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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

und von dem witzliebenden Friedrich Wilhelm IV zum Flügeladjutanten ernannt wurde. Kiolbassa aber wanderte in seinem besten Sonntagsstaat, dem langen blauen Rock mit großen Metallknöpfen und der dicken Pelzmütze, beladen mit einem Leinwandsack, in dem er vorsichtig einige große Brote, einen fetten Schinken, Würste, Käse und Buttertöpfe schleppte, nach Berlin, um als Abgeordneter an dem Verfassungswerk fleißig mitzuarbeiten. Bescheiden und bedürfnislos, mietete er in der Hauptstadt ein billiges Kämmerlein und lebte von seinen mitgebrachten Vorräten, seine Diäten als Abgeordneter sparend, da er, wie wenigstens damals vielfach behauptet wurde, seinen Wahlmännern versprochen hatte, das so zurückgelegte Geld mit ihnen brüderlich zu teilen.

Sein Umgang beschränkte sich auf einige ebenfalls auf dem Lande gewählte Kollegen von gleicher Bildung und Fähigkeit. Die Sitzungen des Landtags besuchte er mit der größten Pünktlichkeit und bemühte sich eifrig, den Verhandlungen zu folgen, was ihm bei seiner mangelhaften Kenntnis der deutschen Sprache doppelt schwer fallen mußte. Zum Glück fand er einen polnisch sprechenden Abgeordneten der linken Seite, der sich seiner freundlich annahm, ihm das gewünschte Verständnis für alle ihm dunklen Fragen beibrachte und ihn mit der freisinnigen Partei auch stimmen ließ. So geschah es, daß der würdige Kiolbassa bis zu der gewaltsamen Auflösung des konstituierenden Landtags, ohne zu wissen, was er that, seinen Sitz auf der Linken einnahm, mit ihr stimmte und für einen entschiedenen Liberalen galt. Mit dem ersparten Geld in der Tasche kehrte der würdige Abgeordnete in die Heimat zurück, wo er in einer zu diesem Zweck berufenen Versammlung seinen Rechenschaftsbericht ablegte, aber statt des erwarteten Beifalls und Triumphs nur bittere Vorwürfe, grobe Redensarten, böse Schimpfworte und sogar, wie die Fama berichtete, eine Tracht derber Schläge fand, weil er die von ihm versprochene und geforderte Teilung seiner zurückgelegten Diäten den alten Freunden und Wahlmännern des Kreises hartnäckig verweigerte. Unter solchen Verhältnissen verzichtete Kiolbassa auf jede fernere parlamentarische Thätigkeit und zog sich in die Dunkelheit des Privatlebens zurück.

So sah es im Jahre 1848 in Oberschlesien aus; die viel geschmähte und verrufene Revolution hatte jedoch trotz aller Verirrungen manche wohlthätige Veränderung herbeigeführt, gleich einem stürmischen Gewitter, das die erstickende Luft reinigt und die bösen Dünste verjagt. Die aus ihrem Schlummer aufgeschreckte Regierung bemühte sich, ihre begangenen Unterlassungssünden wieder gut zu machen; sie sorgte durch Vermehrung und Verbesserung des Schulunterrichts für die Bildung und Erziehung der Jugend und suchte durch zweckmäßige Maßregeln der Verwaltung das Volk vor fernerer Hungersnot und ihrem Gefolge von Krankheiten zu bewahren, durch eine unparteiische Rechtsprechung es vor jeder Bedrückung und Willkürherrschaft zu schützen und den Schwachen gegen die Starken beizustehen, sie suchte durch Förderung der Landeskultur und der Verkehrsmittel den Wohlstand zu heben und auch den verarmten Bauern ein besseres Los zu bereiten. Wenn auch nicht alle Wünsche erfüllt, nicht alle Forderungen befriedigt worden sind, so muß man doch den großen Fortschritt freudig anerkennen und auch für Oberschlesien eine segensreiche Zukunft erhoffen, vor allem aber darf man überzeugt sein, daß die früheren verrotteten Zustände nicht wiederkehren werden.


Blätter und Blüten.

Eine Erinnerung an Emil Rittershaus. Schon in dem Nachruf, welchen die „Gartenlaube“ Emil Rittershaus gewidmet hat (Jahrgang 1897, S. 206[WS 1], ist hervorgehoben worden, wie er nicht nur als Dichter die Freundschaft und das häusliche Glück innig zu preisen gewußt, sondern auch als Mensch in seltenem Maße Freundschaft und häusliches Glück zu pflegen verstanden hat. Gerade daher stammte die Wärme jener Gedichte, daß sie aus dem eigenen Erleben erblühten. Seine warmherzige, liebenswürdige Natur strömte ein echt rheinisches Lebensbehagen aus, das sich allen mitteilte, mit denen er sich gesellig vereinte. Seine offene Art, sich zu geben, der frische Humor, der seine Unterhaltung durchwürzte, der ideale Schwung, mit dem er für seine Gesinnungen eintrat, schufen ihm überall Freunde. Auf seinen Vortragsreisen, die ihn allwinterlich in die verschiedensten deutschen Städte führten, erschloß sich ihm gar manches Haus, dessen Schwelle er als verehrter, doch noch fremder Gast betrat, um als vertrauter Freund daraus zu scheiden. So manches poetische Albumblatt hält heute die Erinnerung an solche Stunden lebendig. Eine besonders charakteristische Probe dieser herzentsprossenen Gelegenheitspoesie wird gewiß vielen willkommen sein, denen der Dichter lieb und wert ist. Wir verdanken dieselbe einem treuen Leser der „Gartenlaube“, Herrn Albrecht Schulze in Crimmitschau, der uns die Verse mit den folgenden ansprechenden Erläuterungen übersandte: –

