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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Am Hof war man in großer Aufregung, man sagte den Besuchern, der Herzog habe die ganze Nacht gespielt und schlafe noch; um das Volk zu beschäftigen, ließ man vor dem Palastthor Sand streuen und einen Faßreif, mit vielen Preisen behängt, aufstellen, als ob Wettspiele veranstaltet würden.

Durch den Erzbischof erfuhr jetzt Giomo, daß Lorenzino in der Nacht Postpferde erhalten habe und mit zwei Begleitern weggeritten sei. Die Hofleute klammerten sich noch an der Hoffnung fest, ihr Herr sei mit darunter. Man schickte nach Caffagguolo, ob sich Lorenzino bei den Seinigen befinde, und erst als man hörte, er sei ohne Aufenthalt dort vorbeigesprengt und habe eine Wunde an der Hand, die ihm auf der ersten Poststation verbunden worden sei, erkannte man den Sachverhalt. Aber jetzt befiel ein solcher Schreck die Anhänger der Medici, daß niemand das Schlafzimmer Lorenzinos zu erbrechen und sich Gewißheit zu verschaffen wagte, denn man glaubte, das Volk würde bei der Nachricht aufstehen und seine Bedrücker, waffenlos wie es war, mit Stöcken und Steinen niedermachen. Ganz geheim schickte man Boten aus und ließ von allen Seiten Mannschaft zusammenziehen, und erst als schon alles schlief, drang man in die blutüberschwemmte Kammer ein. Des Herzogs Leichnam, der mit Wunden besäet war, wurde rasch in einen Teppich gewickelt und in aller Stille nach der Sakristei von San Lorenzo getragen.

Am Montag Morgen war die Wahrheit nicht mehr zu verheimlichen. Ueberall standen die Bürger in Gruppen umher und besprachen das Vorgefallene. Man kramte die alten Prophezeiungen Savonarolas wieder hervor, wonach jetzt ein goldenes Zeitalter der Freiheit anbrechen müsse, aber niemand stellte sich an die Spitze, um zu handeln, denn die Tüchtigen und Entschlossenen waren alle in der Verbannung. Ganz allmählich füllte sich die Stadt mit Soldaten, von denen man nicht wußte woher sie kamen. Alessandro Vitelli besetzte die Festung, und während die Bürger müßig schwatzten, verstrich die Stunde zur Befreiung ungenützt.

Unterdessen saß auf seiner Villa im Mugello, fünfzehn Meilen von Florenz, der siebzehnjährige Cosimo de’ Medici, Cosimino, wie man ihn seiner Jugend wegen nannte, und vertrieb sich die Zeit mit Jagen und Fischen. Dieser kam, von seiner Mutter benachrichtigt, mit geringer Begleitung nach Florenz, wo die alten Soldaten seines Vaters ihm in Scharen zuliefen. Ganz bescheiden und ehrbar stellte er sich dem Rat der Achtundvierzig vor, der im Palast der Medici tagte, um Alessandros Nachfolger zu wählen. Cosimo war jetzt der nächste am Thron, denn von Lorenzino, dem rechtmäßigen Erben, konnte natürlich keine Rede sein, und Alessandros natürliches Söhnchen war erst fünf Jahre alt. Als Sohn des „unbesiegten“ Giovanni und einer Enkelin des Magnifico, besaß Cosimo das allgemeine Zutrauen, aber niemand wußte eigentlich, wes Geistes Kind er war. Am Hof Alessandros hatte er stets den unterwürfigen Diener gespielt, und bei den Freunden der Medici galt er für einen harmlosen, etwas beschränkten Jungen, der für nichts Sinn habe als für das Vergnügen. Dieser Ruf kam ihm jetzt zu statten, denn unter den Räten war keiner, der sich nicht geschmeichelt hätte, einen solchen Fürsten wie eine Drahtpuppe regieren zu können. Er selbst ließ sich nur schieben, aber seine Lauheit setzte die ehrgeizigen Freunde in Flammen, und den Ausschlag gab die Soldateska, die vor den Thüren lärmte. So ward der junge Cosimo Herzog von Florenz.

Die Glocken läuteten, Freudenfeuer wurden angezündet, und das Volk strömte nach dem Mediceerpalast, um den neuen Herrn zu sehen. Am ausgelassensten betrugen sich die Soldaten des Vitelli, die dem Gefeierten eine sonderbare Huldigung darbrachten. Sie stürzten sich, untermischt mit Pöbelhaufen, die Palle! Palle[1] schrieen, auf das neben dem großen Palast gelegene Stammhaus der Medici, das zur einen Hälfte dem Sohn Giovannis, zur andern den Erben Pierfrancescos gehörte, und plünderten, ohne daß Frau Maria oder die Freunde zu wehren vermochten, sowohl Cosimos wie des Verräters Lorenzo Wohnung, indem sie alles wegschleppten, was seit vielen Generationen an Kostbarkeiten, seltenen Büchern, antiken Statuen dort aufgehäuft war. Aus Rom, wo es üblich war die Wohnung neu gewählter Päpste dem Pöbel preiszugeben, hatten sie diesen Brauch herübergebracht.

