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Marine-Erinnerungen.

Von Willhelm Jordan.[1]

Als mir ein Marineamt zugefallen war, stichelte Karl Vogt „als langen Hering habe man mich reichseinmariniert“ und Detmold, der kleine Satyr der Paulskirche, fand Beifall für seinen Witz: „ich hätte meinen Beruf zur Marine frühzeitig bewährt, indem ich einen Pudel meines Vaters gerettet, als er ins Wasser gefallen“.

Im Parlament bestand in der That bedauerlicher Mangel an besser Berufenen. Von den fünfzehn durch die Abteilungen in den Flottenausschuß Gewählten waren vier mit dem Seewesen vertraut: der sogleich einstimmig zum Vorsitzenden ernannte Direktor des österreichischen Lloyd, v. Bruck, der österreichische Marine-Ingenieur Möring, ein eifriger Befürworter der jetzt für Seedampfer allgemeinen, damals nur in der Adria mit noch zweifelhaftem Erfolg versuchten Schraube, dort Propeller genannt; dann zwei Reeder aus Bremen und Ems, Gevekoht und Brons. Gleichwohl versuchten auch die meisten andern, als eine erste Umfrage gehalten wurde, ob und inwieweit sich jeder schon früher mit einschlägigen Dingen befaßt habe, sich um das Eingeständnis ihres Laientums herumzureden. Nur der preußische Artilleriemajor Teichert und ich bekannten gänzliche Unwissenheit in nautischen Fragen, er mit dem Hinzufügen, daß man seine Erfahrung im Geschützwesen vielleicht brauchbar finden werde, ich ohne Anspruch auf mildernde Umstände. Dennoch ward ich, als jüngstes Mitglied, sogleich zum Schriftführer ernannt.

Mit wenigen Kriegsfahrzeugen dritten und vierten Ranges vermochte damals Dänemark unseren Seehandel empfindlich zu schädigen, Weser und Elbe völlig zu sperren. Das fühlte die erwachte Nation als unerträgliche Schmach. Man entsann sich der einst meergewaltigen Hansa. Die Unentbehrlichkeit einer Flotte ward jedem einleuchtend. Eine solche so rasch als möglich zu schaffen, regte sich allerorten opferwilliger Eifer. Dringliche Petitionen bestürmten das Parlament. Gesammelte Gelder, Anerbietungen im Bau begriffener Kanonenboote begannen einzulaufen. Schleswig-Holstein arbeitete nicht erfolglos an der Schaffung einer eigenen Marine. Der Hamburger Flottenverein baute Kanonenboote und versuchte, zwei alte Kauffahrteischiffe in Kriegsfahrzeuge umzuwandeln und zu bestücken. Behufs Angliederung an die von Frankfurt aus zu schaffende Flotte trat man in Verbindung mit unserem Ausschuß, der schon bei seiner Einsetzung auf den Antrag Heckschers ermächtigt worden war, mit den Marinekomitees der deutschen Seehäfen direkt zu verkehren und die Materialien zur Vorlage an die Nationalversammlung vom In- und Auslande einzuholen.

Mir lag es ob, über die Einläufe zu berichten, die Antworten zur Genehmigung vorzuschlagen und nach Unterzeichnung durch unseren Präsidenten abzuschicken. In den meisten Fällen kürzte sich dies Verfahren dahin ab, daß ich nicht erst auf eine Sitzung zu warten, sondern mich nur der Zustimmung des Herrn v. Bruck zu versichern hatte. Diesen überlastete schon die Korrespondenz seines Triester Amts. Nach kurzer Probezeit gab er mir Vollmacht, unseren sehr umfangreichen aber selten wichtigen Schriftwechsel allein zu besorgen und ohne seine Begutachtung als Sekretär des Ausschusses zu zeichnen. Sechs Wochen nach unserer Konstituierung galt ich im Parlament für den Geschäftsführer des Ausschusses, draußen sogar für den künftigen Chef des Marineamts.

Ein junger Schiffszimmermeister aus Stettin, Zweitinger, begrüßte mich sogar als voraussichtlichen Marineminister mit dem Ersuchen, ihm, wenn ich demnächst ernannt würde, eine Anstellung zu verschaffen. Ich mußte lachen, antwortete aber mit dem Gegenvorschlag, er möge mir theoretischen Unterricht geben im Schiffsbau. Dabei würde ich ein Urteil gewinnen über seine Befähigung. Sei das ein günstiges und erfülle sich seine Vermutung auch nur annähernd, so wolle ich ihm das gewünschte Amt verschaffen. Bereitwillig ging er darauf ein. Viele Wochen hindurch, jeden Morgen von 7 bis 9 Uhr bauten wir Schiffe auf dem Papier, von der kleinsten Jolle bis zum Dreimaster und Linienschiff. Ich besitze noch dicke Rollen von Zeichnungen, an denen er mir vom Kiel bis zur obersten Stenge jeden Bestandteil benannte und erklärte. Gleichzeitig studierte ich die Navy Estimates des englischen Parlaments und was ich mir von französischen und englischen technischen Werken über Dampfmaschinen, Schiffsartillerie und Organisation des Flottendienstes irgend verschaffen konnte.

