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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

zieren schöne weiße Gardinen und blühende Pflanzen. Neben dem Ofen und hier und da in der Stube stehen außerordentlich schöne, mit Drechslerarbeit und schönen Blumenintarsien reich und doch äußerst vornehm gezierte Stühle, zu den schönsten gehörig, die es überhaupt giebt! Jene beiden besonders schönen Stühle mit Armlehnen und in schwungvoller Rokokoschreibschrift eingelegten Namenszügen sind die sogenannten „Brautstühle“, mit denen sich die Brautleute beschenken. Ebenso schön ist die über und über mit Intarsien geschmückte große Truhe, in der man die Kleider und Schmucksachen des Hauses verwahrt. Auch die Kissen auf Stuhl und Bank verdienen Beachtung; „Mudder“ holt noch ein paar Staatskissen hervor; einige sind aus bunten Tuchflecken in schönen geometrischen Mustern zusammengesetzt, andere weisen prächtige Blumenstickereien auf. – Eine „Bauernstube“ ist es, deren sich der reichste Hamburger Handelsfürst schier nicht zu schämen brauchte, wie denn in der That in vornehmen Hamburger Häusern bisweilen eine solche alte Vierländer Stube nachgebildet ist und als gemütliche Prunkstube dient!

Das Allerbeste aber ist, daß außer Ofen und Uhrwerk (ersterer entstammt der hochentwickelten Ofentöpferei Hamburgs im 18. Jahrhundert) alles im Lande selbst von bäuerlichen Künstlern hergestellt ist! Ist es nicht erstaunlich, welch feiner Geschmack und welche Eigenart insbesondere sich in all diesen Bauernkunsterzeugnissen ausprägt? Ist es nicht bedauerlich, daß all diese Kunstfertigkeit sang- und klanglos ausstirbt?

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Vierländerinnen im Sonn- und Festtagsgewand.

Auch die Kirchen Vierlandens zeigen einen wahren Ueberfluß eigenartiger Bauernkunstwerke. Altar und Kanzel sind zwar städtische Erzeugnisse der Barock- und Empirezeit, die Kronleuchter solche der Renaissance, die Taufbecken der Gotik – alles andere aber ist echt Vierländer Eigenkunst. Die Seiten der Sitzbänke zeigen in bunter Abwechslung prächtig geschnitzte Renaissanceornamente, Intarsien im Blumengeschmack der Vierlande, Kerbschnitzereien, derbe Blumenmalereien etc. Schöne Kissen, aus Flicken zusammengesetzt oder bestickt, liegen auf den Bänken, kleine Intarsiakästchen enthalten das Gesangbuch. Auf den Rücklehnen oder Seitenwänden der Bänke erheben sich sodann ganz eigenartige, den Vierlanden, wie’s scheint, ureigene Huthalter. Sie sind aus Eisen geschmiedet, zum Teil in den Formen der Renaissance oder des Rokoko, auch des Empire, zum Teil aber zeigen sie eigenartige, auf Grundlage der Vierländer Blumen entwickelte Ornamente. Fast ausnahmslos sind sie derb bunt bemalt. Für die Emporensitze sind einfachere Huthalter an der bisweilen blau mit goldenen Sternen bemalten Decke angebracht. Besonders wenn zur Erntezeit die Kirche mit Blumen reich geschmückt ist, vereinigen sich die hohen, barocken Altäre, die biblischen Bilder an den Brüstungen der Emporen, die Kanzel, die Kronleuchter, die bunten Bänke, die originellen Huthalter zu einem höchst malerischen, farbenreichen Gesamtbilde – und dazu denke man sich die Kirche gefüllt mit Vierländern in ihrer eigenartigen Tracht. Unser unteres Bild S. 530 zeigt das prächtige Innere der Kirche in Altengamme.

Auch die Vierländer Tracht zeugt von der Kunstbegabung des Völkchens. Der Volksschlag ist mehr stämmig untersetzt als groß; markante Züge weisen die Gesichter der Männer auf, während unter den Mädchen oft feinere Züge zu beobachten sind. Die Sprache ist ein etwas eigen gefärbtes Plattdeutsch – man sagt sogar, die Bewohner der einzelnen Kirchspiele vermöchten sich an einzelnen Besonderheiten der Sprache zu erkennen. Die Namen erinnern vielfach an holländisch-friesische: Gesche, Wöbke, Becke, Ancke, Etsche, Mette, Barber sind Mädchenvornamen, Ties, Marten, Theis, Harmen, Hencke, Heien Männervornamen.

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Bauern im Alltags- und im Sonntagsgewand.

Die Landschaften unterscheiden sich auch etwas in der Tracht, und zwar durch Farbennuancen der Strümpfe bei den Mädchen, der Wämser bei den Männern. Namentlich die Frauentracht (s. nebenstehende Abbildung) ist jedem, der Hamburg besucht hat, bekannt: der charakteristische Strohhut mit den Windmühlenflügeln ähnelnden, schwarzen steifen Schleifen, der prächtige Miederschmuck, die kurzen, gefältelten Glockenröcke u. s. w. setzen eine der eigenartigsten deutschen Volkstrachten zusammen. Wenn man in den Vierlanden einmal Gelegenheit hat, den gesamten Schmuck und die Staatsgewänder einer alten Bäuerin zu betrachten, so muß man billig staunen über die Kostbarkeit und Schönheit der Halsketten, des Brustschmucks, der Hemdspangen, der Ringe, der Schnallen u. s. f., Arbeiten von Goldschmieden im Städtchen Bergedorf oder im Lande selbst, zumeist Silberfiligran in reizvollster Ausführung. Auch die von den Bäuerinnen selbst gefertigten Gold- oder Silberstickereien des Mieders, die Buntstickerei der Schürzen zeugen von bewunderungswürdiger Kunstfertigkeit und kräftig eigenem Geschmack des Völkchens.

Die Vierländer Männertracht (s. nebenstehende Abbildung) weist außer silbernen Knöpfen an Wams und Weste, zu denen ehedem noch silberne Hutschnallen traten, keinen Schmuck auf, sieht indes trotzdem oder gerade dadurch sehr stattlich aus.

Beachtenswert ist, daß die Vierländer, obschon sie heute mit vollen Segeln in das Fahrwasser der Nachahmung städtischen Wesens steuern, äußerst stolz auf ihre heimische Kunst sind; mit großem Behagen lauschen sie dem Lobe, das man derselben zollt.

Ich glaube kaum, daß ein Fremder, der unter sachkundiger Führung einmal einen Streifzug durch unsere Vierlande macht, es bereut, seine Zeit dem eigenartigen, schönen Ländchen gewidmet zu haben – im Gegenteil, die Erinnerung an die Schönheiten der Landschaft, an die Eigenart der künstlerischen Erzeugnisse der Bevölkerung wird eine der angenehmsten Erinnerungen an Hamburg überhaupt ausmachen! – Er wird’s dann verstehen, weshalb jeder Hamburger auf die Vierlande stolz ist!



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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0531.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2022)