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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Auf dem Wege durch den Garten zu den Stallungen trafen sie die ganze Familie in Begleitung des Herrn Pfarrers. Luise kam ihrem Vetter entgegen, und ihr Anblick machte ihm das Vergnügen, das man empfindet, wenn einem ein Licht aufgeht:

„Ja so, du bist da, ich habe nicht gewußt, wieso sie hergekommen ist, die Kleine.“

Bornholm wurde den Alten, die Jungen wurden ihm vorgestellt, und die Gesellschaft machte sich auf zum Besuche Hansls.


Die Pferde in Velice führten ein beneidenswertes Dasein. Sie waren vortrefflich untergebracht, genährt, gewartet. Sie verdienten aber auch ihr Glück, alle ohne Ausnahme, die Wagen- und die Reitpferde, die Siebzehnfäustigen und die Ponies, lauter edle, feurige und leutselige, menschenfreundliche Tiere. Ihr freudiges Gewieher und Gestampfe begrüßte die Eintretenden, besonders ihre junge Gebieterin und ihre jungen Gebieter, von denen sie mit Lob und Liebesbeteuerungen überschüttet wurden. Hansl blieb stumm und regungslos in seiner Ecke. Er war isoliert; links von ihm die Mauer, rechts drei leere Stände. Man schien zu fürchten, daß seine Nähe der Bravheit seiner Kameraden Gefahr bringen könnte.

Kosel befahl, ihn herauszuführen, auf den mit Lohe bestreuten Longierplatz vor den Stallungen. Dahin begab man sich, und der immer galante Leopold brachte Stühle für die Damen.

Schon unter der Thür leistete Hansl den ersten Widerstand, spreizte die Vorderbeine und schlug gewaltig aus.

„Wie ein gemeiner Wald- und Wiesenesel,“ sagte Leopold, aber Bornholm erwiderte:

„Nein, er ist schön.“

Knallende Peitschenhiebe, die ein hinter dem Unband Stehender ihm versetzte, trieben ihn vorwärts. Da war er. Ein Kohlfuchs ohne Abzeichen, etwas hochbeinig, mit breiter Brust, prachtvollem Hals und Kreuz und ziemlich plumpem Kopf, den er in die Höhe hob, um mit Verachtung, mit heißem ingrimmigen Haß auf die Menschen, die Peiniger, herabzuschauen. Er schüttelte sich, blies die Nüstern auf und stieß einen scharfen, bedrohlichen Laut, mehr ein Schreien als ein Wiehern, aus. Eines seiner großen, rotunterlaufenen Augen war geschwollen und blutrünstig, die Haut mit Striemen getigert. Scharfe Sporen hatten ihm die Flanken zerwühlt; einmal ums andere durchlief ein kurzes, nervöses Zucken seinen mißhandelten Leib.

Luise stand hinter dem Stuhle der Tante Renate, und einige Schritte weit von ihr, zwischen Kosel und Leopold, Levin Bornholm. Sie wußte selbst nicht, warum sie gerade jetzt zu ihm hinsehen mußte; vielleicht weil auch seine Augen sich auf sie gerichtet hatten. Aus seinem Gesichte sprach eine so mühsam zurückgehaltene zornige Entrüstung, daß sie erschrak. Und doch schien ihr, als sei in seinem Blicke etwas gewesen, das ihr dankte. Sie hatten, jedes in seiner Weise, dieselbe Empfindung gehabt, und sie wußten es.

Dicht hinter Hansl war der Kutscher gekommen, schwang die Peitsche und brachte einen Nasenring herbei; zwei Stallpagen mit Bändigungswerkzeugen folgten ihm. Es war kein kleines Kunststück, das der Reitknecht zustande brachte, indem es ihm gelang, Hansl, der bockte, schlug und biß, festzuhalten, ohne von ihm verletzt zu werden.

„Hohla! oh – la!“ schrie der Kutscher und näherte sich mit der Bremse.

„Warum denn? Wozu ein Folterinstrument?“ fragte Bornholm, trat hinzu und griff nach den Zügeln. Hansl schnaubte ihn an; da war wieder einer, ein Mensch, also ein Feind, und der bekam seinen Willkommsgruß. Ehe Levin sich’s versah, schnappte das Tier nach ihm und grub ihm die breiten Zähne in den Arm. Er gab kein Zeichen des Schmerzes und ein ermahnendes: „Aber pfui!“ war alles, was er sagte. Drüben hatten alle aufgeschrieen, die Männer stürzten herbei, drohend, Peitschen und Stöcke schwingend, und riefen durcheinander:

„Untier das!“ „Gebissen!“ „Die Schulter ist weg!“ „Nein, der Ellbogen“ …

Bornholm winkte eifrig ab: „’s ist nichts! Fortbleiben! … Ich bitte!“ Die Stallleute aber fuhr er an: „Nicht anrühren! Das Pferd ist mein!“

Ja so! Ja – da gratulierten sie zu dem Besitze, sie waren froh, ihn los zu sein.

