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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Ich selbst bin tief erschüttert, und ich beklage das herbe Los, das so jählings über Sie die schmerzlichsten Sorgen verhängt, von Grund meiner Seele. Nehmen Sie meine Versicherung entgegen, daß Ihr Herr Vater in den Händen der tüchtigsten Aerzte bei umsichtigster liebevollster Behandlung sich befindet, daß ferner alles, was Menschenwille und Menschenkraft vermag, geschehen soll, um das Dunkel, das jetzt noch über der unseligen That liegt, zu lichten. Ich rechne darauf, Sie morgen abend sieben Uhr in Josephsthal empfangen zu können, und bitte Sie, sich, soweit dies in Ihren Kräften steht, die Fassung und Ruhe zu bewahren, welche die schwere und traurige Situation, die Ihrer hier harrt, dringend wünschenswert erscheinen läßt.

Meine Empfehlung Herrn und Frau Professor Laurentius.
 Hochachtungsvoll ergebenst
  stets der Ihrige
  Dr. jur. Ueberweg.“

Frau Maria hatte den Brief mit bedeckter Stimme zu Ende gelesen, sie ließ ihn jetzt sinken und trocknete sich die Augen. Der Gedanke, daß der Mann, den sie in der Vollkraft seines Lebens, mitten im rüstigsten Wirken und Schaffen, in der Erinnerung hatte, so plötzlich als Opfer eines hinterlistigen Meuchelmörders gefallen war, erschütterte sie tief, und dazu kam ihre Sorge um Alix. Was alles stand ihr bevor – welch’ aufregende Eindrücke würden auf sie einstürmen! … Und sie mußte sie allein ziehen lassen, konnte ihr nicht stützend und helfend zur Seite stehen!

„Sobald ich hier irgend, irgend entbehrt werden kann, mein Herz, bin ich bei dir!“ flüsterte sie und nahm die willenlos herabhängende, schlaffe Hand des Mädchens in die ihre.

Mit einem schweren, bangen Blick, der ihre Augen schwarzblau erscheinen ließ, sah Alix vor sich hin. Aeußerlich bewahrte sie sich die Fassung, um die Justizrat Ueberweg sie gebeten hatte.

Sie jammerte nicht und rang nicht die Hände, sie weinte nicht einmal. Françoise dagegen machte ihrem Entsetzen zunächst in zusammenhangslosen Ausrufen, sodann in lauten Klagen und Fragen Luft. Sie jammerte immer von neuem, wie es möglich sei, daß „le bon Dieu“ dies habe zulassen können – wer es je hätte denken sollen, daß „monsieur“ ein so schreckliches Ende nehmen würde – aber Gott würde den Mörder schon finden – und ihr armes, geliebtes Kind möge doch nicht so starr und stumm vor sich hinsehen – es solle doch weinen und seinen großen Kummer in die Herzen derer ausschütten, die es so innig liebten. Und Françoise ergriff die linke Hand ihrer jungen Herrin und drückte sie an ihre Lippen, an ihre weinenden Augen.

Mit einem Ruck machte sich Alix los und sprang auf. Ihr soeben noch ganz blasses Gesicht war mit einer fliegenden Röte überzogen. „Wir müssen zum Zug! Wir kommen zu spät! Wieviel Uhr ist es?“

Der Professor zog seinen Chronometer hervor. „Zwanzig Minuten nach Acht, Sie haben recht, liebe Alix, es ist höchste Zeit!“

Ein hastiger Aufbruch. Ein Durcheinanderfragen und -rufen, ein Nachzählen der Gepäckstücke, ein rasches Versorgen mit Reisegeld. Mitten unter den aufgeregten Menschen Alix, die sich mechanisch von Françoise zurechtmachen läßt und erst, als der Wagen schon gemeldet wird, aus ihrer Versunkenheit emporfährt: „Noch einmal auf eine Minute zu Werner!“

„Aber Kind, wollen Sie sich durchaus die Diphtheritis holen?“

Das junge Mädchen schiebt Françoise, die sich ihr mit ausgebreiteten Armen in den Weg gestellt hat, beiseite.

„Ich fürchte mich nicht, und mir schadet’s auch nicht! Bleib’ du zurück, wenn du dich ängstigst! Gleich bin ich wieder da!“

Sie ist zur Thür hinaus, im Flug durch die nächsten zwei Zimmer und neigt sich über das schlafende Kind. Der intelligente und liebenswürdige Junge ist von jeher ihr besonderer Liebling gewesen; sie hat sich immer viel mit ihm abgegeben, beim Lernen wie beim Spielen, und Werner hängt an ihr mit ganzer Seele.

