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Otto von Bismarcks Lebensgang.
Mit Bildnissen und Ansichten seiner Heimstätten.

Es ist ein eigen Ding, das Privatleben eines Mannes zu schildern, dessen Geist ein Menschenalter lang die Geschicke eines Erdteils beherrschte, dessen Entschlüsse das Wohl und Wehe von Millionen bestimmten, dessen Gedanken mit Völkern und Staaten zu rechnen gewohnt waren. Alles Persönliche, was es von ihm zu sagen giebt, alle die tausendfältigen Erlebnisse in Haus und Familie, die im Leben gewöhnlicher Sterblicher die Hauptsache auszumachen pflegen, sie sinken unter dem Eindruck der geschichtlichen Größe eines solchen Mannes zu der Rolle einer fast bedeutungslosen Nebensache herab. Darin ist der große Dichter vom großen Staatsmann verschieden.

Dem Dichter, der aus sich selbst schafft, ihm werden seines eigenen Lebens Wechselfälle, sein Lieben und Hassen, sein Genießen und Entbehren, sein Hoffen und Fürchten zur Quelle, daraus er Gedanken und Gestalten schöpft. Wer diese verstehen will, thut wohl, jene zu kennen. Nicht so der Staatsmann! Er führt zwei getrennte Leben – eins des Berufs, eins des eigenen Ichs. Und wenn auch die Brandung, die den Lenker des Staatsschiffs umtost, oft ihre Wogen bis in sein Heim und sein Herz wirft – nie soll die Hand am Steuer aus dem Reiche der persönlichen Gefühle und Empfindungen ihre Befehle empfangen. Des Staatsmanns Arbeitsfeld sind nicht die Regungen der eigenen Brust – fremde, außer ihm stehende Strebungen, Forderungen, Gegensätze, das Spiel der Kräfte zwischen des eigenen Volkes Gliedern, wie zwischen den Völkern unter sich, das ist das Feld, auf dem er sich bewähren muß.

Und trotzdem haftet seines Wirkens Ursprung in seiner Persönlichkeit. Dieser auch beim großen Staatsmann in ihren reinmenschlichen Beziehungen nachzuforschen, die Entwicklung seines Charakters zu verfolgen, seine Heimat, seine Lieben, sein Gehaben im vertrauten Kreis der Seinen kennenzulernen, ist daher ein wohlbegründetes Verlangen. Da zeigt sich denn, daß ein Abglanz von der Größe, die sein öffentliches Wirken auszeichnet, auch auf die kleinen Dinge fällt, die den Inhalt seines Privatlebens bilden. Der wahrhaft große Staatsmann kann auch in seinen eigenen vier Wänden kein kleiner Durchschnittsmensch sein. Es ist nicht anders möglich, als daß die Kraft, welche den Mann zu politischen Erfolgen emporgetragen hat, sein ganzes Sein durchdringt und ihm ihren Stempel aufdrückt.


Bismarcks Vorfahren und seine erste Jugend.

Altmärker sind die Bismarcks, soweit man ihr Geschlecht zurückverfolgen kann, und ein merkwürdiges Spiel des Zufalls will es, daß die ältesten von den bekannten Ahnherren des Mannes, der mit Meisterhand des Deutschen Reiches Staatsgewand zugeschnitten hat, in gewissem Sinne zur Zunft der Gewandanfertiger gehörten. „Biscopesmark“ oder „Bischofsmark“ hieß eine alte Burg der Bischöfe von Havelberg, und von ihr hat das Geschlecht der Bismarck seinen Namen. Es behielt ihn auch, als es die Burg verlassen und in dem nahen Stendal sich angesiedelt hatte. Dort in Stendal gehörten die Bismarcks der sehr angesehenen Gilde der „Gewandschneider“ an. Wenn die Legende von der Jugend des Marschalls Derfflinger recht hätte, wonach er von der Schere sich zum Säbel geflüchtet hätte, dann würde noch ein zweiter Faden von Bismarck zur ehrsamen Schneiderzunft hinüberführen. Denn Bismarcks Großvater, Karl Alexander, war mütterlicherseits ein Urenkel von Derfflinger. Längst aber haben die Geschichtsforscher das Nähfadengewebe um die Jugend des Siegers von Fehrbellin zerstört, und auch mit jener Zugehörigkeit der Bismarcks zur Stendaler Gewandschneidergilde ist nicht gesagt, daß sie mit Nadel und Ellenmaß sich durchs Leben geschlagen hätten. Mit dem Anschluß an eine Gilde erfüllte der Bürger einer mittelalterlichen Stadt lediglich eine Form, weil eben jede Teilnahme am öffentlichen Leben nur in diesem Rahmen sich abspielen konnte. Und die alten Stendaler Bismarcks haben kräftig eingegriffen in die Geschicke ihrer Stadt. Unter den vielen Ehrenbürgerbriefen, die dem Fürsten Bismarck zu teil geworden sind, darf sich derjenige von Stendal einer besonderen geschichtlichen Begründung rühmen.

