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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Gräfin Dubsky in freundlichen Beziehungen stand. Grillparzers Urteil ist in folgendem, denkwürdigem Briefe erhalten, der hiermit zum ersten Male der Oeffentlichkeit übergeben wird:

„Gnädige Gräfin! Ich wollte, früher durch eigene Unpäßlichkeit verhindert, mir gestern die Ehre geben, Ihnen meine persönliche Aufwartung zu machen, fand Sie aber nicht zu Hause. Da ich nun für die nächsten Tage über meine Zeit nicht disponiren kann, will ich nicht säumen, schon jetzt wenigstens schriftlich meine Meinung über die Gedichte Ihrer verehrten Tochter abzugeben.

Die Gedichte zeigen unverkennbare Spuren von Talent. Ein höchst glückliches Ohr für den Vers, Gewalt des Ausdrucks, eine, vielleicht nur zu tiefe, Empfindung, Einsicht und scharfe Beurtheilungsgabe in manchen der satyrischen Gedichte bilden sich zu einer Anlage, die Interesse erweckt und deren Kultivirung zu unterlassen wohl kaum in der eigenen Willkühr der Besitzerin stehen dürfte.

Was noch fehlt ist jene Reife, die den Dichter erst zum Künstler macht, jene durchgehende Verständlichkeit, die den Gedanken ungehindert auf den Zuhörer (oder wohl gar Leser?) überträgt. Junge Frauenzimmer sind jungen Männern von gleichem Alter an Verstand und Einsicht gewöhnlich um mehrere Jahre voraus; aber eines fehlt ihnen, was uns unsere mitunter abgeschmackten methodischen Studien geben: Ordnung in den Gedanken. Daran fehlt es zum Theile diesen Gedichten, namentlich wo sie zu schildern suchen und die Empfindung der Begebenheit störend in den Weg tritt.

So viel im Allgemeinen und in Eile. Vielleicht ist es mir gegönnt Einzelnes und Näheres mündlich nachzutragen.

Hochachtungsvoll ergebenster  Grillparzer.“[1]

Nun hatte die junge Dichterin Ruhe vor jenen Spöttern, die von vornherein alle litterarische Frauenarbeit für Blaustrümpferei erklären. Aber freilich war von dieser prinzipiellen Anerkennung einer vorhandenen Begabung bis zu den ersten Erfolgen in der Oeffentlichkeit noch ein langer, weiter Weg zurückzulegen.

An ihrem achtzehnten Geburtstage, am 13. September 1848, heiratete sie den Reichsfreiherrn Moriz von Ebner-Eschenbach, einen Vetter, der gegen fünfzehn Jahre älter war als sie, den sie seit der Jugend kannte und sehr liebte. Baron Ebner war zu der Zeit noch Hauptmann in der Genietruppe und zugleich Lehrer der Physik und Mathematik an der Kadettenschule; er war ein Mann von umfassender Bildung, auch philosophisch geschult, insbesondere ein Verehrer Schopenhauers. Im Laufe seiner Dienstzeit stieg Baron Ebner zu hohen Würden empor, wurde General im Geniekomitee, wo er sich viele Verdienste erwarb; 1874 trat er mit dem Titel eines Feldzeugmeisters und „Excellenz“ in Ruhestand und begab sich auf große Reisen, die ihn unter anderm auch nach Persien führten. Er starb im 84. Lebensjahre im Februar dieses Jahres. Als die Wiener Kadettenschule nach Klosterbruck bei Znaim – wenige Jahre nach 1848 – verlegt wurde, mußte das junge Paar, das sich schon im Ebnerschen Familienhause (Rotenturmstraße 27) wohnlich eingerichtet hatte, nach Klosterbruck übersiedeln und dort ungefähr zehn Jahre bleiben, bis Baron Ebner nach Wien zurückberufen wurde.

Da die Ehe kinderlos blieb, konnte sich die junge Baronin Ebner mit rückhaltlosem Eifer ihren litterarischen Studien an der Seite ihres gelehrten Gatten widmen. Sie war immer eine Frühaufsteherin und verstand stets ihre Zeit reich auszunützen. Zu den gründlichen Kenntnissen in der Geschichte nicht bloß des österreichischen und deutschen Vaterlandes, sondern auch insbesondere in der englischen Geschichte und der französischen Revolutionsepoche, zu der großen Belesenheit, welche die Schriften unserer Dichterin ganz unauffällig verraten, dürfte der Grund schon in jenen ersten stillen Jahren ihres glücklichen Ehelebens gelegt worden sein. Viel Anregung in litterarischer Beziehung hatte sie einem Kollegen ihres Mannes in Klosterbruck zu verdanken, der sich später als Dichter einen geachteten Namen erwarb: Josef Weilen. Aber man kennt unsere Dichterin schlecht, wenn man annehmen wollte, daß sie in ihrer Bücherwelt jemals aufzugehen vermochte. So lange sie lebt, ist ihr die Gegenwart wichtiger als alle abstrakte Vergangenheit gewesen; ein thätiges Eingreifen und Wirken im Dienste der Liebe erschien ihr stets wertvoller als jedes in gewissem Sinne doch nur selbstische Wissensstreben. Immer hatte sie das Bedürfnis, mit ihrer ganzen Zeit zu leben. Die Vorgänge auf dem großen Welttheater der Politik, dem sie durch den Beruf ihres Gatten und den ihres Bruders näher als viele andere Frauen stand, verfolgte sie zeitlebens mit großer Teilnahme; aber mit keiner geringeren die Entwicklung von Kunst, Theater und Litteratur, und zwar bis auf den heutigen Tag, wie auch ihre Schriften bezeugen. Bei dem aufs große Ganze gerichteten Sinn verlor sie indes nie die Empfänglichkeit für das kleine, aber so sehr reale Leid des Einzelnen. Hatte sie nicht für eigene Kinder zu sorgen, so schaffte sie sich Sorgen für die Kinder des verwitweten Bruders und half sie halb und halb mit auferziehen; ein andermal mußte einer erkrankten Schwester oder Freundin beigesprungen werden, und an Armen und Bedürftigen aus dem Volke, die ihr Herz rührten, hat es auch nie gemangelt, weder in Zdislavic noch in Wien. Und wer die vielen Kinderscenen in Erinnerung hat, die in den Erzählungen unserer Dichterin vorkommen (die allerschönste wohl in „Nach dem Tode“), der wird sich sagen, daß diese Frau, auch ohne selbst Mutter geworden zu sein, mütterliche Erfahrungen in Fülle gewonnen haben muß. In der That ist der erhabene Trieb der Mütterlichkeit der hervorragendste Charakterzug in der ganzen Persönlichkeit Marie Ebners, und sie durfte an ihrem sechzigsten Geburtstage mit Recht in stolzem Jubel bekennen: „Die Kinderlose hat die meisten Kinder“.

