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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Die Frau is kein Mannsen mehr, die Frau is ein Weibsen geworden wie jede andere, auch mit Kinderpäppeln und Kinderputzen, man merkt’s, gottlob, man merkt’s,“ sagt der alte Oberknecht Hoch auf dem Rödershofe und schüttet einen Sack voll Kartoffeln, von den besten, die zum Verkauf bestimmt sind. „Da lieg du,“ spricht er zum vollen Sack, „morgen früh nehm’ ich dich mit in die Stadt, die Wernern ißt auch gern was Gutes.“

In der Gesindestube haben sie sich Branntwein geholt und machen Punsch. Die Frau kommt ja nicht, die sitzt in der Kinderstube.

Die Kleinen sind noch bei ihr; ein Jahr wird’s in einigen Wochen, seitdem sie dieselben pflegt. Sie weiß nicht, wie lange man sie ihr noch lassen wird, sie weiß nicht, wie Anton die Nachricht, daß die kleinen Geschöpfe bei ihr sind, aufgenommen, sie weiß nicht einmal, ob er es überhaupt erfahren hat. Heine schrieb ihr nur: „Behalten Sie die Kinder bis auf weiteres, Frau Christel.“

Das ist ein Jubel und eine Qual zugleich gewesen. Wie lange? Was heißt – bis auf weiteres? In der Furcht, sie eines Tages doch hergeben zu müssen, hat sie sich ihnen so ausschließlich gewidmet, daß ihr für nichts anderes mehr Zeit bleibt. Die tüchtige Wirtin, die umsichtige Herrin des Rödershofes, die praktische Geschäftsfrau – alles ist untergegangen in dem einen – Christel ist nur noch Mutter. Sie sieht, daß das Gesinde sie mit anderen Blicken betrachtet als sonst, sie ertappt es auf Unredlichkeiten und muß sein Herauslügen geduldig mit anhören, weil sie ihm das Gegenteil von dem, was es behauptet, nicht beweisen kann.

Schwager Wendlandt kommt eines Tages und sagt, über und über rot vor Verlegenheit, „Schwägerin, möchten Sie nicht ein wenig den Meier im Auge behalten?“

„Warum?“ fragt sie wie schuldbewußt.

„Der Kerl fährt den Dünger auf einen falschen Acker.“

„Lieber Himmel,“ ruft Christel, „und ich hab’ gemeint, er ist ein zuverlässiger Mann, Schwager. Ich kann jetzt nicht mehr stundenlang draußen sein und so überall dabei, es ist schon ein Elend, wenn einem die Zeit so knapp wird.“

„Sie wissen ja wohl, Schwägerin, daß sich der alte Racker da oben herum, wo Ihre Roggenbreite im letzten Sommer war, zwei Morgen Acker gepachtet hat vom Schullehrer aus Bischwerder; Bischwerder Flur grenzt ja dort, wie Sie wissen?“

Christel schüttelt erstaunt den Kopf. „Und dafür der Dung?“ fragt sie, und die Entrüstung färbt ihr die Wangen.

„Wahrscheinlich auch Zeit und Saatkorn,“ ergänzt Wendlandt.

Christel schweigt und faltet die Hände ineinander.

„Ich dachte mir, es sei besser, Sie wüßten’s,“ fährt Wendlandt fort. „Sie haben jetzt so ’n bißchen viel auf sich genommen, Schwägerin; wenn’s Ihnen über den Kopf wächst, kann ich ja, wenn’s Ihnen recht ist, ab und zu mal herüber schauen von meinem Stück aus?“ Es klingt so treuherzig mitleidig, aber in Christel regt sich der Stolz.

„Bin Ihnen sehr dankbar,“ sagt sie – „so ganz gelegentlich, wenn Sie wollen; werd’ aber jetzt selbst wieder hinter dem alten Freund her sein, und wenn’s nicht stimmt, geht er.“

„Nichts für ungut, Schwägerin.“

„Warum denn? Ich bin Ihnen dankbar, Wendlandt.“

Christel hat eine schlaflose Nacht. Wie soll sie’s nur machen?

Ein Kindermädchen muß sie anschaffen, sich wieder der Wirtschaft widmen, sie muß persönlich auf dem Platze sein. Die Maschine geht ja wohl ein Weilchen allein, aber dann dreht sich das eine oder andere Rad langsamer, oder es hängt sich etwas dazwischen und hindert den Lauf, und das Getriebe stockt eines Tages. Nein, Christel muß wieder auf ihren Posten, es geht nicht anders.

Wie sie die Kleinen angezogen hat am andern Morgen, läßt sie die alte Muhme Reeder holen und macht sie zur Herrscherin der Kinderstube. Ein sauberes altes Frauchen ist diese Muhme, die ihre wendische Tracht noch trägt und sich als Wärterin beinahe großartig ausnimmt, aber sie hört schwer und ist ein bißchen wortkarg und still. Christel schreit ihr in die Ohren, wie sie sich zu benehmen habe und daß die Kinder ganz nett miteinander allein spielen. Nur acht solle sie geben, damit keines falle und schreie, denn der Junge sei ein bißchen wild. Und die Alte hält ihr linkes Ohr etwas vor mit der Hand, um besser zu verstehen, und gelobt alles, was Christel verlangt.