Als im Ausschuß über die nächsterforderlichen Anschaffungen verhandelt, die Kosten geschätzt und daraufhin als erste Rate zur Flottengründung sieben Millionen Gulden im Plenum beantragt wurden, da konnte ich schon mit einiger Fachkenntnis, und nicht selten entscheidend, mitreden.

Die der Initiative des Parlaments zustehenden Vorbereitungen lagen überwiegend in meiner Hand, als nach Bewilligung jener Summe der Bremer Senator und Bürgermeister Duckwitz den Auftrag erhielt, ein Centralamt für die Marine als Abteilung des Reichshandelsministeriums einzurichten. So wurde ich als Rat in diese Abteilung berufen.

Zum Amtslokal angewiesen wurde mir der zweite Stock des Dietz’schen Hauses in der Eschenheimergasse, gegenüber dem Palais Mühlens, das heute dem Bürgerverein gehört, damals dem Reichsverweser Erzherzog Johann als Residenz diente; eine lange Flucht leerstehender Säle und Zimmer. In der Ecke des einen lag ein ellenhoher Stoß Akten des Bundestages in Marineangelegenheiten, obenauf die jüngsten noch unerledigten Zuschriften aus Schleswig-Holstein, Hamburg und von den zahlreichen Sammelvereinen.

„Raum haben Sie da wohl genug; nun legen Sie los mit der Flottengründung,“ sagte Duckwitz, als er mich am 15. November 1848 in diese wenig ermutigende Oede einführte.

Meine Thätigkeit begann damit, daß ich etliche Tische und Stühle vorläufig mieten, Aktenschränke, besser geeignete Schrei- bund Zeichentische bestellen, Papier, Tinte und Federn selbst einkaufen ging, einige Kopisten anwarb, den Schiffszimmermeister Zweitinger als Zeichner und als Sekretär Herrn Ebeling anstellte, der sich in diesem Amt vorzüglich bewähren sollte.

Mit dem Minister und meinem einige Tage später ernannten Kollegen, dem Abgeordneten Kerst, hatte ich zugleich den Sitzungen der technischen Kommission beizuwohnen, die unter Vorsitz des Prinzen Adalbert von Preußen den Flottenplan für eine Reihe von Jahren ausarbeitete. Uns unter Duckwitz aber verpflichtete der dringliche Auftrag des Parlaments, der Schande der Blockierung der Weser und Elbe baldmöglichst ein Ende zu machen. Was wir dazu an Dampfern teils ausrüstbar kauften, teils auf englischen Werften bauen ließen, stimmte wenig zu den von der Kommission geplanten, aber für unsere Ausgabe jedenfalls viel zu spät kommenden Fahrzeugen. So hatten wir denn unsere liebe Not, die resolut ohne Anfrage zur Begutachtung erworbenen oder bestellten Schiffe als den Forderungen der Techniker einigermaßen entsprechend zu verteidigen. Mir zumeist fiel diese heikle Pflicht zu, da ich zwei- bis dreimal wöchentlich zur Arbeit mit dem Prinzen im „Russischen Hof“ zu erscheinen hatte. Ich entsinne mich, daß ich im Gespräch mit ihm über eine Stunde im Zimmer auf und nieder laufen mußte, und immer desto schneller, je erregter sein Widerspruch wurde, bevor es gelang, Verzeihung unseres „kecken Vorgriffs“ und endliche Zustimmung auszuwirken zur Einstellung des in Amerika gekauften Dampfers „Hansa“.

Erfolglos dagegen blieben unsere Proteste gegen die Ruderkanonenboote.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0464.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2022)
  1. Diese Erinnerungen Wilhelm Jordans bilden den ersten in einer Reihe von Aufsätzen, welche hervorragende Veteranen der achtundvierziger Zeit für die „Gartenlaube“ geschrieben haben. Wie diese Aufsätze persönliche Erlebnisse von historischem Wert schildern, so haben auch die politischen Urteile darin den Wert historischer Zeugnisse, die wir uneingeschränkt wiedergeben als persönliche Bekenntnisse ihrer Verfasser. D. Red.