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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)


So geschah’s, und sie betraten zusammen das kleine leere Haus. Je näher sie ihm gekommen waren, je schweigsamer war Joseph geworden. Anfangs hatte er für jedes Hündlein, das ihn freundlich anwedelte, einen zärtlichen Dank gehabt, den Jubelschrei, mit dem ihn die Magd in der Halle empfing, hörte er nicht einmal. Er stieg langsam die Treppe hinauf, öffnete die Thür des Salons und trat ein. Elika folgte ihm. Da war alles noch wie einst, jeder Sessel auf dem alten Fleck, und auch die gewohnte Reinlichkeit herrschte. Hatte die Magd geahnt, daß Besuch kommen werde, oder hielt sie den Hausbrauch aus eigenem Antrieb aufrecht? Joseph blieb mitten im Zimmer stehen, und sah sich in dem altbekannten Raume um, den er nie ohne einen leisen Schauer des Entzückens betreten hatte. Dann setzte er sich in den Lehnsessel mit Strohgeflecht, Luisens gewohnten Platz, und strich mit beiden Händen liebkosend über die Lehnen. Ein Reflex seiner einstigen Empfindungen erhellte ihm die Seele mit wehmütigem Glanz. Elika betrachtete ihn und dachte: Ich fühle in meinem Herzen, was in dir vorgeht, und habe dich übermenschlich lieb. Er nickte ihr zu.

„Wenn sie wiederkommt,“ sprach er, „werde ich wahrscheinlich verheiratet sein. Ich werde mir eine schöne brave Frau ausgesucht haben, und werde sie lieb haben und sie mich. Aber, gute Kleine, das sag’ ich dir allein, wie ich Luise geliebt habe, werde ich keine mehr lieben. So leidenschaftlich und so ehrfurchtsvoll, mit einer so unendlichen nie erfüllbaren Sehnsucht. Du kannst das nicht begreifen, ich aber wünsche dir, daß du in deiner ersten Liebe so glücklich sein mögest, wie ich in meiner unglücklichen war. Diese Leiden tausche ich gegen keine irdische Glückseligkeit.“

„Hast recht,“ sagte sie.

„Was weißt du davon, Kleine? du weißt ja nichts.“

Sie hatte die Angen gesenkt. Sie war sehr blaß geworden. Er bemerkte es nicht in seiner Erregung:

„Bei dir wird alles anders werden. Du wirst gleich den Rechten wählen, du Weisheit. Wir, Luise und ich – ein Paar … Das wäre doch nicht möglich gewesen. Ich selbst habe das nie für möglich gehalten, und jetzt“ … Er vergrub einen Augenblick sein Gesicht in seine Hände, „jetzt hoff’ ich nur, daß sie recht glücklich werden wird mit meinem Freunde. Glaubst du, daß sie glücklich mit ihm werden wird?“

„Glücklich? Wenn sie nur weiß, daß sie sein Trost und seine Freude ist, daß er sich zu ihr rettet aus seinen Seelenkämpfen. Wenn er sie nur nie fühlen läßt: ich brauche dich nicht mehr. Ein anderes Glück erwartet sie nicht von ihm.“

„Hat sie dir das gesagt?“ fragte Joseph.

„Nein.“

„Woher weißt du’s?“

„Das errät man, Lieber.“ Sie war aufgestanden, ans Fenster getreten und blickte nach dem Walde von Valahora hinüber. Zwischen den leichtbewegten Baumwipfeln wurden die massigen Türme des Schlosses sichtbar. Joseph folgte ihr, legte beide Hände auf ihre Schultern und wendete sie sanft zu sich herüber:

„Das errät man? Kann man so etwas erraten? Ich denke, nein,“ sprach er mit aufleuchtendem Verständnis, „ich denke…“

„Denk’ nichts,“ fiel sie ihm ins Wort, „als daß du mir das Liebste bist auf der ganzen Welt.“

„Einstweilen.“ Lächelnd faßte er ihre Hände und sah ihr fest und liebreich in die klaren hellen Augen. Auch in ihnen lebte etwas von der Thatkraft und der Kühnheit, die seine Seele schwellten.

Dann verließen sie das Haus und schritten rasch im goldenen Sonnenschein dahin. Sie hatten beide die Weihe eines ersten Schmerzes empfangen, und waren mutvoll, waren stark und vor ihnen lag das rätselvolle Leben mit allen Verheißungen, die es der Jugend macht.



Blätter und Blüten



Sommernacht in Norwegen. (Zu dem Bilde S. 489.) Einen Teil des Christianiafjords zeigt uns das stimmungsvolle Landschaftsbild von Professor Hans Gude in Berlin. Tief ins südliche Norwegen hinein dringt dieser 97 km lange Fjord, an dessen innerster Ausbuchtung Christiania liegt. Seine Ufer sind von fruchtbarem Gelände umgeben, und dicht an der Flut erheben sich neben Dörfern und Städtchen schöne Landsitze, in welchen Erholungsbedürftige und Naturfreunde in stillem Frieden die langen Tage des nordischen Sommers in erquickender Luft verleben können. Wundervoll sind in diesen Gebieten die Nächte während des Hochsommers, in welchen die Dämmerung den Himmel mit ihrem Scheine erleuchtet und die Landschaft oft in wunderbare Farben taucht. Einen solchen Sommernachtsfrieden am Christianiafjord hat der Maler in seinem Bilde, das wir im Holzschnitt wiedergeben, zur Darstellung gebracht. Ausgenommen ist die Landschaft von dem steinigen Strande in der Nähe von Moß. Dort bewohnt Professor Gude alle Sommer eine kleine Villa. Er hat das Ufer mit Angehörigen seiner Familie belebt, die sich harmlos der hellen Nacht erfreuen. Seine Frau sitzt auf einem Felsblock, während eine Tochter neben dem Enkel steht, der sich die Zeit mit Krabbenfang verkürzt. *     

