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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

nächsten Tage die notwendigen Besuche bei meinen Lehrern machen, als mich ein Telegramm traf: ,Ihr Vater bedenklich erkrankt – bitte, sofort herzukommen!‘ Selbstverständlich fuhr ich Tag und Nacht, und als ich in Wien anlangte, lag mein Vater bewußtlos an schwerem Typhus danieder und erkannte mich nicht mehr. Als er endlich, nach Monaten, dem Leben wiedergegeben war, lag der kaum zweiundfünfzigjährige Mann vor mir mit silberweißen Haaren, hohläugig und entkräftet wie ein Greis, und so schwach, daß er die Hand nicht heben konnte und ich ihn füttern mußte wie ein kleines Kind.

Das blieb so nicht – gottlob! Aber über seiner Genesung war es Winter geworden, ganz Wien lag eingeschneit, und die Aerzte warteten nur ein Nachlassen des Frostes ab, um den Kranken ungesäumt wieder fortzuschicken – diesmal nach Meran! Daß ich mit ihm ging, verstand sich von selbst; er hätte jetzt die Trennung von mir gar nicht ertragen. Seine Nerven waren unglaublich geschwächt, er war reizbar, ungeduldig, die geringste Kleinigkeit regte ihn unsagbar auf, und ein unbedachtes Wort konnte ihm Thränen in die Augen treiben. Er wollte mich nicht von sich lassen – natürlich! zugleich aber quälte ihn fortwährend der Gedanke, daß ich jetzt um seinetwillen meine so heiß ersehnten musikalischen Studien nicht aufnehmen könne, daß er das Hindernis sei! Auf alle Weise suchte er mich zu entschädigen, schaffte mir ein schönes Reitpferd an, ein Fahrrad, interessante Bücher, drang darauf, daß ich Ausflüge unternahm, Bekanntschaften anknüpfte; ich hatte nur immer abzuwehren, damit mir’s nicht zu viel wurde. Zu meiner Freude erholte er sich zusehends; aber es konnte mir nicht verborgen bleiben, daß er jetzt meinen künftigen Beruf mit ängstlichen und scheelen Augen ansah, so oft ich ihn auch versicherte, wir dürften uns wegen desselben durchaus nicht trennen, ich könnte, wenn er sich das wünsche, Köln aufgeben und in Wien meine Studien betreiben. Wir gingen auch schließlich nach Wien, aber zu den erhofften Studien kam ich auch jetzt nicht.

Nicht ohne eigne Schuld! Ich hatte in Meran die Bekanntschaft von ein paar jungen Wienern gemacht, es waren zwei Brüdcr und deren nächste Freunde – lebenslustige, ein wenig übermütige, aber liebenswürdige Leute, die großes Wohlgefallen an mir fanden und mich eifrig zu sich heranzogen. Sie waren wohlhabend, die Brüder konnte man schon reich nennen, ihr Vater war ein angesehener Wiener Bankier. Alle vier aber waren sie leidenschaftliche Sportsmen, hielten sich zusammen einen Rennstall, Jockeys und Trainer, waren in London beim Derby gewesen, hatten die Rennen in Longchamps mitgemacht, sich auch in Norddeutschland umgethan und gingen ganz in diesen Dingen auf. Einmal erst wieder in Wien, wo unser Umgang selbstverständlich fortgesetzt wurde, zogen sie mich beinahe mit Gewalt in ihre Sportsinteressen hinein; sie behaupteten, ich sei ein geborener Herrenreiter, ich möge ihnen nur die Liebe thun, meinen ‚Mazeppa‘, ein famoses Halbblut, einreiten zu lassen und mich im Herbst bei den großen Rennen zu beteiligen – sie würden ohne weiteres auf mich wetten. Der Gedanke schmeichelte meiner Eitelkeit, daß sich in dieser Geschicklichkeit als Reiter das Blut meiner mütterlichen Abstammung verrate. Ich ließ mich überreden. Meine musikalischen Studien, die meine volle Hingabe erfordert hätten, vernachlässigte ich nun in unverantwortlicher Weise. Ab und zu machte ich mir deshalb Gewissensbisse, aber mein Vater, der sich sehr entzückt von meiner Sportliebhaberei zeigte, und meine neuen Freunde hatten mir so oft und so einleuchtend bewiesen: zum Musikmachen käme ich noch zeitig genug, und das Studium liefe mir ja nicht davon, daß ich mich leicht beruhigte. Kurz, ich ritt im Herbst die Rennen mit und gewann beim Herrenreiten den zweiten Preis. Ich war so allgemach, ohne mein Zuthun, in die Kreise der Wiener jeunesse dorée geraten und ließ mir’s gefallen. Man lud mich vielfach zu Abendgesellschaften; die Mär von meiner musikalischen Begabung sprach sich herum, man forderte mich auf, in Wohlthätigkeitskonzerten zu spielen, ich mußte in Privatkreisen Operetten dirigieren, Liederspiele komponieren, melodramatische Scherze begleiten – der reinste Dilettantenschwindel in voller Blüte! Ich kann auf jene Zeit in Wien nur mit Beschämung zurückblicken. Allein ich war jung, empfänglichen Gemütes, und die Versuchung war stark! Doch ich will mich nicht entschuldigen. Wollten mir Bedenken aufsteigen, so beschwichtigte ich sie damit, daß ich mir sagte, ich lebte ja jetzt meinem Vater zu Gefallen, und das sei meine Pflicht. Wirklich zeigte er sich stets heiter und zufrieden, obgleich er wahrlich auch bei meiner damaligen Lebensweise nicht viel von mir hatte. Ohne Murren gab er das Geld her, das diese repräsentative Rolle forderte, schaffte ein zweites Rassepferd und stellte einen englischen Trainer an, als die Freunde darauf drangen, und glänzte vor Stolz, als es dann im nächsten Jahr beim Hindernisrennen und beim Handicap zwei erste Preise abgab und die Sportblätter meinen sogenannten ,Ruhm‘ mit Posaunenstößen der Welt verkündigten.