Hansl hatte den neuen Bändiger angestarrt, als warte er auf die unausbleiblichen Folgen seiner Unthat. Sie stellten sich nicht ein, und das überraschte, beängstigte ihn, machte ihn doppelt argwöhnisch. Je länger sie überlegen, die Menschen, um so Schlimmeres führen sie dann aus.

Ein langer Kampf begann, der Kampf zwischen Stützigkeit, Bosheit, Tücke und unermüdlicher Geduld. Das ordinäre Publikum lachte und freute sich über jeden gescheiterten Versuch Levins, dem scheuen Tier Zutrauen einzuflößen, das feine Publikum war voll Interesse und endlich voll Bewunderung. Heideschmied fühlte sich sogar begeistert.

„Sehen Hochwürden nur hin,“ flüsterte er dem Herrn Pfarrer zu, „je schwieriger der Schüler, je langmütiger der Lehrer; ich glaube seine Liebe zu dem Wildling wächst mit jeder Unbill, die er von ihm erfährt.“

„Ich kann mir ungefähr denken, was in ihm vorgeht – er sieht vielleicht sich selbst in dem Verstoßenen und Verfemten da, dem man – es ist ja möglich – manchen Fehler – eingeprügelt hat,“ erwiderte der geistliche Herr.

Mit seinem: „’s ist nichts“, hatte Levin übrigens unrecht gehabt. Es war etwas, und sein Arm mußte ihm gewaltig weh thun. Man sah, wie sehr er litt. Schweißtropfen, vom Schmerz erpreßt, standen ihm auf der Stirn, gelblichweiße Ränder bildeten sich um seine sonnverbrannten Wangen.

Doch hatte er etwas erreicht. Hansl ließ sich ohne allzu heftigen Widerstand dreimal nacheinander um den Longierplatz führen. „Jetzt empfehlen wir uns,“ sagte Bornholm. „Ich nehm’ ihn gleich mit.“

Weder Kosel noch seine Söhne wollten das zugeben. Er durfte ihn nicht selbst nach Hause führen mit seinem verletzten Arm, es ging durchaus nicht. Levin blieb allen Einwendungen gegenüber unerschütterlich, und die seine Geduld am meisten bewundert hatten, bedauerten auch am meisten seinen Eigensinn.

„Geduldig wie ein Heiliger und eigensinnig wie ein Bock,“ sprach Charlotte zu ihrer Schwester und machte sich gleich darauf die größten Skrupel – Bornholm konnte ihre halblaut hervorgestoßenen Worte gehört haben. Wenigstens war ihr, als ob er sie spöttisch anlächle. Ein kurzer Gruß und er ging hin mit seinem Pferd an der Hand. Ein Verwundeter, der einen Gefolterten führte. So lange er noch in Sicht blieb, rührte sich niemand, als er aber das Parkthor erreicht hatte, liefen Leopold und Franz, demselben Impulse folgend, ihm nach.

Bald darauf kehrten sie zurück und brachten die Nachricht, daß er glücklich in Valahora eingetroffen sei mit seiner zweifelhaften Acquisition.

Elika hatte die Zeit über lautlos in höchster Spannung dagesessen. Als Bornholm von Hansl gebissen wnrde, war sie so blaß geworden, daß Frau Heideschmied ihren Angstschrei „Elle se meurt!“ mit Mühe unterdrückte. Als aber Levin die ersten kleinen Siege über den Unbändigen errang, schwellte beseligender Stolz ihr Herz. Sie sah um sich, und ihre Blicke fragten: Was sagt ihr nun?

Als Bornholm fort war, langweilte sie die guten Tanten, weil sie nur von ihm sprach, und sie wieder fand es unbegreiflich, daß man heute an etwas andres denken könne. So gestaltete sich der Morgenbesuch in Velice recht unerquicklich. Zu Mittag ließ Kosel einspannen und Luise und Elika fuhren nach Hause. Es war früher noch bestimmt worden, daß der Urlaub der Kleinen in zwei Tagen aus sein solle. Sie mußte ihre Beschäftigungen wieder aufnehmen. Studien sagte man nicht. Für Renate hatte das Wort einen unweiblichen Beigeschmack, Charlotte fand es protzig. Mehr als vier Stunden täglich wurde Elika nicht am Lehrtisch festgehalten durch den Herrn Pfarrer und durch das Ehepaar Heideschmied. Guten soliden Musikunterricht erteilte ihr der neue Schullehrer; der alte war unter vielen Ehrungen zum Oberlehrer an eine andere größere Schule befördert worden, man sprach von seiner bevorstehenden Erwählung zum Landtagsabgeordneten.

Während der Rückfahrt bewahrte Elika anfangs tiefes Schweigen und brach es erst, als man an Valahora vorüberkam: „Dort ist der Arme und hat gewiß schreckliche Schmerzen und niemand kümmert sich um ihn.“ Es erschien ihr wie eine Fügung des Himmels, daß sie unterwegs den Doktor einholten, der immer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0423.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2021)