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Gegenwart der Majorin und von Françoise an, Sie hätten mir noch eine geschäftliche Mitteilung zu machen – – oder vielmehr einen Vorschlag zu unterbreiten? Jawohl – das war es! So drückten Sie sich aus!“

„In der That!“ Es schien Cecil unangenehm zu sein, daß sie ihn erinnerte und dadurch zum Bleiben zwang; er setzte sich mit sichtlichem Zögern nieder, griff ein elfenbeinernes Papiermesser vom Schreibtisch auf und schob es langsam auf seiner linken Handfläche hin und her, welch interessante Beschäftigung ihn dermaßen fesselte, daß er kein Auge davon abwendete und daher Alix beharrlich nicht ansah.

„Sie haben recht, es war so! – Wissen Sie, daß hier in der Kolonie Josephsthal ein ziemlich naher Verwandter von Ihnen lebt?“

„Ein ziemlich naher Verwandter? Und das erfahre ich jetzt erst? Ah – ich erinnere mich! Doktor Ueberweg erwähnte eines solchen kurz nach meiner Ankunft, doch wurden wir damals unterbrochen. Und dann starb Papa. Heißt dieser Verwandte nicht Hagedorn und war seine Mutter nicht eine geborene Gräfin Holsten-Delmsbruck, ebenso wie Ihre Mutter, Cecil, und meine?“

„Ganz richtig! Eine rechte Cousine unserer beiden Mütter.“

„Und ihr Sohn lebt hier? Merkwürdig, daß er so gänzlich verabsäumt hat, sich mir in Erinnerung zu bringen! Ich entsinne mich jetzt, er schrieb mir, nach meines Vaters Tode, aber er hätte doch wohl seine Teilnahme anders bethätigen dürfen als durch einen förmlichen Brief, der mich in dem Glauben ließ, er komme von irgendwoher, und nicht aus nächster Nähe.“

„Onkel Hofmann hat ihn vor einigen Jahren hierher genommen, da der Vater gänzlich verarmt und der Sohn sich auf raschen Broterwerb angewiesen sah. Er ist Buchhalter drüben bei der Schneidemühle, und Harnack, als Oberingenieur, hat viel mit ihm zu thun!“

„Was sagt er denn über ihn?“

„Er sagt ihm nichts besonders Gutes nach. Er sei nachlässig in der Erfüllung seiner Pflichten, nehme oft Urlaub, dehne denselben weit über Gebühr aus, komme häufig zu spät und gehe zu früh, verbringe seine Zeit mit allerlei nutzlosen Tändeleien, wisse nichts von Ernst und Wert der Arbeit. Besonderen Anstoß nimmt Harnack an der leichtfertigen Art, in welcher der junge Mann mit Aeußerungen um sich wirft, welche deutlich genug beweisen, wie ihm sein ganzer Beruf nichts als eine unbequeme Last sei, die er, je eher je lieber, von sich abschütteln würde, wenn er eben eine andere Art wüßte, seinen Lebensunterhalt zu gewinnen. Harnack sagt, erstens leide die Arbeit unter einer so sorglosen Handhabung ohne jedes System, zweitens hält er es für bedenklich, einen Menschen, der derartige Aeußerungen thut, unbekümmert darum, wer ihm gerade zuhört, inmitten eines so weitverzweigten Getriebes wirken zu lassen. Harnack meint, das könne leicht böses Blut setzen und gefährlich werden!“

„Er wünscht also, Hagedorn zu entlassen?“

„Er bat mich darum mit dem Zusatz, es sei dies schon lange sein Wunsch gewesen, er habe aber zu Ihres Vaters Lebzeiten nicht gewagt, einen Wink zu geben, da der junge Mann ein Verwandter seines Chefs gewesen sei.“

„Ich glaube nicht, daß, sobald es sich um wichtige geschäftliche Dinge handelte, irgendwelche persönlichen Rücksichten bei Papa ins Spiel kamen, und Ingenieur Harnack sollte ihn gut genug gekannt haben, um dies ebenso gut zu wissen. Meinen Sie das nicht auch?“

„Ich meine es allerdings und sagte ihm das auch, allein er meinte doch, dies sei sein Motiv gewesen!“

„Sein einziges Motiv?“

„Er hat mir kein anderes genannt!“

Alix schwieg ein Weilchen. „Sie haben doch wohl den in Rede stehenden Herrn persönlich kennen gelernt?“ fragte sie dann.