Zu thöricht, mit so schwerem Herzen vom Hofe zu gehen! Vorher hat’s sie doch noch einmal getrieben, in die Kinderstube zu treten. Es ist sehr still darinnen gewesen, alle die drei, und das alte Weibchen dazu, haben gefrühstückt; die Zwillinge jedes ein Semmelchen in dem dicken Fäustchen, Lothar ein Butterbrot und die Alte eine mächtige Schnitte. Dabei haben die Kinder die neue Wärterin mit großen Augen angesehen. Vorläufig ist’s ja musterhaft, und Christel eilt davon.

Scheinbar findet Christel alles in Ordnung auf dem Felde. Die große Breite ist zur Hälfte umgeackert. Der alte Oberknecht schreitet würdevoll hinter dem Pflug her und der Knecht kommt ihr diesseits an der andern Seite entgegen. Drüben, über der Chaussee liegt ein bereits bestelltes Stück Acker, das Christel als dasjenige kennt, welches zur Lehrerstelle Bischwerder gehört. Sie wartet, bis der Alte herauf kommt und am Chausseegraben wendet. Er sieht eitel freundlich aus und erwidert auf die Frage, wem dort drüben der Acker gehöre, sehr stolz: „Hab’ ich mir gepachtet, und gepflügt hat’s der Wernern ihr Bruderssohn, der Wirt ist zum ‚Rautenberg‘ in Bischwerder; der hat zwei Spann Pferde und thut’s mich zu Gefallen.“ Er wartet gar nicht ab, bis sie ihn fragt, wer’s beackert hat, er umgeht diese Frage mit dreister Lüge.

„Wir könnten schon fertig sein hier, Hoch,“ sagt sie streng.

„Hiermit?“

„Ich dächte – der Zeit nach?“

„Wenn ich der Frau zu langsam schaffe, kann sie sich ja nach einem andern Meier umsehen, dann gehe ich Neujahr,“ lautet die in aller Seelenruhe gegebene Antwort.

„Schon recht,“ sagt Christel, äußerlich gar nicht aus der Fassung gebracht.

„Man hat so schon seine Ordnung nicht mehr richtig,“ fährt der Oberknecht fort und hebt kräftig die Pflugschar, um sie zu wenden, „das Essen ohne Saft und Kraft, und was die Butter ist, da spritzt einem die Milch ins Gesicht, wenn man sie aufstreicht. Für den Lohn kann ich’s ohnehin nicht mehr machen, wollt’s der Frau schon längst sagen.“

„Steht Ihnen nichts im Wege,“ antwortet Christel, „aber bis dahin bitte ich mir aus, daß Sie Ihre Schuldigkeit ordentlich thun, sonst fällt’s Zeugnis danach aus, verstanden?“

„Brauch’ kein Zeugnis mehr, ich dien’ nich’ wieder, ich heirat’ die Wernern nach Weihnacht, dann wirtschaften wir für uns,“ antwortet der Alte kurz.

„So, so!“ macht Christel und wendet ihm den Rücken. – Es ist eine Kalamität mit dem Landgesinde heutzutage, eine doppelte, wenn eine Frau der Gutsherr ist. Christel kommt mit gerunzelter Stirn nach Hause; sie ist furchtbar rasch gegangen, denn neben dem Bewußtsein, daß sie einen Ersatz für den Meier, ein Mittelding zwischen Herrn und Knecht, wird mühsam suchen müssen, hat sie plötzlich die Angst um die Kinder überfallen, und die treibt sie förmlich durch die Herbstnebel heim. Sie will nur einen Augenblick oben nachschauen, bevor sie sich, wie immer, in der Wirtschaft zu thun macht. Marie ist ja tüchtig, aber auch hier will sie wieder selbst schaffen, soviel sie kann wenigstens.

Droben ist kein munteres Plappern und Spielen wie sonst, unwillkürlich horcht sie ein wenig an der Thür. Lothar kniet auf dem Stuhl und wendet den Kopf nicht, als sie hereintritt, Toni sitzt auf dem Teppich mit verweintem Gesichtchen und die Muhme Reeder hat Josephachen auf dem Arme, und das kleine Ding sieht kaum Christel, als es in ein gellendes Geschrei ausbricht und mit den Armen nach ihr langt.

„Was ist denn geschehen?“ fragt Christel, entsetzt das in Wasser getauchte Taschentuch auf der Stirn des Kindes gewahrend.

Die Alte läßt die Kleine aus ihren Armen in die Christels übergehen und berichtet mit einer ihr sonst fremden Beredsamkeit, daß das arme Kind mit dem hohen Stühlchen, in dem es am Tische gesessen, umgefallen sei, ganz von allein. „Kein Mensch konnte da was vor! Ordentlich Kobolz ist sie geschossen. Zuerst hat sie gar nicht geschrieen und ist kreideweiß gewesen, und nun hat’s so eine dicke Brausche auf der Stirn.“ Aber sie, die Muhme Reeder, habe gleich mit dem Messerrücken darauf gedrückt und „Heile, heile Segen!“ gemacht. „S’ ist schon wieder ganz gut, die Frau braucht keine Angst zu haben.“

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