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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

deren Vollbringen in einem so kurzen Zeitraum sich heute kaum noch begreift! Welche hingebende Arbeit des einen Mannes, der die Siege des preußischen Heeres von 1866, die Triumphe des deutschen Volks in Waffen über Frankreich zur Grundlage der Wiedererrichtung des Deutschen Reiches machte, drängt sich allein in die Hälfte dieser Zeit zusammen! Welche Hingabe des ganzen Mannes forderte dieses Werk! Es gehört denn auch zu Bismarcks charakteristischen Eigenschaften, daß er das, was er that, stets mit ganzer Seele that und vollständig darin aufging. Bezeichnend hierfür ist eine Aeußerung, die er in späteren Jahren einmal im vertrauten Gespräch that. Als er sich im Laufe desselben einen alten Mann nannte und die Fürstin darauf einwandte: „Du bist aber doch erst 63 Jahre,“ da erwiderte er: „Ja, aber ich habe immer schnell und bar gelebt.“ Dann setzte er, zu einem Dritten gewendet, hinzu: „Bar – das heißt, ich bin immer ganz bei der Sache gewesen, mit meinem vollen Wesen – was erreicht wurde, ich habe dafür bezahlt mit meinen Kräften und meiner Gesundheit.“

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Das Schloß Varzin, vom Park aus gesehen.

Zunächst war es ihm auch keineswegs leicht gemacht, seine Kräfte frei zu entfalten, und es fiel ihm schwer, sich in die Regelmäßigkeit eines ununterbrochenen Bureaudienstes zu finden. Kein Wunder, wenn in seinen Briefen mitunter recht bittere Aeußerungen fallen über das „Sträflingsleben“, das er in Berlin führen müsse, über das „Tretrad“, zu dem er verurteilt sei und auf dem er sich vorkomme wie der müde Gaul, der es unter sich fortschiebe, ohne von der Stelle zu gelangen. Selbst wenn er zur Kur in einem Bade weilte oder seinen König nach einem solchen begleitete, erquickte ihn wohl die herrliche Natur, aber die Geschäfte ließen ihn nicht los. „Ich habe eine rechte Sehnsucht, einmal einen faulen Tag in Eurer Mitte zu verleben,“ schreibt er am 28. August 1863 von Baden aus an seine Gemahlin; „hier werde ich auch bei dem reizendsten Wetter die Tinte nicht von den Fingern los. Gestern bin ich bei wundervollem Mondschein bis Mitternacht in den Feldern spazieren gegangen, kann aber doch die Geschäfte nicht aus dem Kopf loswerden … Ich wollte, irgend eine Intrigue setzte ein anderes Ministerium durch, daß ich mit Ehren diesem ununterbrochenen Tintenstrom den Rücken drehen und still auf dem Lande leben könnte; die Ruhelosigkeit der Existenz ist unerträglich, seit zehn Wochen im Wirtshaus Schreiberdienste und in Berlin wieder; es ist kein Leben für einen rechtschaffenen Landedelmann und ich sehe einen Wohlthäter in jedem, der mich zu stürzen sucht.“

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Das Bismarckmuseum in Schönhausen.
Nach einer Photographie von Ad. Ludwig in Stendal.

Und wie damals in Baden, so ging es ihm überall, in Gastein, Karlsbad und Kissingen, in Varzin und Friedrichsruh. Immer verfolgte ihn die hohe Politik bis hinein in die Idylle seiner sommerlichen Landaufenthalte. In manchen Stunden überschlich den sonst so eisernen Mann eine tiefe Wehmut, ein fast verzweifelter Weltschmerz. Als er auf der Höhe seiner Erfolge stand, beklagte er einmal einem Vertrauten gegenüber, daß er von seiner politischen Thätigkeit wenig Freude und Befriedigung gehabt. Niemand liebe ihn deshalb, er habe damit niemand glücklich gemacht, sich selbst nicht, seine Familie nicht, auch andere nicht. Und auf den Widerspruch der Anwesenden fuhr er fort: „Wohl aber viele unglücklich. Ohne mich hätte es drei große Kriege nicht gegeben, wären achtzigtausend Menschen nicht umgekommen, und Eltern, Brüder, Schwestern, Witwen trauerten nicht.“ – „Und Liebsten,“ sagte jemand. – „Und Liebsten,“ wiederholte er. „Das habe ich indessen mit Gott abgemacht. Aber Freude habe ich wenig oder gar keine gehabt von allem, was ich gethan habe, dagegen viel Verdruß, Sorge und Mühe.“ Welche Güter er seinem Volke mit „solchen Opfern, heilig großen“ erkauft, das versank in diesen Stunden der Bitterkeit vor seinem inneren Auge in dunkle Tiefe. – Die Sehnsucht nach einem geordneten freien Leben als Landedelmann hat ihn denn auch niemals, so lange er im Amt war, verlassen, auch nicht in der Zeit seiner größten ruhmgekrönten Erfolge. So oft es nur irgend ging, zog er sich in der Sommerzeit auf das Land zurück, wohin

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0566.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2019)