Die Fünfziger- und Sechzigerjahre verflossen der Dichterin im angestrengten Bemühen um die dramatische Kunst. Wie viele dramatische Versuche im Dunkel ihrer Schubladen noch verborgen liegen mögen, wissen wir nicht; vielleicht hat sie sie alle vernichtet. Bekannt geworden sind nur drei Dramen von ihr: „Maria Stuart in Schottland“ (1860), „Marie Roland“ und „Das Waldfräulein“. Das erste und das letzte dieser Dramen wurde auch – jenes 1860 in Karlsruhe, dieses 1872 im Wiener Stadttheater – aufgeführt; aber das „Waldfräulein“ wurde nicht einmal gedruckt und ist derzeit ganz unerreichbar. Außerdem wurden kleine Einakter („Die Veilchen“ und „Doktor Ritter“) gelegentlich gespielt. Zu einem durchschlagenden Erfolg gelangte jedoch Frau von Ebner mit ihren dramatischen Versuchen nicht. Woran das lag? Ohne Zweifel hat sie dramatische Begabung. Ihre Erzählungen gliedern sich häufig genug in Akte, wie ihr Meisterwerk „Nach dem Tode“; oder sie nehmen in den ergreifendsten Scenen dramatisches Leben an, wie die herrliche Novelle „Totenwacht“ aus der letzten Zeit. Erst ganz kürzlich, am 29. April d. J., hat Frau von Ebner am Burgtheater mit dem schönen Einakter „Ohne Liebe“ einen zweifellos dauernden Erfolg errungen. Dennoch verweist ihre eigentliche Begabung sie auf die Form der Erzählung. Bis sie sich jedoch zu dieser Erkenntnis durchrang, hatte Frau von Ebner einen wahren Leidensweg durchzumachen und oft genug die Stimmung, an ihrem Erfolg zu verzweifeln. Man hört es aus ihren Dichtungen heraus, daß sie – die doch vom Schicksal in so vieler Beziehung vor vielen anderen Dichterinnen so reich begünstigt wurde – ihren Teil an Lebensprüfungen gründlich durchgekostet hat. Denn auch als sie mit ihren ersten Novellen und mit der heutzutage allgemein als einem der besten deutschen Romane anerkannten ersten größeren Erzählung „Božena“ (1876) hervortrat, blieb sie viele Jahre ohne Anerkennung, und sie mußte immer höher und höher schreiten, mit jedem neuen Werke sich selbst zu übertreffen streben, bis sie als das gewürdigt wurde, was sie in Wahrheit ist.

Erst mit dem Uebertritt in das Fach der Erzählung hatte Frau von Ebner sich selbst gefunden: das war die Form, in der sie das Leben mit jener Klarheit, jener Heiterkeit und Tiefe spiegeln konnte, die ihre Poesie auszeichnen. Sie brauchte nicht mehr in die ferne Vergangenheit zu schweifen, um brauchbare Stoffe zu finden: ihre nächste Umgebung, die Menschen in Schloß und Dorf, im slavischen Mähren und im deutschen Wien, boten ihr die Modelle; sie brauchte nur um sich zu sehen und hineinzugreifen ins volle Menschenleben, und was sie ergriff, gestaltete sich im Läuterungsfeuer ihrer Phantasie zu ewiger Poesie. Als endlich im Publikum die Erkenntnis des Wertes ihrer Kunst durchgedrungen war – meines Erinnerns waren Ausschlag gebend „Die Freiherren von Gemperlein“ und die kostbaren

  1. Das Original dieses Briefes befindet sich im „Grillparzer-Archiv“ der Wiener Stadtbibliothek, wohin ihn die Dichterin nebst einem zweiten Brief Grillparzers gestiftet hat. Beide Briefe zusammen werden demnächst in dem Jahrbuch der Grillparzer–Gesellschaft zur Veröffentlichung gelangen. D. Red. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0494.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2021)