Seite:Die Gartenlaube (1898) 0507.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Schubra sah ich, was ich mit blutendem Herzen schon in Wakefield gesehen hatte. Unser dritter Hebel brach mit einem zermalmenden Krach.

Wir hatten noch zwei Reservestücke – und den Telegraphen. Der letztere war aber ein schlechter Trost. Sechs Wochen, wenn alles gut ging, mußten vergehen, um neue stärkere Hebel von Leeds nach Schubra zu bekommen. Und ein Dampfpflug, der sechs Wochen im Felde steht, ohne sich rühren zu können, hätte damals genügt und genügte heute noch, mir das Herz zu brechen.

Im Laufe der nächsten Woche kam es fast so weit: die zwei letzten Hebel brachen. An ein Schweißen so großer Schmiedestücke war in den arabischen Schmiedefeuern Schubras nicht zu denken. Ich konnte zwar berechnen, daß nunmehr acht Stück Gibraltar erreicht haben mußten und die Hilfe mit jeder Stunde um zwölf Seemeilen näher rückte. Besser aber war, daß ich mich schon etwas zu Hause fühlte und die Anfangsgründe der Fellah-Ingenieurkunde zu erfassen begann. Das war freilich eine andere Wissenschaft als die, welche man mir am Polytechnikum zu Stuttgart beigebracht hatte.

Mein Esel war nicht ratloser als ich selbst, während wir gesenkten Hauptes am Abend nach dem Bruch des letzten Hebels nach Kairo zurückkehrten. Munter trabten wir am andern Morgen wieder ins Feld, er sichtlich entschlossen, den saftigen Bersim (ägyptischen Klee) von Schubra nicht so leichten Kaufs aufzugeben, ich gewillt, zu pflügen oder zu sterben. Nicht ohne große sprachliche Schwierigkeiten ließ ich einen zehn Fuß langen Balken holen und einen Bock zimmern, der vor die gebrochene Maschine gestellt wurde. Der Bock diente als Stützpunkt des einen Balkenendes, das andere hielten vier kräftige Fellachin. Ueber die Mitte des Balkens lief das Seil. Die Fellachin hatten nun ihr Ende des Balkens langsam zu heben und dann wieder zu senken und auf diese Weise das richtige Aufwickeln des Seils auf der Trommel zu bewirken. Nach ein paar Stunden der Uebung arbeitete die Vorrichtung vortrefflich, wenn auch begleitet von dem lauten Klagelied des Fellahquartetts, das Ermüdung und Schmerzen in den Armen besang. Alle zwei Tage sägte das Drahtseil einen Baum in Stücke. Aber ich habe wochenlang in dieser Weise dampfgepflügt und damit viele tausend Pfund Sterling der kommenden Baumwollernte gerettet.

Denn es war Saatzeit und es war das Jahr 1863. Der Krieg in den Vereinigten Staaten hatte das größte Baumwollland der Welt, das Mississippithal, geschlossen. In Lancashire standen die noch heute nicht vergessenen Schrecken der Baumwollhungerjahre vor der Thüre. Die Baumwolle galt schon damals das Doppelte des Normalpreises und sollte in zwei Jahren auf das Vier- und Fünffache steigen, so daß der Rohertrag auf gutbewässertem ägyptischen Baumwollland, wie es Schubra war, 140 Lstr., d. h. 2800 Mark für den Hektar betrug. Es war kein Wunder, daß zu jener Zeit der Vicekönig zu mir sagte, als ich ihm Stahltrommeln vorschlug, denn auch die damals gußeisernen Seiltrommeln waren anfänglich ein schwacher Punkt der Doppelmaschinenapparate: „Machen Sie Ihre Trommeln aus Gold, Herr Eyth, ich werde sie bezahlen; aber machen Sie sie so, daß man ein Jahr lang damit pflügen kann.“ – Ich reite jetzt quer über ein Feld, das wir vor einigen Tagen zum drittenmal gepflügt hatten. Die Jahreszeit für die Bodenbearbeitung durch die Fellachin mit ihren Zinken aus dem Pharaonenzeitalter ist längst vorüber. Bis Januar zerkrümelt die Erde, welche vom zurücktretenden Nil im November zum letztenmal angefeuchtet wurde, vor diesem primitiven Geräte, daß es eine Freude ist. Dann aber, unter der steigenden Sonnenhitze, wird sie hart wie Backstein. Tausend handbreite klaffende Sprünge, die sich bis in die Tiefe von einem Meter in den Boden ziehen, durchfurchen die Oberfläche nach allen Richtungen. Will der Fellah jetzt noch ein Saatbett herstellen, so kratzt er, kaum einige Centimeter tief gehend, acht bis zehnmal in die Kreuz und Quer über das Feld. Der gewöhnliche Dampfpflug bricht diesen Boden in Blöcken von der Größe eines Achtel-Kubikmeters auf, für welche Eggen und Walzen von entsprechender Wucht noch gebaut werden mußten. Vorläufig konnten auch wir nur durch ein drei- und viermaliges Pflügen und Walzen ein einigermaßen brauchbares Saatbett erzielen. Dasselbe wird sodann in Dämme von 1 bis 11/4 Metern Entfernung aufgeworfen. An der einen Seite der Dämme werden mittels eines hölzernen Dorns Löcher eingedrückt, in welche 6 bis 8 Baumwollsaatkörnchen gelegt werden. Dann wird das Feld bis zur Höhe der Dämme unter Wasser gesetzt. – Hundert lachende und singende Mädchen sind an der Arbeit des Pflanzens. Ein paar Schechs in langen Talaren, auf mannshohe Stöcke gestützt, halten Ordnung und Eifer wach, ohne die schrille Fröhlichkeit zu dämpfen, mit der eine fünfzehnjährige Vorsängerin in regelrechten Ghaselen die Baumwollkultur besingt. „Der Weg zur Buße ist offen“ und „Mögen die Gläubigen ihr Thun bereuen“ lauten abwechslungsweise die nicht sehr ermutigenden Kehrreime eines ihrer unzähligemal wiederholten Lieder.