Zur Reisezeit. (Zu dem Bilde S. 496 und 497.) Trotz der kühnen Eroberungszüge, welche die Eisenbahn in die Welt des Hochgebirgs macht, erklingt auch heute noch auf hundert Alpenstraßen das Horn des Postillons. Eine Postfahrt über einen malerisch umrahmten Alpenpaß hat für den Reisenden, wenn das Wetter nicht gar zu schlecht und der Wagen nicht zu vollgepfropft ist, eine Fülle von Annehmlichkeit und Reiz. Der verhältnismäßig langsame Trab der Pferde ermöglicht dem Reisenden, viel mehr von der Schönheit der ihn umgebenden Welt wahrzunehmen, als es die Eisenbahnfahrt in hastigem Fluge gestattet. Zumal auf einem der Außensitze vorn beim gesprächigen „Schwager“ gewährt schon die Fahrt selbst eine Quelle fröblichen Genießens. Die Anstrengung, welche den Pferden die Bergfahrt bereitet, macht aber auch des öfteren ein Rasten vor gemütlichen Wirtshäusern nötig: die müden Gäule müssen verschnaufen, Futter und Wasser bekommen und der brave Postillon den eignen Durst stillen. Diese kurzen Unterbrechungen der Fahrt in immer neuen Orten, unter neuen Menschen sind auch für die Reisenden ein wahres Labsal. Fröhliches Leben entwickelt sich vor der gastlichen Herberge, wo Wirt und Kellnerin mit Eifer dabei sind, für Erfrischung und Unterhaltung der Gäste zu sorgen. Mit entzückten Blicken betrachtet der Naturfreund die Umgebung, die immer mehr den Charakter des Hochgebirgs annimmt. In tiefen Zügen atmet der von der Haft im Postwagen Befreite die erquicklich reine frische Luft, die von den Gletschern herniederweht.

Solch eine kurze Erholungspause von Postpassagieren in einem Hochgebirgsdorf veranschaulicht uns das Bild Blume-Sieberts mit heiterer Laune. Daß wir uns im bayrischen Hochland auf einer der Alpenstraßen befinden, die rechts und links vom Wettersteingebirg nach Tirol hineinführen, läßt uns nicht nur die schmucke Werdenfelser Tracht der flinken Kellnerin erkennen; auch die drei „halben“ Maßkrüge, die sie in der Rechten trägt, orientieren uns darüber. Der „Pfiff“ Rotwein in ihrer Linken verkündet die Nähe der tiroler Grenze. Das junge Paar, das dicht bei der Postkutsche steht und in rosigster Laune dem kleinen Dorfkind eines seiner Alpenrosensträuße abkauft, befindet sich offenbar auf der Hochzeitsreise. Es wird ihr Gepäck sein, das der „Schwager“ soeben auf dem Verdeck zu dem übrigen thut. Sie haben schöne Tage hier in der Umgebung verbracht und schließen sich nun den anderen Passagieren an, die schon von weiterher – von Garmisch oder Mittenwald – kommen. Das Fernrohr auf einem der Tische ermöglicht einem anderen Paar, die nächste Gebirgswand auf Gemsen zu inspizieren. Die im Vordergrund sitzende junge Frau, deren Kleine mit so viel Behagen die Hühner füttert, hat in ihrem Reisehandbuch vom Vorkommen der Gemsen in diesen Bergen gelesen. Auch die alleinreisende Dame hinter ihr nimmt an der Frage reges Interesse, so daß sie ihre Lieblingsbeschäftigung, auf illustrierten Postkarten ihren Namen zu verewigen, unterbricht und sich beim Wirt nach den Hochtouren erkundigt, die man von hier aus ins Gamsgebiet machen kann. Der zählt ihr natürlich mit Feuereifer alle möglichen und unmöglichen Spitzen und Joche auf, und das Erscheinen des Jager-Loisl, der eben von der Jagd heimkehrt, unterstützt seine Behauptungen von dem fabelhaften Gemsenreichtum der Gegend. Mit Interesse lauscht der Rede des Wirts der junge Stadtherr im Gebirglerkostüm, der sich eben aufs Stahlroß schwingen will – auch der Jagd gehört sein Interesse; doch aufhalten kann ihn jetzt selbst dieses verlockende Thema nicht: er hat Großes vor – die Post bis zur Endstation ihrer Fahrt um eine Stunde zu schlagen!

Eis als Transportartikel. Der letzte milde Winter hat nur vereinzelt in Deutschland sogenanntes Natureis erzeugt. Infolgedessen und da die Eismaschinen den Bedarf nicht decken können, haben sich die großen Eisverbraucher auswärts umsehen müssen: nicht weniger als 906 211 Doppelcentner Eis wurden allein im ersten Viertel des laufenden Jahres eingeführt. Der Hauptlieferant in Natureis ist Norwegen, woher etwa die Hälfte alles eingeführten Eises stammt. Ein gutes Drittel entfällt auf Oesterreich-Ungarn, dessen Hochgebirge, die Karpathen, die Tiroler, Kärntner, Salzburger Alpen, mächtige Eislager haben. Eine nicht geringe Menge Eis lieferte der 1387 m bohe Czorbasee. Das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0514.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2021)