte fast lächeln über die Mühe, die er sich gab, sich selbst und seine Leistungen in ihren Augen herabzusetzen, nur um seinen Wunsch zu erreichen.

„Sie haben keine andere Ursache, sich von hier fortzuwünschen, als nur Herrn Ingenieur Harnack und Ihr Verhältnis zu demselben?“ fragte sie nach kurzem Ueberlegen.

Sein Gesichtsausdruck bekam etwas Unsicheres, als er, nach einer merklichen Pause, mit bedeckter Stimme antwortete: „N – – nein! Nicht – nicht – daß ich wüßte!“

„So müssen wir trachten, Ihre Stellung derartig zu gestalten, daß Sie mit dem Ingenieur nicht weiter in Berührung kommen. Sie könnten bei der Oelmühle Beschäftigung finden. Selbstverständlich wäre ich bereit, jede etwaige Gehaltsaufbesserung, die Ihnen wünschenswert sein könnte, anstandslos zu ….“

Hagedorn ließ sie nicht zu Ende reden. Mit einer energischen Handbewegung schnitt er ihr den Satz entzwei:

„Verzeihung – so dürfen Baroneß nicht sprechen! Nein, nein, ich kann nichts zurücknehmen! So gewagt es klingen mag:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 588. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0588.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2022)