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Nachwelt ihn nennen, weil er geharnischt von Kopf zu Fuß für seine Pläne eintrat, niemals abhängig von persönlichen Rücksichten, mit ehernem Schritt hindurchschreitend durch eine Welt von Hindernissen. Er war der unbestechlichste Sachwalter der großen Interessen seiner Nation. Doch er gehörte nicht zu den Fanatikern, die unbeweglich an ihren Glaubensartikeln festhalten und sich lieber unter den Trümmern begraben lassen, ehe sie auch nur einen derselben preisgeben; er hatte einen zu scharfen Blick für die wechselnde Physiognomie der Zeiten und die Nötigungen des Augenblicks; in fortwährender geistiger Arbeit begriffen, mußte er manches später unhaltbar finden, wofür er früher eingetreten war; als großer Staatsmann mußte er mit der sich stets verschiebenden Weltlage rechnen, Zugeständnisse machen nach dieser und jener Seite. Wer wollte ihn deshalb der Wandelbarkeit zeihen? Er blieb immer ein Mann aus einem Gusse, welcher wußte, was er wollte, und wollte, was er wußte, der stets zur rechten Zeit die entscheidenden Entschlüsse faßte und sie durchführte mit unerschütterlichem Mute und nie versagender Kraft.

In einer Zeit, in welcher Oesterreichs Uebermacht auf Preußen drückte und die Schmach von Olmütz auf dem Gewissen des Preußenvolkes lastete, da hatte zwar Bismarck anfangs noch in Oesterreich ein mächtiges Bollwerk gesehen gegen den Andrang des revolutionären Geistes, den er selbst in Preußen so rückhaltlos bekämpfte: aber dem Bundestagsgesandten in Frankfurt ging dort, gleichsam an der Quelle des Unheils, die Ueberzeugung auf, daß der Deutsche Bund unhaltbar sei, wenn zwei Großmächte darin um die Herrschaft kämpften. Er durchschaute das ganze Elend deutscher Kleinstaaterei und dynastischer Eifersucht, das die überlebte Verfassung des Deutschen Bundes großgezogen hatte und fortwuchern ließ, und all sein Denken und Handeln trat in den Dienst der einen Idee, Deutschland stark durch die Führung eines starken Preußens zu machen und die innere, alles Wachstum ins Große lähmende Zwietracht zwischen Preußen und Oesterreich einer offenen Auseinandersetzung entgegenzutreiben. Und dieser Gedanke erlosch nicht in ihm, als er Preußen vertrat an der Newa, an der Seine – er wuchs in ihm zugleich mit dem Weltblick, mit der Ueberschau über Europas Lage, und nach Berlin zurückgekehrt als Leiter des Kabinetts, schärfte er die Waffen zu diesem Entscheidungskampf. Im vollen Einverständnis mit König Wilhelm I half er ein schlagfertiges Heer schaffen, das in Schleswig-Holstein seine ersten Siege erfocht, und als hier die Saat der Zwietracht zwischen den beiden Großmächten in vollen Aehren aufschoß, da warf er die Lose: Krieg oder Frieden; und als der Krieg entbrannt war, leider, da die Mittelstaaten der Fahne Oesterreichs folgten, zugleich ein deutscher Bruderkrieg, der vielen Patrioten das Herz zerriß, da wurde auf dem Schlachtfelde von Königgrätz die Zukunft Deutschlands im Sinne von Preußens großem Staatsmann entschieden. Im Frieden, der daran sich schloß, wurde der deutsche Norden zum starken Bunde zusammengefaßt, dem Süden die Bahn freigegeben zum künftigen Anschlüsse, und durch weise Mäßigung gegen den Besiegten auch schon der Grund gelegt zum neuen, freien Vereine mit Oesterreich.