„Was man im oberflächlichsten Sinne so nennt. Ich habe ihn mehrmals gesehen und ein paar landläufige Redensarten mit ihm ausgetauscht. Beobachten konnte ich ihn nicht, auch nicht seine Leistungen kontrollieren – es fehlt mir an Zeit dazu. Das müssen wir schon Harnack überlassen.“

„Sie werden doch irgend einen persönlichen Eindruck empfangen haben! Welcher Art war der?“

„Persönliche Eindrücke pflegen mich, wie Sie Aehnliches soeben von Ihrem Vater sagten, Cousine, nie zu bestimmen. Wenn ich aber von einem solchen, natürlich rein äußerlichen, Eindruck sprechen soll, so muß ich allerdings sagen, daß er ungemein vorteilhaft gewesen ist.“

„So? – – Und nun noch zwei weitere Fragen! Erstlich: wir sind kurz vor Ostern – kann man einem angestellten Beamten so ohne weiteres kündigen?“

„Ihr Vater hat monatliche Kündigung seinerseits festgesetzt!“

„Und wie findet ein so plötzlich entlassener Mann ebenso schnell wieder eine neue Stellung?“

Cecil hob die Achseln. „Seine eigene Angelegenheit!“

„Sehr bequem gesagt für uns – weniger bequem für ihn!“ sagte Alix ernst. „Und nun meine letzte Frage: Bin ich, Alexandra von Hofmann, in letzter Instanz befugt, ich meine gesetzlich berechtigt, die Anstellung oder Entlassung eines Beamten der Josephsthaler Werke zu entscheiden?“

„Ganz gewiß sind Sie das als Ihres Vaters Universalerbin und mündig gesprochene Tochter. Eben darum ersuchte mich Oberingenieur Harnack um meine Vermittlung behufs Erlangung Ihrer Einwilligung!“

„So verweigere ich sie!“

Alix warf das rasch und lebhaft hin und sah ihrem Vetter kampfgerüstet in das immer noch gesenkte Gesicht.

„Sie werden gewiß denken,“ fuhr sie etwas bedächtiger fort, „daß dies eine Frauenlaune von mir sei und daß jetzt, da die Werke meines Vaters in meiner Hand sind, ein Regiment persönlicher Willkür in Josephsthal beginnen werde. Das soll nicht der Fall sein, ich verspreche es Ihnen. Ich habe meine Gründe, zu handeln wie ich handle. Oberingenieur Harnacks Tüchtigkeit und umfassende Kenntnisse in allen Ehren – ich glaube fest daran, weil das Urteil meines Vaters und das Ihrige mir auf diesem Gebiet maßgebend sind. Es macht mich aber stutzig, daß Herr Harnack aus Rücksicht auf einen Verwandten meines Vaters jahrelang geschwiegen haben will, während er ohne Rücksicht auf mich, die Tochter, der dieser Verwandte viel näher steht – denn er war ein Neffe meiner Mutter! – nach kaum fünf Wochen redet. Es widerstrebt mir, einen Neffen meiner Mutter, einen Mann, der jahrelang meines Vaters Brot gegessen hat, von heute auf morgen zu entlassen, vielleicht nur darum, weil er Herrn Ingenieur Harnack nicht gefällt. Verhält sich die Sache wirklich so, wie er sie darstellt, so will ich meinen Irrtum einsehen und den Buchhalter verabschieden – – bis das aber geschehen ist, bleibt Herr Hagedorn in seinem Amt!“

Cecil Whitemore hatte immer langsamer und langsamer das Papiermesser über seine linke Handfläche hingleiten lassen. Er sah seine Cousine noch immer nicht an, und, nach wie vor, schien es ihm zu eilen, von ihr fortzukommen, denn er rückte zuweilen unruhig hin und her. Zu ihren letzten Worten aber nickte er eine ganz nachdrückliche Bestätigung, stand dann auf, legte das Papiermesser auf den Tisch, schüttelte seiner Cousine die Hand, daß es sie schmerzte, und sagte nichts als die Worte: „Sie haben vollständig recht, liebe Cousine! Good bye!“ Damit war er zur Thür hinaus.

Alix war aufgestanden, als ihr Vetter ging. Sie setzte sich auch nicht wieder hin, sie war innerlich zu unruhig.

Sie hatte sich in Eifer gesprochen, dennoch war es nicht die Hagedornsche Angelegenheit gewesen, die sie so erregte. Das hatte der Brief ihres Vaters verschuldet, den sie die ganze Zeit über in der Hand gehalten, der sie dort, gleich einer Flamme, gebrannt hatte.

In seinen nachgelassenen Papieren vorgefunden – „An meine Tochter … Nach meinem Tode zu öffnen und zu lesen“ – was konnte dies Schreiben enthalten?

Sie löste mit bebender Hand das Siegel und las:

„Liebe Tochter! Für den Fall meines frühen oder unerwarteten Todes möchte ich Dir eine bestimmte Weisung erteilen. Ich habe keinen Sohn, dem ich die Kolonie Josephsthal hinterlassen könnte, ich habe nur Dich, die Du meine Universalerbin bist. Naturgemäß wirst Du wünschen, Dich zu verheiraten – ich wünsche es gleich Dir! Der Gedanke aber, irgend ein Offizier oder Feudalherr käme in den Besitz der Werke und betrachtete dieselben lediglich als unbequemen Ballast, den man gern möglichst bald loszuschlagen wünscht, dieser Gedanke bedrückt mich. Aus den von mir gegründeten Werken ist noch sehr viel zu machen,

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