Lorenzinos Haus wurde überdies in der ganzen Breite des Zimmers, in dem der Mord geschehen war, vom Dach bis zu den Grundmauern eingerissen,[2] er selbst als Staatsverbrecher mit dem Strick am Fuß, den Kopf nach unten, auf die Festungsmauer gemalt und ein Preis von achttausend Dukaten auf seinen Kopf gesetzt. Seine und seines Bruders Giuliano Habe, soweit sie nicht von den Soldaten Vitellis weggeschleppt war, fiel als „Rebellengut“ dem neuen Herzog zu.

Alessandros Reste sind in der „Neuen Sakristei“ von San Lorenzo im Grabmal des Herzogs von Urbino bestattet. Michelangelos Marmorkolosse decken die Gebeine des Vaters und des Sohnes, und darüber sitzt der finstre „Pensieroso“, die Kolossalgestalt des vorangegangenen Herzogs, wie in tiefem Brüten über die Geschicke seines Hauses.[3]

Niemand trauerte um den Toten als die junge Herzogin, die Tag und Nacht in ihren Gemächern weinte. War doch sein Leben der besseren Züge nicht völlig bar, wie er auch Anwandlungen von Großmut und Gerechtigkeit hatte. Alessandro hinterließ eine Reihe nützlicher und wahrhaft volksfreundlicher Einrichtungen und hätte ohne seine Laster wohl das Zeug zu einem tüchtigen Regenten gehabt. Es sind einige salomonische Urteile von ihm erhalten, die für die ungewöhnliche Klarheit und Schnelle seines Geistes zeugen. Er war eine derbe Natur, stark, gewaltsam und rachsüchtig, aber auch gerade heraus und wollte nicht besser scheinen, als er war. Die Schmeichler verachtete er und gab ihnen Fußtritte. Aber er war kein echter Medici: die Ehrfurcht vor Kunst und Wissenschaft kannte er nicht mehr, Florenz verödete unter ihm. Michelangelo hat es stets als seine Rettung betrachtet, daß er sich bei Clemens’ Tode auf Reisen befand, in Florenz wäre er vor der Rachsucht Alessandros nicht sicher gewesen.

Sein Nachfolger war ein völlig andrer Mensch. Die erstaunten Florentiner meinten später, Gott habe Cosimo zu seinem Herrscheramt erst nachträglich den Verstand gegeben, aber solche, die ihn von Kindheit an kannten, hatten dem stillen Wasser nie getraut. Mit einer unheimlichen Reife und Sicherheit trat er nun als ein völlig fertiger Charakter in den Vordergrund. Im Handumdrehen machte der Siebzehnjährige sich zum Herrn der Lage. Vor allem hatte er den Mut, undankbar zu sein; keinem der Räte gestattete er den geringsten Einfluß – die ihn groß gemacht hatten, stürzte er mit so unfehlbarer Sicherheit wie seine Gegner. Unverzüglich bestätigte der Kaiser seine Wahl, nur Cosimos Werbung um die Hand der verwitweten Herzogin wurde abgewiesen, denn ihr Vater hatte bereits in Ottavio Farnese, dem zwölfjährigen Enkel des Papstes, einen zweiten Gatten für sie gefunden.

Bevor die Bürger zur Besinnung kamen, lag ihnen ein neues Joch auf dem Nacken, das noch fester saß als das vorige. – Man hat viel darüber gestritten, ob Lorenzino de’ Medici den Namen des neuen Brutus, den die Ausgewanderten ihm beilegten, wirklich verdiente; das eine hatte er jedenfalls mit dem Mörder Cäsars gemein, daß seine Befreiungsthat in ihr völliges Gegenteil umschlug, indem sein Dolch einem weit schlimmeren Unterdrücker den Weg zum Throne bahnte. Eine gewisse Aehnlichkeit zwischen Augustus und Cosimo springt überhaupt in die Augen. Aber noch weiter ließe sich die Parallele verfolgen, denn nun sollten die Ausgewanderten, mit denen auch Lorenzino zurückzukehren hoffte, unweit der heimischen Mauern ihr Philippi finden.

Zwischen Prato und Pistoja, am Fuß des Apennin liegt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0447.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
  1. Feldgeschrei der mediceischen Partei, das sich auf die Kugeln in dem Mediceerwappen bezieht.
  2. Durch die Bresche sollte ein Durchgang gelegt werden, dem der Name Chiasso del Traditore (Verrätergasse) bestimmt war. Aber diese Gasse, die in der Phantasie der Florentiner eine große Rolle spielt, hat nach den neueren Forschungen nie in Wirklichkeit bestanden, nur der Trümmerhaufe zwischen den Häuserreihen blieb als Wahrzeichen liegen. Erst 1737, also genau zweihundert Jahre nach der That, durfte an der Stelle, wo Lorenzinos Dolch den Herzog traf, wieder gebaut werden. Das Haus, das auf den Trümmern des alten Stammhauses der Medici entstand, diente später dem Tondichter Rossini als Wohnsitz.
  3. In den sechziger Jahren unsres Jahrhunderts wurde die Gruft geöffnet, wobei man die Gebeine der beiden Herzöge noch so wohl erhalten fand, daß man die Schädel in Gips abgießen konnte. Derjenige Alessandros war an den Spuren der Mordwaffen leicht zu erkennen.