Der Krieg von 1866 war Bismarcks eigenster Gedanke; nur zögernd folgte sein edler Fürst; schwer wurde es ihm, die Bande der Bundesgenossenschaft zu brechen. Doch Bismarck glaubte an Preußens Stern und Deutschlands Zukunft; er wagte kühnen Wurf um hohen Einsatz. Und nun galt es noch, den Gewinn zu sichern gegen den westlichen Nachbar, der grollend neben sich eine neue Weltmacht emporgekommen sah. Als bei künstlich hervorgesuchtem Anlaß, dem Streit um Spaniens Thronfolge, dieser Groll zum Ausbruch kam, da entflammte Bismarcks zündender Geist die deutsche Volksseele zu jenen Großthaten, aus denen das neue Reich erstand. Metz und Sedan vollendeten, was bei Königgrätz begonnen war. Und als Reich und Kaisertum wiedergeboren waren im Sieg über Frankreich, da hielt er unerschütterlich daran fest, daß des Sieges Preis, die alten Reichslande, dem neuen Reiche nicht verloren gingen.

Fast zwei Jahrzehnte lang hat er seines Amtes gewaltet, als Kanzler dieses Reiches – das Schiedsrichteramt über Europas Geschicke, das einst der dritte Napoleon sich angemaßt, war in seine Hand gegeben. Auf hoher Warte stand er jetzt, ein Friedenswächter; dem nun versöhnten Oesterreich reichte er die Hand zum Bunde und im Herzen Europas schuf er einen mächtigen Widerstand gegen die von Osten oder Westen kommende Drohung; es schien, als wäre er der Mächtige, der alle Stürme zu bändigen vermöchte. Und solche Macht war ihm zu eigen, weil die Völker alle an ihn glaubten. Wie er im Innern Preußens und des Reichs gewaltet, welche Kämpfe er bestanden, bald energisch vordringend, bald nachgebend bei veränderter Weltlage, wie er sich zur Kirche, zu den politischen und wirtschaftlichen Parteien gestellt: das wird die Geschichte in ihren Büchern aufzeichnen. Immer war er ein rüstiger und unermüdlicher Kämpfer, ein Gewaltiger, dem das zündende Wort nicht versagt war, das den Gegner im Tiefsten erschüttert. Ja, seine Reden gehören zu den wichtigsten Aktenstücken der Zeitgeschichte, obgleich die Rede ihm nur Mittel zum Zweck war und er den glänzenden Aufputz verschmähte. Und wie in seinem Kopfe sich die Welt gespiegelt, das wird stets festgehalten werden von den Geschichtschreibern der Zukunft.

Es gab eine Zeit, da man beim hohen Wogenschlag der volkstümlichen Bewegung nur in den Massen die forttreibende Kraft der Geschichte sah und erklärte, daß die Zeit der großen Männer vorüber sei. Da trat Bismarck auf, und selbst seine Gegner mußten bald einräumen, daß er um Haupteslänge die Masse überragte. Auch hatte kein anderer eine so wunderbare Entwicklung durchgemacht. Der Junker, welcher die Zeitgedanken am eifrigsten bekämpft hatte, war ihr siegreichster Fahnenträger geworden. Durch diese Eigenart der Entwicklung hob er sich von allen Zeitgenossen ab und die Welt mußte den Köhlerglauben aufgeben, daß die Geschichte nur ein von Ameisenhaufen zusammengetragener Termitenbau sei und daß es für sie keine führenden Geister mehr gebe, die einen vorbedachten Bauplan schöpferisch zu gestalten wüßten.

So ist Bismarck dahingeschieden, und an seinem Sarg, den der Genius des Ruhms mit frisch grünendem Lorbeer, der Genius des Friedens mit seinem Palmzweig schmückt, trauert das Vaterland.

Der Künstler, der diese dem großen Toten gewidmeten Zeilen mit dem Werk seiner Phantasie begleitet, läßt den Dämon der Vergänglichkeit seine Waffe senken und die Göttin der Geschichte seinen Namen in jene Tafeln eintragen, welche die Thaten der großen Männer der Unsterblichkeit überliefern.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 516_h. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0516_h.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)