Genau zwei Jahre vor seinem Todestage, am 8. März 1895, hielt, auf einer Vortragsreise begriffen, Emil Rittershaus auch im Kaufmännischen Verein zu Crimmitschau einen seiner beliebten Vortrüge, und zwar den über Geibel und Freiligrath. Schon längere Zeit stand ich mit dem Dichter des Rheins und des Weins im brieflichen Verkehr. Zu Neujahr hatte er mir, mit eigenhändiger Widmung versehen, sein wohlgetroffenes Bildnis, nach der Aufnahme, wie es die „Gartenlaube“ gebracht, verehrt, und mein ganzes Haus konnte nunmehr die Zeit kaum erwarten, den Dichter bald in Person begrüßen zu können. Ich hatte vor, den berühmten Gast auch in unsern Mauern ehrenvoll zu feiern: mit Hilfe des tüchtigen Männeturngesangvereins war ein solenner Kommers in Vorbereitung, aber der Dichter erklärte mir auf meine bezügliche Andeutung brieflich, daß er in der ängstlichsten Weise Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand nehmen müsse. „Seit einigen Jahren bin ich ein herzleidender Mann, muß alljährlich für längere Zeit Bad Nauheim aufsuchen …. Nach den Vortrügen konnte ich früher Abendessen mitmachen und im fröhlichen Kreise den Becher schwingen. Jetzt bin ich genötigt, wenn ich meine Rede beendet habe, mein Schlafgemach aufzusuchen, mich ganz still zu verhalten und alles zu vermeiden, was mir die Nachtruhe stören könnte … Wollen Sie mich am Samstag, den 9. März, im Familienkreise zu einem einfachen bürgerlichen Mittagsmahl zu Gast haben, so wird es mir eine Ehre und Freude sein, in Ihrem Heim Einkehr zu halten. Einem Kommers am Abend beizuwohnen, bin ich um so weniger imstande, da ich für Oelsnitz am 10. März gleichfalls einen Vortrag zugesagt habe . . . .“ – Die Einladung, in meinem Hause Wohnung zu nehmen, lehnte Rittershaus ab. – Pünktlich, wie versprochen, stellte er sich am Tage nach dem Vortrag mittags 12 Uhr bei uns ein. Was waren das doch für köstliche unvergessene Stunden, die uns da fesselten! Das tiefe Gemüt des Poeten, das aus all seinen Dichtungen so erwärmend uns in das Herz redet, hier sprach es im Menschen, im Freund! Er wurde nicht müde des Wortes, und auch manch lustige Anekdote mengte sich in seine Erzählungen. Wie gern hätten wir jedes einzelne seiner lieben, freundlichen Worte festgehalten! – Um 5 Uhr traf aus Barmen ein Telegramm ein, das mir und meiner Familie einen herzlichen Gruß übermittelte und das mit „Möhrlein“ unterzeichnet war. „Möhrlein“? wer war das? Der Dichter klärte uns lächelnd auf. Als seine Kinder noch klein, war einstmals die Mutter infolge eines Trauerfalles in Schwarz gegangen, und das hatte eines von den Kleinen dem plötzlichen Ausruf veranlaßt: „Ach, die Mama sieht ja aus wie ein Möhrlein!“ – Die Jahre waren verrauscht, die Kinder standen längst vor eigenen Lebensaufgaben, jene Bezeichnung aber war geblieben bis zur Stunde. – Aus allen Worten leuchtete das glückliche Familienleben heraus, und wie glänzten seine Augen, als er erzählte, daß ihn jeden Tag sein geliebtes „Möhrlein“, seine Hedwig, mit einem Briefchen erfreue! – Allzu schnell war der herrliche Nachmittag vergangen, die siebente Abendstunde hatte geschlagen und Emil Rittershaus schickte sich zum Scheiden an. Da ging mir ein Wunsch durchs Herz: neben der Erinnerung an diesen köstlichen Familientag wollte ich gern auch ein geschriebenes Wort des Dichters für mein Haus behalten. Ich gab diesem Wunsche Ausdruck, und in liebenswürdiger Weise wurde er sofort erfüllt. Der Dichter bat, in meinem Arbeitszimmer ein Viertelstündchen allein und ungestört sein zu dürfen, und da schrieb er in das „Fremdenbuch“ meines Hauses die folgenden Verse:

 
„Die Welt ist groß, die Welt ist schön –
Bald prangt sie stolz mit Alpenhöhn:
Bald blitzt und schäumt des Meeres Flut,
Darauf der Sonne Flamme ruht;
Hier Eichendom, dort Palmenzelt –
Groß ist die Welt, schön ist die Welt!
Und doch – die Welt am schönsten bleibt,
Wo Liebe ihre Blüten treibt,
Wo treue Freundschaft uns begrüßt
Und manche Stunde uns versüßt,
Wo still man pflegt des Edlen Keim,
Und wo die Kunst hat ein Daheim!
So fand ich’s hier und segnend spricht
Mein Herz: des Frohsinns Sonnenlicht,
Des Glückes Glanz, des Friedens Wehn,
O mög’s hier niemals untergehn!
Stets blüh’ der Liebe Blumenstrauß! –
Gott geb’ es!
 Emil Rittershaus.“

Daß dieses Blatt für mich und meine Familie ein heiliges Andenken bleiben wird, bedarf wohl nicht der Versicherung. Noch einmal, am andern Vormittag, einem Sonntag, beehrte Rittershaus uns mit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Seitenangabe für die Halbheftausgabe.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0544.jpg&oldid=- (Version vom 25.11.2022)