Seite:Die Gartenlaube (1898) 0446.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

wie er war, aufs Bett, nachdem er den Degen abgeschnallt hatte; flink umwickelte jener Griff und Scheide mit dem Gurt, um die Waffe unbrauchbar zu machen, und legte sie dem Herzog aufs Kissen. Dann entfernte er sich, scheinbar um die Dame herzubegleiten, in Wahrheit, um den Scoronconcolo aufzusuchen, dem er sagte, der Augenblick sei da, der Feind liege schlafend auf seiner Kammer; er solle sich brav halten und nicht darauf achten, daß es ein Freund des Herzogs sei.

Der Bursch verschwor sich, ihm sei alles gleich, und wenn es der Herzog selber wäre – und so erfuhr er erst im letzten Augenblick, wem das Attentat galt.

Lorenzino stieß die Thür auf, näherte sich dem Bett, und mit den Worten: „Herr, schlaft Ihr?“ hatte er dem Herzog schon sein kurzes Schwert durch den Leib gerannt.

Tödlich verwundet sprang Alessandro auf, und es entspann sich eine Scene, deren Einzelheiten zu grausig sind, um sie zu erzählen. Der unglückliche Herzog, der sich, ohne einen Laut auszustoßen, wie ein Löwe wehrte, wurde von den zweien überwältigt, Lorenzino sagte ihm noch mit satanischem Hohn: „Es wird nicht fehlen, Herr!“ – indem er ihn aufs Bett zurückdrückte und durch seinen Helfershelfer das schauerliche Werk vollenden ließ.

Dann hoben sie den Toten, der in einem See von Blut auf den Boden gerollt war, wieder aufs Lager und zogen die Bettvorhänge über ihm zu.

Als alles vorüber war, schleppte Lorenzino sich keuchend ans Fenster, um Luft zu schöpfen. Sein Daumen, den das Opfer ihm im letzten Verzweiflungskampf durch und durch gebissen hatte, ließ einen breiten Blutfleck auf dem Gesimse. Auf der Straße, die hell im Mondschein dalag, war alles still geblieben, der Unghero hatte längst seinen Posten verlassen und sich im Zimmer des Herzogs schlafen gelegt. Auch im Hause regte sich nichts. Frau Maria, die Witwe Giovannis delle Bande Nere, die den anderen Flügel bewohnte, hatte zwar Lärm und Tritte vernommen, aber nicht darauf geachtet, denn Lorenzo hatte absichtlich schon wiederholt des Abends junge Leute auf sein Zimmer gebracht und mit ihnen scherzweise Raufscenen aufgeführt, wobei er hin und her rannte und schrie, als ob ein Mord geschähe.

Kaum war die That vollbracht, als bei Lorenzino der Rückschlag eintrat. Mit der übermenschlichen Spannung seiner Kräfte verließ ihn die fanatische Entschlossenheit. Der Tyrann war tot; jetzt hätte es gegolten, in die Stadt zu eilen, den Tod des Herzogs zu verkündigen und das Volk zur Befreiung aufzurufen. Wenn je die Zeichen für eine Volksbewegung günstig standen, so war es an diesem Tag, denn der Kaiser focht fern im Norden und die Stadt selbst war von Truppen entblößt, weil der Vitelli mit seinen Leuten sich an die umbrische Grenze begeben hatte.

Aber wo waren jene tapfern Bürger, jene Freunde der Freiheit, auf die man in einem solchen Augenblick zählen konnte? Und wenn es deren noch gab, würden sie dem Günstling und Spion des Tyrannen Glauben schenken, mußten sie nicht vielmehr annehmen, er wolle sie im Einverständnis mit dem Herzog in eine Falle locken? Ein einziger Fehler war von Anfang an in seiner wohldurchdachten Rechnung gewesen, und der verdarb ihm jetzt das ganze Spiel. Die Flamme der Begeisterung anzublasen, ein verzagtes Volk um seine Fahne zu scharen, das war keine Aufgabe für einen Lorenzaccio.

Zu dieser Erkenntnis gesellte sich der rasende Schmerz an der gebissenen Hand und die Angst seines Spießgesellen, der nicht aufhörte, ihn zur Flucht zu drängen. Lorenzino verlor den Kopf, die tollsten Vorsätze gingen durch sein verstörtes Hirn: er wollte die Getreuen des Herzogs einzeln rufen und sie neben der Leiche ihres Herrn ermorden, ebenso dessen natürliches Söhnchen Don Giulio. Zunächst that er etwas ganz Sinnloses: er ließ seinen Diener Freccia rufen, zeigte ihm die Leiche und schlug über dessen Entsetzen ein wahnsinniges Gelächter auf. Dann kam er wieder zu sich und begann nun an seine und seines Mitschuldigen Sicherheit zu denken.