„Mein Herzensjunge!“ Sie nimmt behutsam die schmale Kinderhand von der Decke und drückt ihre Lippen darauf.

„Alix, wo bist du?“

„Ich komme, Maria!“

Wie im Traum findet sie sich an Marias Seite im Wagen sitzen, wie im Traum hört sie all die guten und zärtlichen Worte, die jene ihr zuflüstert, die Ermahnungen, die Bitten, bald zu schreiben, die Versicherungen treuer Liebe und tiefsten Verständnisses. Aber sie erwacht jäh aus ihren Träumen, da das Scheiden nun wirklich kommt, sie klammert sich fest an Maria, sie will sie nicht lassen, die beste, treueste Seele, die sie bisher im Leben gefunden, sie, die alles mit ihr geteilt hat, die in ihr Dasein hineingehört wie die Luft, die sie atmet!

„Meine Damen, ich muß dringend bitten – –“

Diensteifrige Hände reißen die Coupéthür auf, helfen ihr die Stufen ersteigen – gellend tönt die Pfeife – langsam gleitet der Zug aus der Halle. – – –

(Fortsetzung folgt.)




Die Puppen- und Trachtenausstellung zu Neuwied.

Von Moritz Schäfer.
Mit Illustrationen nach Originalaufnahmen des Hofphotographen Karl Schipper-Wiesbaden.

Der Neubau des fürstlichen Schlosses zu Neuwied bot in den Junitagen dieses Jahres den Raum für eine große Puppen- und Trachtenausstellung, die das allgemeinste Interesse erregte. Der Gedanke zu dieser Veranstaltung ging von der kunstsinnigen Fürstin zu Wied aus und wurde von deren Tochter, der Königin Elisabeth von Rumänien, die sich als Dichterin Carmen Sylva nennt, mit Begeisterung aufgegriffen. Dank dem hingebenden Eifer Carmen Sylvas wuchs die wohlthätigen Zwecken dienende Ausstellung zu einem Unternehmen heran, das in künstlerischer, sowie wissenschaftlicher Hinsicht die ernsteste Beachtung verdiente. Denn die hier in lebensvollem Arrangement vereinten Hunderte von Puppen der verschiedensten Größe veranschaulichten in ihrer Bekleidung Moden, Kostüme und Trachten fast aller Völker und Zeiten. Der Zudrang der Besucher aus nah und fern war denn auch überaus stark und der Beifall so allgemein, daß man jetzt in Erwägung gezogen hat, die originelle Ausstellung eine Wanderung durch die großen Städte Deutschlands antreten zu lassen.

Dem Verfasser dieses Berichts wurde das Glück zu teil, daß ihm die Abteilung der Ausstellung, welche die rumänischen Trachten umfaßte und die von der Königin Elisabeth persönlich arrangiert war, von dieser selbst in liebenswürdigster Weise gezeigt wurde. Es lag ein eigenartiger Reiz in den Erklärungen, die Carmen Sylva bei einzelnen Gruppen und Figuren zu geben geneigt war.

„Sie haben hier“ – so etwa erzählte die Königin, indem sie auf eine der Puppen zeigte – „die Fürstin der Moldau, Doamna Chiajena, eine Zeitgenossin der Katharina von Medici. Sie war sehr grausam – nun Katharina war ja auch keine Taube! Die Doamna ist jedoch auch eine heldenmütige Frau gewesen, welche die Mutterliebe zu heroischen Thaten hinriß. So stieg sie kampfgerüstet zu Pferde und verteidigte mit der Streitaxt in der Hand ihren unmündigen Sohn gegen die aufrührerischen Bojaren. Chiajena hat im ganzen Orient eine überaus große Rolle gespielt; ihrem Einfluß konnte sich sogar der türkische Sultan nicht entziehen. Die Puppe zeigt sie in historischer Tracht.“

„Diese andere hier,“ fuhr die Königin fort, „stellt die Fürstin Despina Neagoe vor, die im Jahre 1512 ihren gesamten reichen Schmuck zum Opfer brachte, um die Mittel zum Bau der Kirche von Kurtea de Ardschisch aufzubringen. Diese edle Frau wollte dadurch das Volk von drückender Steuer befreien. Ich habe die Historie und eine sich daran knüpfende Sage in meinem Drama ‚Meister Manole‘ behandelt. König Karl hat den Bau der Kirche vollendet.“

„Hier ist die getreue Nachbildung meiner Baracke aus dem Krieg. Sie sehen darin meine barmherzigen Schwestern und rumänische Nonnen. Dort oben steht Herodes mit den heiligen drei Königen. Es ist bei uns in Rumänien landesüblich, daß diese

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0460.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2023)