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sind die Motive seiner That. Das eine läßt sich mit Sicherheit behaupten, daß er es mit seinen Mitbürgern ehrlich gemeint hat; der Wunsch, seine Vaterstadt zu regieren, ist nie in Lorenzinos Kopf gekommen. Ein falscher Idealismus, der sich an der Lektüre der Alten bis zum Taumel erhitzte, vermischt mit krankhaftem Nachahmungstrieb, war der erste Hebel seiner Handlungen. So gewiß ihm bei der Verstümmelung der Antiken in Rom die berühmte Hermenschändung des Alcibiades vorschwebte, so gewiß glaubte er in jener furchtbaren Dreikönigsnacht sich zum Brutus oder Timoleon seines Vaterlandes gemacht zu haben.

Ein Bänkelsängerlied, das nach seinem Tode verfaßt und über ganz Italien verbreitet wurde, schildert, wie der Verräter zuerst vergebens an die Himmelspforte klopft und dann auch vom Höllenfürsten abgewiesen wird, weil dieser fürchtet, er möchte ihn gleichfalls verraten. Daher pflegte man lange Zeit von einem, der sich zwischen zwei Stühle niedergesetzt hatte, zu sagen: es geht ihm wie Lorenzino, den weder Gott noch der Teufel wollte.

Besser als bei den Geschichtschreibern ist Lorenzinos problematische Gestalt bei den Dichtern weggekommen. Alfieri, Niccolini, Leopardi haben vielleicht mit zuviel Naivetät ihn als Freiheitsmann verherrlicht, Musset suchte dagegen die Rätsel seines Wesens zu lösen, indem er ihn zu einem Hamlettypus umschuf. Sein „Lorenzaccio“, der lange halb verschollen war, ist in vergangenem Winter durch den neu erwachten Mussetkultus in Frankreich auf die Bühne gebracht worden, und Sarah Bernhardt hatte die Laune, auf dem Théatre de la Renaissance in der Titelrolle aufzutreten.

Es sind keine authentischen Bildnisse von Lorenzino erhalten, man kennt nur eine Denkmünze, die ihn im Brutuskostüm darstellt, mit einem mächtigen Kriegerkopf, der dem persönlichen Charakter des Dargestellten nicht entsprochen haben kann. Auffallend ist die Aehnlichkeit mit der herrlichen Brutusbüste des Michelangelo, die für den Kardinal Salviati, einen der Teilnehmer an der großen Verschwörung der Ausgewanderten gegen Alessandro, gearbeitet ist – ob aber dem Künstler die Züge Lorenzinos vorschwebten, oder ob man umgekehrt das Bildnis des „toskanischen Brutus“ diesem idealen Brutuskopf anzunähern gesucht hat, läßt sich nicht entscheiden. –

Nachdem alle Hindernisse beseitigt waren, regierte Cosimo glücklich und lange. Er hatte zwar noch schwere Kämpfe gegen den tapfern Piero Strozzi zu bestehen, der an der Spitze eines französischen Heeres den Tod des Vaters und die Unterdrückung der Heimat zu rächen suchte, aber Cosimo trug den Sieg und einen Zuwachs an Macht davon.

Cosimo I war ohne Frage ein bedeutender Mensch. Vom Vater hatte er die rasche Entschlossenheit und von der Mutter das leise Zuwarten und die tiefe Berechnung geerbt. Als er in den Windeln lag, ließ Giovanni delle Bande Nere sich einmal in einer wilden Laune das Söhnchen aus einem Fenster des hohen Palastes in den Hof herabwerfen und fing es in seinen Armen auf. Man wollte daraus schließen, daß das Kind zu großen Geschicken geboren sei. Und in der That, das Glück hat mehr für Cosimo gethan als für die Genialsten seines Geschlechts. Wie es ihn durch eine ganz unerwartete Verknüpfung äußerer Umstände zum Throne führte, so blieb es ihm bei allen seinen Regententhaten treu. Nur am häuslichen Herd verließ es ihn, sein Familienleben erschütterten blutige Tragödien, über die die höfische Geschichtschreibung ihren Schleier gezogen hat. Aber es gelang ihm, seine Dynastie für Jahrhunderte zu befestigen.

Von Pius V erhielt er den Titel eines Großherzogs von Toskana und umgab sich mit Ceremonien und Etikette. Die letzten Zuckungen der Freiheit erloschen unter ihm und ein Geist des Byzantinismus griff um sich, der das ganze Leben verwandelte. Die Nachkommen der großen Florentiner haschten nach Hofämtern, Titeln und Orden; sie pflanzten zum Zeichen ihrer loyalen Gesinnung die Büsten des Herrschers über ihren Hausthüren auf. Unter diesem Eiseshauch erstarrten die letzten späten Blüten der Renaissance, die Kunst verlor ihr inneres Leben. Bandinelli und Ammanati wetteiferten, Florenz durch ihre Werke zu verunzieren; subalterne Geister, wie Vasari und Cellini, paßten sich an, aber Michelangelo blieb gegen alle Lockungen Cosimos taub und wollte erst als Leiche in seine Vaterstadt zurückkehren. Die Platonische Akademie, die noch unter Clemens einen Macchiavelli zu ihren Mitgliedern zählte, wurde eine Schule hohler Redensarten, der Herrscher führte selbst das Protektorat und lenkte jede geistige Bewegung auf seichte Spielereien ab. Er schuf das lederne Institut der Crusca,[1] das nur seiner mumienhaften Beschaffenheit das Fortbestehen durch die Jahrhunderte dankt.

