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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Störendes, eine gewisse Zurückhaltung sich bemerkbar. Mit großer Selbstüberwindung fragte Renate, nachdem man von allerlei gleichgültigen Dingen gesprochen hatte, endlich: „Sag’ mir, Kind, findest du es ganz passend, daß Bornholm dir einen Besuch gemacht hat? Denk’ nur, Tante Charlotte und ich können es nicht ganz passend finden.“

Luise hatte sich schon die Zeit über auf diese Bemerkung vorbereitet, sich auch die Antwort ausgedacht, die sie darauf geben wollte, und war nun doch befangen und ratlos und sagte mit forcierter Heiterkeit: „Ein erster und letzter Besuch und gar nicht gern abgestattet. Herr Bornholm hat sich vielleicht verpflichtet gefunden, mir den meinen zu erwidern.“

„Erwidern? einen unabsichtlichen Besuch? … Nun ja, du spaßest. O Kind! du bist ja deine eigene Herrin, aber ich meine nur, du stehst so allein, und er ist doch ein junger Mann und hat nicht den besten Ruf und du bist ein junges Mädchen …“

Luise küßte ihr auf das Innigste die Hand: „Bin ich? Dn schmeichelst mir, gute, gute Tante … Wenn du wüßtest, wie ich mich fühle – älter als alt.“

Kosel und seine Kinder kamen, Luise zu begrüßen, die man schon so lange nicht gesehen hatte, und Elika schlug vor, das Vesperbrot in der Laubhütte im Wäldchen auftragen zu lassen. „Dorthin wird der Wagen bestellt und Luise fährt nach Hause, aber erst sehr spät. Sie muß heute vier Stunden bei uns bleiben, sie hat noch zwei von gestern einzubringen.“

Die „arme Kleine“ hatte gesprochen, das Gesetz war gegeben.

Eigentlich gehörte das Wäldchen noch zum Garten und war nur durch ein leichtes Drahtgitter von ihm getrennt. Seine grünen Wiesen, seine freundlichen Auen reichten bis zur Grenze der großen Waldungen Velices, die sich hügelauf, hügelab hinter denen von Valahora im Halbkreise hinzogen.

Ein breiter gerader Weg durchschnitt das Wäldchen. Wenig befahren, ganz eben, mit kurzem, dichtem Gras bewachsen – ein unübertrefflicher Reitboden. Von diesem Weg zweigte ein schmaler ins Innere des Gehölzes ab und führte mehr oder weniger sanft aufsteigend zur Laubhütte, dem Ziel der heutigen Wanderung. Die ganze Gesellschaft, Menschen und Tiere – jeder der Herren, Heideschmied ausgenommen, hatte einen Hund mit – bog auf den Fußpfad ein, nur Franz, nach Jägerart immer lauschend, spähend, blieb zurück. Elika wendete sich nach ihm um:

„Nun, Monsieur, ist’s gefällig?“

„Still!“ Er warf ihr einen seiner strengsten Blicke zu.

„Jetzt schaut er wieder wie ein Bushranger, dieser Mensch. Franzl, schau nicht so!“

Er legte den Finger auf den Mund: „Still! wenn ich dir schon sag’ … Still, er kommt, kommt auf dem Hansl.“ Mit einem Satz war er an Elikas Seite. „Ruhig, verstecken wir uns.“

„Und kuschen die Hunde!“ befahl Kosel.

„Kuschen, hörst, daß der Hansl nicht erschrickt, sonst giebt’s ein Malheur,“ flüsterte Leopold seiner braunen Lady zu. Elika und Franz brannten die Wangen. Sie drängten sich vor, guckten durchs Gebüsch und verkündeten leise: „Da ist er, da ist er schon!“

Die alten Tanten hatten einen und denselben Gedanken: Wenn es hieß „Er“, brauchte man nicht mehr zu fragen, wer gemeint war.

Der Hufschlag eines Pferdes ließ sich gedämpft auf dem weichen Grund vernehmen. Im mittelstarken, leichten und regelmäßigen Trabe kam Bornholm auf dem Hansl einhergeritten. Das war nicht mehr der scheue Bosnickel, das war ein seines Daseins frohes Tier, und stolz in seiner Dienstbarkeit. Sie schien nicht drückend, erniedrigte es nicht zur Maschine, ließ ihm die goldene Freiheit eigener Initiative, auf die sein Herr auch offenbar vertraute. Er saß in nachlässiger Haltung ohne Peitsche, ohne Sporen, und schien mit allem anderen mehr beschäftigt als mit seinem Pferde. So still die Späher im Gehölz auch meinten, sich gehalten zu haben, er hatte die Nähe von etwas Lebendigem bemerkt und den Blick – einen scharfen unguten Blick – sogleich nach der richtigen Fährte gelenkt. Ihm kam es nicht überraschend, als sich die Zweige plötzlich auseinander bogen und die braune Lady, die Leopold einen Augenblick unbeaufsichtigt gelassen hatte, hervor und mit wildem Gebell auf Hansl losstürzte. Er machte einen gewaltigen Seitensprung, die zuredenden Worte des Herrn gaben ihm aber bald wieder seine Seelenruhe zurück. Leopold war seinem Hunde nachgeeilt, machte ihm die bittersten Vorwürfe und entschuldigte sich bei Bornholm.