In größerem Maßstabe wurde der Baumwollbau erst von Mohammed Ali in Aegypten wieder eingeführt. Ein Mameluck des alten Herrn, der nunmehrige Leibadjutant Halim Paschas, Rames Bey, erzählte mir, wie die Saat zu wiederholten Malen aus Nubien und Ostindien, aus Amerika und China eingeführt und eine Reihe von Versuchsfeldern unter Mohammed Alis eigener Aufsicht aufs sorgfältigste gepflanzt worden waren. Die Pflänzchen gingen lustig auf, erkrankten aber ohne Ausnahme nach einigen Wochen in unerklärlicher Weise und starben langsam ab. Der Vicekönig war wütend; aber das Klima Aegyptens, oder das Wasser, oder der Boden schienen der Baumwolle tödlich zu sein. Eines Nachts begegnete Rames Bey, der zufällig noch spät durch die Versuchsfelder ging, einem kleinen Jungen mit einem Topf Suppe. Er hielt den Knirps an: Was er hier noch mache? – Er bringe seinem Vater das Essen. – Was sein Vater mache? Er habe heute Nacht Dienst. Rames folgte nun dem Jungen und fand ein Dutzend Fellachin in den Furchen des Baumwollfeldes liegen, die mit großer Sorgfalt jedes Pflänzchen, ohne es auszureißen, ein wenig aus dem Boden zogen. Nach wenigen Tagen starben natürlich die dieser sinnreichen Behandlung wiederholt unterworfenen Sprößlinge, ohne daß jemand die Ursache ihres Siechtums ahnen konnte. Die Fellachin, welche mit großem Scharfblick viele unnötige Mühe und Arbeit durch die Baumwollkultur ins Land kommen sahen, hatten auf diese Weise versucht, dem Unheil vorzubeugen. Am folgenden Morgen trat ein ad hoc ernannter ägyptischer Ausschuß für Pflanzenschutz unter dem Vorsitz des großen Paschas selbst in Thätigkeit. Die würdigen Schechs des Dorfes wurden mit ihren eigenen Herrscherstäben bedient und ihr Organisationstalent für nächtliche Fronarbeit reichlich belohnt. Heulen und Zähneklappern herrschte vierundzwanzig Stunden lang in dem lieblichen Schubra. Die Baumwolle aber gedieh von diesem Tage an wie an wenigen Punkten der Erde. Jetzt und für die nächsten drei Jahre sollte sie das Land mit Gold überschwemmen.

Noch ehe ich das Feld erreichte, in dem der Dampfpflug arbeitete, verriet ein unruhiges Pfeifen und Signalisieren der Maschinen, daß mein Herannahen bemerkt wurde. Ich nahm dies meinen arabischen Maschinenwärtern nicht übel, die viel mit deutschen Schuljungen gemein hatten, nur daß sie etwas intelligenter dreinsahen und in der Nähe eines Stockes größere Arbeitsfreudigkeit an den Tag legten. Allerdings mußten buchstäblich an jede Stelle, die in Europa ein Mann einnahm, zwei dieser Burschen gestellt werden: einer, der die Arbeit verrichtete, der andere, der ihn kommandierte. Kopf- und Handarbeit waren streng getrennt zu halten. Dann aber ging, wenn kein Unglück über uns hereinbrach, die Sache keineswegs schlecht.

Häufig fand ich schon zu so früher Stunde Halim Pascha in Begleitung seines Adjutanten, des erwähnten Rames Bey, im Feld. Zwei originelle Figuren. Der kleine Halim, dessen zierlicher, sehniger Bau das Beduinenblut verriet, in schwarzer europäischer Kleidung, abgesehen vom dunkelroten Tarbusch und hellroten Pantoffeln, saß gewöhnlich mit den Füßen in der zuletzt geöffneten Furche auf dem Boden und spielte, dem Pflug nachblickend, mit Erdstückchen oder seiner Cigarette. Ein dunkles, scharfgeschnittenes Gesicht und schwarze, blitzende Augen paßten nicht übel zu der lebhaften, im reinsten Pariser Französisch geführten Unterhaltung, in welcher selbst Sprachwendungen des Quartier latin nicht ganz fehlten. Ernsthaft stand der riesige Tscherkesse, der seinem Herrn in echt orientalischen Abenteuern schon zweimal das Leben gerettet hatte, in prachtvoller türkischer Tracht, grün und gold, das elfenbeinerne Cigarrenetui in der

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0507.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2022)