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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

mächtig zu Tage getreten. Der Norden ist bedeutend wärmer als der Süden; daher sind die organischen Wesen viel weiter gegen den Nordpol als gegen den Südpol verbreitet. Innerhalb des südlichen Polarkreises giebt es keine Menschen mehr, wohl aber innerhalb des nördlichen. Im Norden hat man schon 1831 die Lage des nördlichen Magnetpols bestimmt, den südlichen Magnetpol hat man noch nicht erreicht. Und was die Geschichte der Erforschung jener beiden Polargebiete betrifft, so möchte ich hier noch einmal betonen: in der arktischen Zone ist man seit 1818 ununterbrochen thätig gewesen und ist immer weiter gegen den Pol vorgedrungen, ohne eine unüberwindliche Schranke zu finden; im Süden ist seit 50 Jahren nichts Wesentliches mehr geschehen.

Um die Unternehmungen gegen den antarktischen Pol wieder in Fluß zu bringen, ist ein deutscher Gelehrter von hohem wissenschaftlichen Ruf, der Leiter der Deutschen Seewarte, der Wirkl. Geh. Admiralitätsrat Neumayer vor allen anderen seit mehr als 40 Jahren unermüdlich mit Wort und Schrift thätig gewesen und hat namentlich auf den deutschen Geographentagen und nicht zuletzt im Jahre 1895 auf dem Internationalen Geographenkongreß zu London seine Stimme erhoben.[1] Dabei hat er von den Fachmännern allseitige Zustimmung erfahren.

Fassen wir nun seine Gedanken über die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Südpolarexpedition kurz zusammen: Eine Entwicklung der erdphysikalischen Wissenschaften kann ohne erneuerte Forschungen und Stationsbeobachtungen im antarktischen Gebiete gar nicht gedacht werden. Es kommen dabei zunächst der Erdmagnetismus, die Meteorologie und die damit in Beziehung stehenden Zweige der Geophysik in Frage.

Als den Kernpunkt aller Argumente, die sich auf die Notwendigkeit der Südpolarforschung beziehen, betrachtet Neumayer die Beobachtungen über den Erdmagnetismus. „Alle Bestrebungen zu gunsten der Entwicklung unserer Anschauungen über die Natur der erdmagnetischen Kraft werden fruchtlos sein, so lange wir nicht eine gründliche Kenntnis von der Verteilung und Aeußerung dieser Kraft innerhalb der Südpolarzone gewonnen haben werden.“

Daneben soll durch Pendelbeobachtungen die Verteilung der Schwerkraft und danach die Figur der Erde ermittelt werden. Eine Gradmessung zur Ermittlung der Gestalt der Erde soll als schwierig und zeitraubend nicht ausgeführt werden, da sie durch Pendelbeobachtungen einen Ersatz findet.

Von großer Wichtigkeit sind auch meteorologische Beobachtungen. Der südliche Ringocean, südlich von den Südspitzen der Erdteile, beeinflußt die Wärmeverteilung und deren Aeußerung auf den Zustand der Erdoberfläche in hohem Grade. Die Temperaturerscheinungen der nördlichen und südlichen Hemisphäre sind sehr verschieden. Zwischen dem 60. und 65. Breitengrade zeigt in den Sommermonaten Juli auf der nördlichen und im Februar auf der südlichen Erdseite die mittlere Temperatur der Luft einen Unterschied von mehr als 10° C., dementsprechend ist auch die Temperatur des Wassers in der südlichen Hemisphäre bedeutend niedriger als im Norden. Eine natürliche Folge davon ist die weit größere Ausdehnung von Schnee und Eis auf der südlichen Erdhälfte. Schon auf der Wellingtonsinsel (49° 25’ südlich und 74° 40’ westlich von Greenwich) reichen die Gletscher bis ans Meer herab. Das Studium des Polareises läßt nach den Forschungen Drygalskis, der zu dem Zwecke eine zweimalige Reise nach Grönland unternommen hat, einen Schluß auf die Natur des Gebietes zu, woher das Eis stammt, denn Meereis, Binnenseeeis und Gletschereis sind wohl zu unterscheiden. Das im Meer gebildete Eis zeigt Krystalle, deren Hauptachsen sich parallel zur gefrorenen Oberfläche stellen. Beim Binneneise stehen die Achsen senkrecht, beim Gletschereis ist die Richtung verschieden. Die Natur des Eises läßt also einen Schluß auf die Bodengestalt und Beschaffenheit des hohen Südens zu. Die Höhe der südlichen Eisberge ist noch nicht gemessen, und doch läßt sich daraus auf die Mächtigkeit des Inlandeises und auf die Meerestiefen schließen. Ist eine Station auf dem antarktischen Lande errichtet, so kann man aus den dort an einer einzelnen Stelle gemachten Beobachtungen Schlüsse über das Klima des ganzen Eisrandes thun.