Alle kamen nach und nach herbei und Hansl erntete viel Lob. Kosel wünschte zu erfahren, was Bornholm mit dem Pferde „angefangen“ habe. Nichts, durchaus nichts Besonderes. Er hatte sich gefaßt gemacht, alles erdenkliche Böse von ihm zu erfahren, und „er thut ja nichts“.

„Was Sie sagen!“ Kosel dachte nach: „Ja, hat er Sie denn nicht gebissen?“

„Ach das – das war nur ein kleines Mißverständnis. Nicht wahr, Hansl, mein Alter?“ Er war abgesessen, legte den Arm um den Hals seines Pferdes, drückte ihn an sich und lachte, und der Plumpsack – Leopold hatte ihn schon mit diesem Spitznamen dekoriert – war unglaublich gewinnend, wenn er lachte. Schade, daß es so selten vorkam. Eine warme, freundschaftliche Regung stieg in Leopold auf.

„Bleiben Sie bei uns!“ rief er, „wir vespern in der Laubhütte. Kommen Sie mit! Gute Tanten, lieber Papa, sagt ihm, er soll mitkommen!“

„Er soll, er soll! Herr Bornholm, kommen Sie mit!“ fielen Franz und Elika ein.

Einige Betroffenheit über diese unversehens vorgebrachte Einladung malte sich in den Gesichtern der alten Damen, und auch Kosel sah nicht besonders erfreut aus. Aber was war zu thun? Unartig sein gegen den Freund Josephs konnte man nicht, und so wurde denn die Aufforderung der Kinder von den Tanten und Kosel wiederholt. Die Augen Bornholms richteten sich fragend auf Luise; sie war die einzige von der Familie, die geschwiegen hatte, und gab auch jetzt kein Zeichen der Zustimmung.

„Tausend Dank,“ sprach Bornholm, „es ist unmöglich, ich bin ja nicht allein.“ Mit einer Kopfbewegung deutete er nach Hansl.

„O, deswegen!“ sprach Franz. „Geben Sie ihn mir, ich reit’ ihn nach Hause,“ und er trat dicht an das Pferd heran.

„Was ihm einfällt!“ „Das ist eine Idee!“ „Nein, das wirst du nicht!“ klang es durcheinander. Elika lief auf ihren Bruder zu und wollte seine Hand ergreifen. Voll Ungeduld wich er aus. „Franz, um Gotteswilleu, wenn du mich nur ein bißchen lieb hast … Franz!“ Mit einem Schrei des Schmerzes stieß sie es hervor. Zum erstenmal in ihrem Leben hatte sie ihn umsonst bei seiner Liebe zu ihr angerufen. Er schob sie weg, gleichgültig, hörte nicht sie, sondern nur Bornholm, der zu Kosel sprach:

„Lassen Sie ihn. Er ist ein guter Reiter, ich hab’ ihn schon zu Pferd gesehen.“

Franz hatte wieder alles Blut im Kopfe, machte seine dicke, trotzige Lippe und schwang sich rasch in den Sattel.

„Nur abgeben, dem Bartolomäus, im Hof – sich nicht weiter mit ihm zu thun machen!“ warnte Bornholm.

Als Hansl den fremden Reiter auf seinem Rücken spürte, bog er den Hals wie eine Schlange und schnappte, aber nur Luft, es war ihm nicht ernst, es war nur eine Reminiscenz an frühere Tölpeleien. Den ersten Hilfen schon gehorsam, schlug er seinen weitausgreifenden Trab an und eine Freude für jedes Reiterauge war seine freie und korrekte Aktion.

Alle blieben auf der Straße stehen und sahen ihm nach.

„Ja – wenn ich wüßt’, was Sie mit dem Tier angefangen haben,“ begann Kosel von neuem.

„Ich sage Ihnen ja – nichts, es war nur verprügelt durch Ihre Leute.“

„Auch durch uns,“ gestand Leopold. „Wir haben ihn auch geritten und miß – verstanden.“

„Geritten? den Hansl? Es war euch verboten!“ rief Elika streng und verweisend und hätte gleich darauf vor Beschämung und Reue in den Boden sinken mögen. Bornholm hatte sich nach ihr umgesehen – so geringschätzig, so deutlich fragend: Hast du mitzureden? … O grausam! grausam! … Der bewunderte sie nicht und bemitleidete sie nicht. Für den war sie nichts. Der begriff wohl kaum, daß sie anderen etwas war.

Mit erratendem Verständnis las Luise ihr vom Gesichte ab, was in ihr vorging. Sie nahm ihren Arm, und so folgten sie den Tanten, die schon rüstig voran wanderten, von Heideschmied und seiner Gattin umschwärmt. Die feine Frau machte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0427.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2021)