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Nach einer Aufnahme von Gebr. Wehrli in Zürich.


Das Schweizerische Landesmuseum in Zürich.

Der 25. Juni gestaltete sich in Zürich zu einem glanzvollen Festtage. Aus allen Kantonen der Schweiz waren in den Mauern der Stadt Abordnungen erschienen, um teilzunehmen an einer bedeutungsvollen Feier. Galt es doch, das Schweizerische Landesmuseum zu eröffnen, das die ruhmreiche Vergangenheit des freien Alpenlandes in herrlichen Kunstschätzen, Erzeugnissen des Gewerbfleißes und Waffenrüstungen seiner Bewohner veranschaulicht. Bis dahin hatte die Schweiz wohl Sammlungen besessen, in welchen die geschichtlichen Denkmäler einzelner Kantone oder Gegenden pietätvoll aufbewahrt wurden, es fehlte ihr aber eine Stätte, an welcher durch wertvolle Sammlungen die kulturgeschichtliche Entwicklung des gesamten Landes klar und deutlich dem Auge des Besuchers sich darbieten konnte.

Der Gedanke, eine solche Stätte zu schaffen, war frühzeitig entstanden. Schon vor hundert Jahren, zur Zeit der „Helvetischen Republik“, plante das Direktorium die Errichtung eines schweizerischen Nationalmuseums; aber in jenen unruhigen Zeiten fehlte es an Sammlung und auch an Geldmitteln, um den Gedanken zu verwirklichen. Später kamen Jahrzehnte, in welchen das Land einen hohen wirtschaftlichen Aufschwung nahm, aber der Sinn der Bevölkerung zumeist auf nüchterne praktische Ziele gerichtet war. Erst in der Neuzeit wurde die Frage von neuem angeregt, und vor allem trat der Kunsthistoriker und Nationalrat Prof. Salomon Vögelin in zündenden Reden für die Errichtung eines Landesmuseums ein. Seine Anregung fiel diesmal auf günstigen Boden; die Bundesregierung bewilligte namhafte Mittel, hochherzige Männer waren eifrig bestrebt, im In- und Auslande wertvolle Sammlungen zu erwerben, und endlich wurde im Jahre 1890 die Frage des Ortes, an welchem das neue Museum errichtet werden sollte, endgültig entschieden. Aus dem Wettstreit der Schweizerstädte ging Zürich siegreich hervor, und im nächsten Jahre wurde der Bau begonnen. Leider war es Vögelin nicht mehr vergönnt, diesen Augenblick zu erleben, aber er fand in anderen Männern, namentlich in dem Direktor des Museums, H. Angst, würdige Nachfolger, die das große Werk mit Sachkenntnis und Umsicht der Vollendung entgegenführten.

Fünf Jahre dauerte die Herstellung des Baues, dessen Kosten sich auf zwei Millionen Franken belaufen. Er erhebt sich auf der Platzpromenade in unmittelbarer Nähe des großartigen Züricher Bahnhofes an den Ufern der rasch dahinströmenden Limmat und fesselt das Auge des Beschauers durch seine Eigenart. Der geniale Züricher Architekt Gustav Gull ließ hier anstatt eines Riesenhauses eine förmliche Burganlage erstehen, die aus einer Anzahl von Gebäuden sich zusammensetzt. Verschiedene Baustile sind zu einem harmonischen Ganzen vereinigt; denn der Gedanke war maßgebend, die Kunstschätze verschiedener Epochen in Bauten unterzubringen, die sowohl im Aeußern wie im Innern sich möglichst deren Charakter anschmiegen.

Unsere obenstehende Abbildung zeigt uns die weitläufige, mit einem geräumigen Vorhof versehene Bauanlage. Ein Thorturm überragt das Ganze. In dem kleineren Flügel, der sich rechts von ihm abzweigt, hat die Züricher Kunstgewerbeschule mit ihren reichen Sammlungen ein würdiges Heim gefunden; in dem anderen größeren Flügel mit dem wirkungsvollen gotischen Hauptbau ist das eigentliche Museum untergebracht.

Zur Feier der Eröffnung hatte sich in den Vormittagsstunden des 25.Juni eine glänzende Versammlung im Vorhof des Museums eingefunden. Mitglieder des Bundesrates und der Bundesversammlung, die Abordnungen aus allen Kantonen der Schweiz, Vertreter der Kunst, der Wissenschaft und der Bürgerschaft waren erschienen. Der Bundespräsident Eugen Ruffy und der Stadtpräsident Pestalozzi hielten Reden, worauf der riesige Schlüssel zum Landesmuseum, den zwei kleine Mädchen, Töchter des Architekten Gull, auf einem weißseidenen Kissen brachten, dem Bundesrat Lachenal, Vorsteher des Departements des Innern, übergeben wurde. Nun erschloß sich die mächtige Pforte, und die Festteilnehmer traten den ersten Rundgang durch die herrlichen Räume an.

Mehr als zwei Jahrtausende der Geschichte des Schweizerlandes überblickt hier das staunende Auge. All die alten Geräte, die Kunstschätze, die Zimmereinrichtungen, die Trachten und die Waffen gewähren uns Einblicke in das Leben und Weben, in die Mühen und Sorgen und in das kunstsinnige Streben längst verschollener Menschengeschlechter.

In den ersten Sälen, die wir betreten, fesseln Denkmäler der Vorgeschichte unsere Aufmerksamkeit. Hier sind Funde aus jener altersgrauen Zeit aufgestellt, aus der kein geschriebenes Wort, keine im Volksmund aufbewahrte Sage zu uns gedrungen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0481.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2024)