Ueber die erdgeschichtliche Bedeutung der Südpolarforschung hat sich Professor Penck schon vor zehn Jahren auf dem Deutschen Geographentage in Hamburg ausgesprochen. Nach seiner Ansicht ist die Entwicklung der Organismen, der Pflanzen und Tiere von den Polen ausgegangen. Ueber die nördlichen Polarländer liegen schon genaue geologische und paläontologische Forschungen vor, über das antarktische Gebiet wissen wir sehr wenig. Aus den fossilen Resten der arktischen Gebiete, die namentlich von Osw. Heer bearbeitet worden sind, scheint hervorzugehen, daß die jüngeren Floren und Faunen vom Nordpol wie von einem Entwicklungscentrum neuer Organismen ausstrahlten und sich von da in die um den Pol gelagerten Landmassen der Alten und Neuen Welt immer weiter nach Süden verbreiteten. Es hängt dies damit zusammen, daß mit der zunehmenden Erkaltung der Erdrinde das ursprünglich gleichartige Klima auf der ganzen Erde zuerst an den Polen eine Aenderung erfuhr. Das geschah noch in der Tertiärzeit. Mit dem veränderten Klima in der Polarregion mußten aber andere Pflanzen und Tiere entstehen, und diese Formen wanderten mit immer stärker werdender Ausprägung des Klimas einzelner Zonen von den Polen, wo sie entstanden, immer weiter gegen den Aequator. „Sind die Pole,“ so schließt Penck, „die Centren, von denen aus eine stete Weiterentwicklung der organischen Welt eingeleitet wird, so muß sich dies im Norden wie im Süden, auf beiden Hemisphären nachweisen lassen. Nun ist nicht zu verkennen, daß durch geographische Umstände die vom Nordpol ausgehende Entwicklung in ganz anderem Maße begünstigt wurde als die vom Südpol ausstrahlende, weil um den Nordpol ein Landring liegt, auf dem sich die Organismen weiter verbreiteten; um den Südpol aber zieht sich ein Ringocean, der die antarktischen Länder von den bekannten fünf Erdteilen trennt.“ Auf der arktischen Seite sprechen viele Beobachtungen für diese Theorie, auf der antarktischen Seite fehlen uns noch alle Unterlagen.

Indes darf nicht verschwiegen werden, daß Professor Mohn in Christiania, indem er die wichtigsten Ergebnisse von Nansens glücklich vollendeter Nordfahrt zusammenstellt, gegen die Theorie der Ausstrahlung des organischen Lebens von den Polen aus in der jüngsten Zeit Bedenken erhoben hat. Er schreibt: „In den höchsten Breiten wurden in großen Meerestiefen keine Organismen mehr gefunden. Damit fällt die Theorie des polaren Ursprungs der tierischen Organismen.“ Dagegen schreibt Nansen selbst im Schlußworte zur 2. Auflage seines berühmten Werkes „In Nacht und Eis“, Bd.II, S. 516 (Leipzig 1898): „Selbst in den höchsten Breiten fand sich im Meere tierisches Leben, meistens Krustentiere (Copepoden und Amphipoden). Es wird auch am Pol noch so sein, wenn auch die Menge des Lebens im Wasser mit der größeren nördlichen Breite abnimmt und im Vergleich mit der in südlicheren Meeren enthaltenen nur gering ist.“

Mir scheinen daher die von Penck vorgetragenen Theorien immer noch der Beachtung wert, solange nicht eine vollbefriedigende Widerlegung erfolgt ist. Jedenfalls bleibt die Untersuchung, oder richtiger noch zunächst das Suchen nach antarktischen Fossilien eine der wichtigsten Aufgaben einer südpolaren Expedition.

Daß für die Entwicklung aller auf die Erde bezüglichen Wissenschaften Forschungsreisen nach dem hohen Süden dringend erwünscht sind, liegt nach diesen Darlegungen auf der Hand.

Es handelte sich nun um die Möglichkeit der Ausführung.

Nachdem auch der elfte, zu Ostern 1895 in Bremen abgehaltene Geographentag sich entschieden zu gunsten einer südpolaren Unternehmung ausgesprochen und infolgedessen bereits eine Kommission ernannt hatte, welche die Organisation vorbereiten sollte, brachte der Urheber des Planes, der natürlich an die Spitze der deutschen Polarkommission berufen wurde, seinen Entwurf auch noch vor das Forum des im Sommer 1895 zu London versammelten VI. internationalen Geographenkongresses, um das Urteil auch von nichtdeutschen Autoritäten aufzurufen. Auch in London sprach man sich sehr günstig über Neumayers Plan aus und der Kongreß erklärte „die Erforschung der antarktischen Regionen für das bedeutendste der noch zu lösenden geographischen Probleme“.

Auf solche von allen Seiten erfolgte Zustimmung entwarf nun Neumayer einen Plan zur Ausführung, der dann auch der deutschen Polarkommission vorgelegt wurde und dahin ging, zwei Schiffe auszusenden, von denen eine Beobachtungsstation innerhalb des südlichen Polarkreises für wenigstens zwölf Monate Dauer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0412.jpg&oldid=- (Version vom 10.6.2021)
  1. Ueber Südpolarforschung. Separatabdruck aus dem Berichte des sechsten Internationalen Geographenkongresses, London 1895. 59 S.