Unter den Mediceern, die, welches auch ihr politisches Wirken war, doch als Menschen immer unendlich anziehend bleiben, weckt Cosimo I die wenigste Sympathie; selbst der brutale Alessandro und der unselige Lorenzino stehen unserem Anteil näher. Widerwärtig sind auch die wohlgeformten Linien seines Gesichts, denen jede Größe mangelt. Der tragische Zug, der durch die ganze Familie geht und selbst die Schlimmeren unter ihnen adelt, ist verschwunden, und durch die Aehnlichkeit mit dem ernsten, an den ersten Napoleon erinnernden Kopf seines Vaters fällt das Kleinliche in Cosimos gemachter Majestät doppelt unangenehm auf.

Unter ihm und seinen Nachfolgern vollendete sich die friedliche Entartung seines Volks, die das bewußte Ziel seiner Politik war. Ein mildes Regiment tröstete die Florentiner später für die verlorene Freiheit; ihr Wahlspruch wurde: „Essen, trinken und guter Dinge sein“, und ein glückliches Schlaraffenleben lullte alle tieferen Fähigkeiten ein. – Wer die heutigen Florentiner betrachtet, dem scheint es unfaßbar, daß sie von dem Titanengeschlecht der alten Republik abstammen sollen. Der Uebergang, an den man sich sträubt zu glauben, ist das Werk des ersten Großherzogs.



  1. Die noch heute bestehende Gesellschaft für Reinhaltung der italienischen Sprache.


Blätter und Blüthen.


Wilibald Alexis. Der deutsche Schriftsteller, dessen hundertster Geburtstag auf den 23. Juni d. J. fiel, hat auf dem Gebiete des historischen Romans Unvergängliches geleistet. Er wuchs in einer Zeit auf, da die deutsche Lesewelt für Walter Scott und seine der schottischen Geschichte entnommenen Romane schwärmte; ihn trieb es, zum Walter Scott der an heroischen Ueberlieferungen so reichen Geschichte seiner brandenburgischen Heimat zu werden. Wilibald Alexis ist der Dichtername für Wilhelm Heinrich Häring; er stammte von französischen Protestanten ab, die nach dem Edikt von Nantes in Preußen eine neue Heimat gefunden und hier ihren Familiennamen Harenc ins Deutsche übersetzt hatten. Am 23. Juni 1798 wurde er in Breslau geboren, doch kam er bald nach Berlin, wo er das Werdersche Gymnasium besuchte. Im Alter von siebzehn Jahren machte er den Feldzug von 1813 gegen Frankreich als Freiwilliger mit. Dann studierte er die Rechte in Berlin und wurde Kammergerichtsreferendar; aber er verließ bald die juristische Laufbahn, um sich ausschließlich der schriftstellerischen Thätigkeit zu widmen. Seine ersten Romane „Walladmor“ und „Schloß Avalon“ (1823 und 1827) waren direkte Nachahmungen Walter Scotts, und er ließ sie ohne seinen Namen, nur mit der Bezeichnung „Frei nach dem Englischen des Walter Scott von W … s“ erscheinen. Das Publikum ging auf die Mystifikation ein und der ungemeine Erfolg äußerte sich auch dadurch, daß das erstere Werk ins Englische übersetzt wurde. Dann schrieb er Novellen und Reisebriefe, die sich besonders durch lebensvolle Naturschilderungen auszeichneten. Für diese wählte er das Pseudonym Wilibald Alexis, nach dem Spitznamen, den er als Student in seiner Verbindung führte, einer Ableitung vom lateinischen alex, wie die Römer eine pikante Fischspeise nannten, die für sie die Bedeutung unseres marinierten Herings hatte. Unter diesem Namen gab er dann auch seine großen vaterländischen Romane, zunächst den „Cabanis“, heraus, Werke von selbständiger Erfindung, die durch ihre poetischen Eigenschaften an Scott erinnerten, ohne bloße Nachahmungen zu sein. Wie dieser hat es Alexis verstanden, die spannenden Begebenheiten, die er schildert, in innige Beziehung zu der eigentümlichen Kultur und Landschaft des Heimatbodens zu setzen; die wenig augenfällige Schönheit der Mark, die kraftvolle Eigenart ihres Volkstums hat er in diesen Romanen dem allgemeinen Verständnis erschlossen. Die berühmtesten derselben sind „Der Roland von Berlin“ (1840), wohl der trefflichste von allen, auch von Dramatikern mehrfach ausgebeutet, „Der falsche Waldemar“ (1842), „Die Hosen des Herrn von Bredow“ (1846–48), „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ (1854), „Isegrimm“ (1854) und „Dorothee“ (1856). Sie schildern Zeiten und Stoffe, die sich später in den patriotischen Dramen Wildenbruchs wiederfanden, aber während diese mit glänzendem Erfolg über die Berliner Hofbühne gingen, wurde den Romanen von Wilibald Alexis bei aller Anerkennung der Kritik nur eine mäßige Teilnahme des Publikums zu teil: die ersten und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0450.jpg&oldid=- (Version vom 15.6.2021)