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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

müde und erschöpft, daß die trübsten Gedanken durch seine Seele zogen. „Ich bin seit meiner Krankheit geistig so matt geworden, daß mir die Spannkraft für bewegte Verhältnisse verloren gegangen ist,“ schreibt er im Anfang des Jahres 1862 an seine Schwester. „Vor drei Jahren hätte ich noch einen brauchbaren Minister abgegeben, jetzt komme ich mir in Gedanken vor wie ein kranker Kunstreiter. Einige Jahre muß ich noch im Dienst bleiben, wenn ich’s erlebe. In drei Jahren wird Kniephof pachtlos, in vier Schönhausen; bis dahin weiß ich nicht recht, wo ich wohnen sollte, wenn ich den Abschied nähme. Das jetzige Revirement der Posten läßt mich kalt, ich habe eine abergläubische Furcht, einen Wunsch deshalb auszusprechen und ihn später erfahrungsmäßig zu bereuen. Ich würde ohne Kummer und ohne Freude nach Paris, London gehen, hier bleiben, wie es Gott und Sr. Majestät gefällt, der Kohl wird weder für unsere Politik noch für mich fetter, wenn das eine oder das andere geschieht.“

Auch äußerlich war er schon recht verändert. Das einst reiche Haar war dünn geworden und ließ die Stirn mächtig hervortreten, die Züge hatten eine Schärfe angenommen, die ihn älter erscheinen ließ als er war. Doch der Glanz des Auges und die feste aufrechte Haltung waren ihm geblieben.

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Das Schloß zu Friedrichsruh von der Park- und der Straßenseite.
Nach einer Photographie im Verlag von Strumper & Co. in Hamburg.

Seine endgültige Ernennung zum preußischen Gesandten in Paris (Mai 1862) machte den Tagen des Schwankens und der Unklarheit noch immer kein Ende. Schon als Prinzregent hatte König Wilhelm, der am 2. Januar 1861 zur Regierung gelangt war, Bismarck ins Auge gefaßt als den berufenen Vollstrecker seines Wunsches, der preußischen Politik durch eine Steigerung der Wehrhaftigkeit des Staats eine festere Stütze zu geben. Bereits im März 1862, nach dem Rücktritt des Ministeriums Auerswald-Schwerin, welches die Heeresreform des Königs diesem zu matt vertrat, schien Bismarcks Ernennung zum Ministerpräsidenten beschlossene Sache. Aber angesichts der Unpopularität des als „Junker“ verschrieenen Diplomaten zauderte der König noch. Er sandte ihn als Gesandten nach Paris mit der Aufgabe, zu sondieren, wie Kaiser Napoleon der von Preußen geplanten energischen deutschen Politik gegenüber sich stellen werde. Erst als auch das Ministerium Hohenlohe sich unfähig zeigte, den wegen der Forderungen für die Heeresreform zum Ausbruch gelangten Konflikt mit der preußischen Volksvertretung auf gütlichem Weg auszugleichen, entschloß sich der König, schon jetzt die Durchführung seiner Pläne dem energischen Geiste Bismarcks anzuvertrauen. Am 15. September 1862 – Bismarck befand sich eben in Montpellier – erfolgte seine telegraphische Berufung nach Berlin, am 23. September seine Ernennung zum Staatsminister und interimistischen Vorsitzenden des Staatsministeriums, am 8. Oktober endlich diejenige zum Präsidenten des Staatsministeriums und Minister der Auswärtigen Angelegenheiten. Wie wenig die Nachwirkungen der Krankheit die gewaltige Kraft seines innersten Wesens erschüttert hatten, bewies sogleich sein erstes Auftreten. „Soll es sein, dann voran!“ schrieb er an seine Gattin.


Auf der Höhe.

Mehr als je war von nun an Bismarcks Leben von seinem Berufe aufgesogen. Ist ja doch das Jahrzehnt von 1862 bis 1872 ausgefüllt von einer Stufenfolge politischer Großthaten,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 565. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0565.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2018)