Der Erzbischof Marzi hatte als Vertrauensperson des Herzogs die Schlüssel der Stadt in Händen. Zu ihm begab sich Lorenzino und bat um Durchlaß, weil sein Bruder sterbend in Caffagguolo liege. Der Erzbischof hatte kein Arg, da er Lorenzos nahes Verhältnis zum Herzog kannte, und um dem Günstling gefällig zu sein, gab er ihm aus freien Stücken auch noch die Postpferde.

Lorenzo stieg mit den beiden Dienern zu Pferd und ritt in rasender Eile nach Bologna.

Dort führte der Zufall ihm gleich einen der ausgewanderten Florentiner, von denen die Stadt wimmelte, in den Weg. Diesem erzählte er noch fiebernd das Vorgefallene und zeigte ihm den durchbissenen Daumen, den er in Bologna frisch verbinden lassen mußte, und den Schlüssel seines Zimmers, in dem der Tote eingeschlossen lag.

Auf den Ausgewanderten stand seine ganze Hoffnung, in ihnen lebte, was vom Geist der echten Florentiner noch übrig war, und sie besaßen Waffen, woran es in der Stadt gänzlich gebrach. Schon seit längerer Zeit beunruhigten sie das Land durch kriegerische Anstalten, und Lorenzo zweifelte nicht, sie würden auf die Nachricht von dem Geschehenen hin sogleich mit Truppenmacht in der Toskana einrücken.

Aber auch hier wurde sein schlechter Leumund ihm hinderlich: man glaubte ihm nicht und ließ ihn mit seiner Erzählung ablaufen. Er verlor seine Zeit in nutzlosem Reden, bis er einsah, daß er in Bologna nichts erreichte. Da warf er sich aufs neue zu Pferd und ritt in Eile nach Venedig weiter.

Am Montag kam er gegen Mitternacht dort an und weckte mit seiner Nachricht Filippo Strozzi aus dem Schlaf. Bei diesem fand er endlich Glauben, Jubel und Begeisterung. Filippo umarmte ihn, nannte ihn den neuen Brutus, den Retter des Vaterlandes. Um die Unbill des Schicksals an ihm und den Seinigen wieder gutzumachen, warb er gleich für seine Söhne Piero und Roberto um Lorenzinos Schwestern, die beide bildschön und vortrefflich erzogen, aber ihrer Armut wegen von den Freiern nicht gesucht waren. Die Ausgewanderten, die in Venedig lebten, umringten den Ankömmling und feierten ihn als Helden und Befreier; endlich hatte er erreicht, wonach er seit lange dürstete.

Mit Blitzesschnelle lief die Kunde von seiner That durch die ganze Halbinsel und erregte einen Sturm der Begeisterung. Es regnete von Sonetten, die den „neuen Brutus“ in den Himmel erhoben, und jener Molza, der einst wegen der Verstümmelung der römischen Kaiserbilder die öffentliche Schmährede gegen ihn gehalten hatte, schlug jetzt ein umgekehrtes rhetorisches Rad, indem er als Widerruf ein berühmt gewordenes Epigramm schrieb:

Mit kühnem Stahl traf Laurens den Despoten,
Des Joch sein freigebornes Volk ertrug.
Wie, rief er, schickt’ ich dich nicht zu den Toten,
Der ich Roms marmorne Tyrannen schlug? –

Das herrliche Wetter, das in jenen Tagen durch ganz Italien herrschte, wurde als Beifall der Natur gedeutet, und allgemein hieß es, die Blumen blühten aus Freude über Alessandros Tod. Die Verbannten glaubten den Tag ihrer Rückkehr nahe, aber bevor sie zu einem gemeinsamen Schlag bereit waren, hatten sich innerhalb der Mauern die Geschicke ihrer Heimat vollzogen.

Des Herzogs Verschwinden war am Sonntag Morgen nicht sogleich aufgefallen. Später, als er vermißt wurde und auch im Lauf des Tages nicht zum Vorschein kam, begannen seine Getreuen sich zu beunruhigen.

Unterdessen flüsterte man sich schon in der Stadt ganz leise zu, der Herzog liege ermordet im Zimmer seines Vetters. Dieser hatte nämlich vor der Flucht seinem Hausmeister, der in Eile das wenige vorrätige Geld für ihn zusammenraffen mußte, den Auftrag hinterlassen, in aller Frühe sein Zimmer zu öffnen und einigen Bürgern, die er ihm bezeichnete, von dem, was er da finden würde, Meldung zu machen. Der Mann war seiner Weisung nachgekommen und hatte mit der Nachricht von dem schrecklichen Fund an verschiedene Häuser geklopft, aber es war ihm widerfahren, was Lorenzino für sich selbst vorausgesehen: man hatte ihm die Thür vor der Nase zugeschlagen, weil man seinen Bericht für einen Fallstrick hielt. Dennoch sickerte das Gerücht durch, aber niemand regte sich: Freund und Feind waren in Aengsten, der Herzog wolle ihre Gesinnung prüfen, und keiner mochte als der erste erscheinen, der dieser Nachricht Glauben geschenkt hätte.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0446.jpg&oldid=- (Version vom 15.6.2021)