Erhebliche Verdienste um die Wittelsbacher Markgrafen in Brandenburg hatten den Bismarcks 1345 die erbliche Belehnung mit Schloß Burgstall an der damaligen Südgrenze der Altmark eingetragen. Aber zwei Jahrhunderte später, 1562, ließen sie sich, nicht eben gerne, zu einem Tausche bewegen. Die herrlichen Jagdgründe von Burgstall stachen dem Kurprinzen Hans Georg von Brandenburg in die Augen, er lag den Bismarcks stark an, sie ihm gegen irgend ein anderes Besitztum abzutreten, und nach langen widerwärtigen Verhandlungen kam es so weit, daß der ältere Stamm der Bismarcks für seinen Anteil an Burgstall die Propstei des Klosters Crevese nahm, während der jüngere sich mit Amt und Dorf Schönhausen nebst Fischbeck abfinden ließ. Aus dieser jüngeren Linie stammt unser Otto von Bismarck und in dem Schloß von Schönhausen, das unsere Abbildung S. 562 darstellt, hat er am 1. April 1815 das Licht der Welt erblickt.

Es ist ein schlichter, schwerer, viereckiger Bau, dieses Herrenhaus. Auf den Resten des früheren, die der Dreißigjährige Krieg übrig gelassen, hatte es Bismarcks Urgroßvater, August Friedrich, erbaut, die Vollendung im Jahre 1700 wird durch die Jahreszahl über dem Haupteingange bezeugt. Bis in die neueste Zeit, d. h. bis es von dem Grafen Herbert Bismarck mit seiner jungen Gemahlin bezogen wurde, war seine innere Einrichtung wenig verändert worden; im wesentlichen fand sich alles so erhalten, wie es zu Bismarcks Jugendzeit aussah. Stieg man von der Flurhalle die Treppe hinan, so trat man zunächst in den verhältnismäßig niedrig erscheinenden schlichten Eßsaal; aus ihm führte eine Thür zur Rechten in das trauliche Wohnzimmer, welches die untenstehende Abbildung S. 560 darstellt. Bilder und Lithographien aus der Zeit Friedrich Wilhelms III schmückten die Wände, über dem Kamin prangte, in Stuck eingelegt, eine antike Frauenschönheit; das Hauptstück in diesem Raume aber war ein großes Bildnis von Bismarcks Mutter, Luise Wilhelmine von Bismarck, geborenen Menken. „Geistvoll, fast herrschend,“ so schildert Hesekiel dieses Bild, „blicken die Augen unter der klaren Stirn; es ist etwas Strenges in dem Umriß des Gesichtes, aber der Mund ist so überaus lieblich, daß das Ganze ein Bild hohen Geistes und edelster Weiblichkeit giebt.“ Und diese äußeren Züge stimmen mit dem, was wir sonst von Bismarcks Mutter erfahren. Die bürgerliche Tochter des preußischen Kabinettsrats Menken, welche Karl Wilhelm Ferdinand von Bismarck 1806 nicht ohne Anstoß bei den Freunden und Verwandten in sein Haus einführte, besaß einen mächtig strebenden Geist, einen seltenen Verstand, verbunden mit feinem weiblichen Takt und ungewöhnlicher Schönheit.

An jenes Wohngemach stieß unmittelbar das Schlafzimmer mit einem Alkoven, dessen geöffneter Vorhang auf unserem obenstehenden Bilde S. 560 eine Bettstelle sehen läßt. Ernste und fröhliche Erinnerungen knüpfen sich an diesen kleinen Raum. In dem Bette starb am 22. November 1845 der alte Karl Wilhelm Ferdinand, in dem Alkoven aber hatte auch die Wiege seines Otto gestanden, wie wohl ebenso die der älteren Geschwister desselben, von denen freilich nur eins, der erst im Sommer des Jahres 1893 verstorbene Geheime Regierungsrat und Kammerherr Bernhard von Bismarck-Külz, ein höheres Alter erreichte, während zwei andere, ein Bruder und eine Schwester, in jugendlichem Alter

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