Ich stand in der Blüte meiner Sportlaufbahn und in Unterhandlung wegen eines dritten Pferdes, als mein Vater eines Tages verlegen und erregt zu mir aufs Zimmer kam: ob ich die bevorstehenden großen Ausgaben, von denen ich ihm gesprochen, aus meinen Mitteln von den Preisen her bestreiten könne oder ob ich Kredit dafür hätte – der Geschäftsmann, der unser Vermögen verwalte, habe zum erstenmal die längst fälligen Zinsen nicht gezahlt und auf zwei mahnende Briefe des Vaters mit keiner Silbe geantwortet!

Mir wurde nicht sehr wohl zu Mut, als ich dies hörte; ich ließ die Fragen über meine eigenen Mittel und über meinen Kredit in der Luft schweben – sie wären nicht zu meines Vaters Zufriedenheit zu beantworten gewesen! – brach einstweilen die Unterhandlungen wegen des Pferdes ab und versprach meinem Vater, mich um die Geldangelegenheit selbst zu bekümmern.

Was ich zu hören bekam, war nicht ermutigend. Es stand schlimm mit unserem Geschäftsfreund. Um der jährlich anwachsenden Konkurrenz zu begegnen, sie noch zu überbieten, hatte er enorme Lieferungen übernommen, das Material dafür zu billig veranschlagt, die Leute zu sehr angestrengt und dabei zu schlecht besoldet, so daß sie an einem Tage samt und sonders die Arbeit niederlegten – ausstehende Forderungen konnten nicht eingetrieben werden … es war eine Krisis – – sie konnte überstanden werden, und dann würde alles gut zu machen sein … Aber die Krisis des Geschäftsfreundes ging nicht vorüber, und die Sache zog sich nicht zurecht. Der Mann that klug daran, die Briefe meines Vaters unbeantwortet zu lassen – – – was hätte er ihm schreiben sollen? Unser Vermögen steckte in seinem Geschäft – ob sich auch nur ein Teil davon würde herausziehen lassen, war mehr als zweifelhaft. Sacht fing ich an, meine Fühlhörner einzuziehen, den Trainer zu entlassen, ein Pferd zu verkaufen … Dann war mit einem Mal die Sache entschieden – ohne einen Schimmer von Hoffnung, auch nur tausend Gulden für uns aus dem allgemeinen Zusammenbruch zu retten!

Da stand ich denn nun neben dem hilflosen, in seiner Art verwöhnten, dem wirklichen Leben fremd gewordenen Vater – ich selbst zwar gesund, fast vierundzwanzig Jahre alt, aber in meiner Art, genau genommen, ebenso unbrauchbar fürs Leben wie mein guter, alter Papa. Ich war ganz bereit, für meine Thorheit zu büßen und mir’s rechtschaffen sauer werden zu lassen … aber wovon sollten wir derweil leben, wir zwei? Mit Verkaufen, mit Vermieten hatten wir’s so eine Weile hingehalten, jetzt aber schaute die nackte Not zur Thür herein …. ein höllisch unbequemer Gast für denjenigen, der ihm zum erstenmal in das höhnisch grinsende Antlitz schaut! Und dabei dem Vater, der mir, sowie ich zur Thür hereinkam, mit seinen guten, bekümmerten Augen mitleidig ins Gesicht sah, eine sorglose Miene zeigen, ihn immer wieder lachend auf die Schulter klopfen und sagen müssen: ‚Mut, Papa! Dies ist ein Uebergang – weiter nichts! In diesen Tagen muß sich etwas finden!‘ Und dieselbe sorglose Miene den guten Freunden gegenüber: nur immer unbefangen thun – nur sich um Gottes willen nichts merken lassen!

Eine furchtbare Ueberwindung hat’s mich gekostet, mich endlich meinen nächsten Freunden, denen wenigstens, die ich dafür hielt, zu offenbaren, ihnen vollen Einblick in unsere bedrängte Lage zu gewähren und ihren Rat, eventuell ihre Hilfe, in Anspruch zu nehmen. Ich machte die alte Erfahrung! Ich erhielt lebhafte Zusicherungen aufrichtiger Teilnahme, Versprechen, zu deren Erfüllung es nicht kam, schließlich begegnete ich frostigen Gesichtern. Der letzte Versuch, den ich unternahm – ohne jede Hoffnung, muß ich hinzufügen – brachte ein Resultat. Der Vater eines jungen Mannes, den ich vom Ruderklub her

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