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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Aus der Wiener Jubiläumsausstellung.

Von Vincenz Chiavacci.0 Mit Illustrationen von Joh. Nep. Geller.
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Pavillon der bosnischen Landesregierung.

Ja ist es denn möglich, an der Neige unseres Jahrhunderts eine Ausstelluug zu bieten, die den gebildeten Mitteleuropäer noch zu reizen vermag? Hat man nicht seit fünfzig Jahren diese Industriebazare und Weltjahrmärkte durchwandert und trotz alles Raffinements in der Anordnung und aller verblüffenden Größe der Ausdehnung doch immer wieder dasselbe gesehen? Aehnlich urteilen viele, aber trotzdem üben die immer wiederkehrenden Ausstellungen eine große Anziehungskraft aus und bieten dem zahlreichen Publikum thatsächlich neues. So muß auch ein Gang durch den Park der Wiener Jubiläumsausstellung im Prater, welche am 7. Mai durch Kaiser Franz Josef feierlich eröffnet wurde, den vorurteilslosen Besucher belehren, daß das Programm dieser Ausstellung schon durch den besonderen Anlaß eine wirklich originelle und interessante Ausgestaltung erfahren hat. Sie ist gedacht als ein großartiger Huldigungsakt zum fünfzigiährigen Regierungsjubiläum des Monarchen und hat den Zweck, die Entwicklung und die Fortschritte auf allen Gebieten der Produktion, der Industrie, des Gewerbes und Unterrichtswesens, der Bildung wie der Wohlfahrtseinrichtungen während der Regierungszeit des Kaisers darzustellen. Die Ausstellung, welche der niederösterreichische Gewerbeverein und die Landwirtschaftsgesellschaft veranstalten, ist mit wenigen Ausnahmen nur eine Ausstellung Wiens und des Landes Riederösterreich; doch wirkt sie teilweise wie eine Reichsausstellung, da das mächtige Kulturcentrum Wien die Entwicklung des Gesamtreiches am getreuesten wiederspiegelt.

Schon die Namen der einzelnen Gebäude: „Wohlfahrt“, „Bildung“, „Jugendhalle“, „Urania“, „Polizei“, „Rettungsgesellschaft“, „Feuerwehr“, „Stadterweiterung“, verraten, daß in diesen Veranstaltungen die kulturelle Entwicklung und die sozialreformatorische Arbeit des Volkes und der Gesetzgebung zum Ausdruck gelangen sollen.

Der Monumentalbau der Rotunde (vergl. Abbildung S. 400 und 401), welcher aus der Weltausstellung von 1873 herrührt, bildet auch jetzt den Kern der Ausstellung. Der ungeheuere Rundbau mit seinen Galerien, Transepten, Höfen und Annexen enthält eine Gewerbe- und Industrieausstellung, immer mit dem Hinblick auf die Entwicklung der einzelnen Zweige während der Regierungszeit des Kaisers. Hierher darf sich der Schritt des flüchtigen Besuchers gar nicht wagen. Die einzelnen Gruppen, Wohnung, Verkehr, Kleidung, Kunstgewerbe, Heeresausrüstung, Arbeit, der Silberhof, der Seidenhof, verlangen Stunden der treuesten Hingebung.

Rechts vom Haupteingang an der Südavenue (zur Rechten auf unserem Bilde) fesselt den Blick ein zierlicher in orientalischem Maßwerk ausgeführter Bau, in dem sich stets zahlreiche Besucher drängen. Er enthält die Ausstellung der bosnischen Landesregierung. Der Architekt Josef Urban hat den Holzbau errichtet und die Maler Alphons Mielich und Hans Wild haben ihn mit Wandmalereien geschmückt.

Es ist kein Wunder, daß dieser Teil der Ausstellung das Interesse des Publikums in ganz besonderer Weise erweckt. Der Wiener liest wohl ab und zu in den Berichten aus den Delegationen, was der Reichsfinanzminister Kallay über die Kulturfortschritte in jenen interessanten, der Monarchie seit zwanzig Jahren angegliederten Ländern erzählt, aber trotz Eisenbahnen und Dampfschiffen ist der Verkehr dorthin ein sehr geringer. Der Wiener erinnert sich an Bosnien, wenn er eine Kompagnie der fezgeschmückten Landessöhne von jenseit der Save über die Ringstraße marschieren sieht, und hier und da schließt eine böhmische Köchin mit einem der schmucken baumlangen bosnischen Soldaten eine Allianz, ohne sich weiter um Geographie und Ethnographie zu kümmern. Für die österreichische Regierung ist aber das Aufblühen und die kulturelle Entwicklung dieser Länder eine wahre Herzenssache, so eine Art Fleißaufgabe, mit welcher sie dem übrigen Europa beweisen will, daß sie gar wohl imstande ist, die Kultur nach Osten zu tragen. Und nach dem, was uns diese Ausstellung zeigt, muß man den Beweis für erbracht halten. Eine zielbewußte Hand hat in den zwei Jahrzehnten eine überraschende Fülle von Kulturkeimen ausgestreut, die in dem genügsamen und intelligenten Volke Wurzel geschlagen und zum Teil auch vielversprechende Blüten angesetzt haben. Uralte halbvergessene Industrien blühen wieder auf und erstarken an den Mustern moderner Kunst. Das Tauschieren, Inkrustieren, Ciselieren, einst durch byzantinische und venezianische Einflüsse in hoher Blüte, war ganz in Verfall geraten, der Geschmack war verroht, die Stilarten hatten sich verwischt. Hier hat die Regierung energisch eingesetzt und der Erfolg lohnte ihre Bemühungen. Heute steht diese Industrie in Bezug auf die Technik der Ausführung auf der höchsten Stufe. Wir verfolgen mit Interesse die Arbeit dieser Kunsthandwerker, die in ihrer Landestracht in bazarähnlichen Räumen vor uns schaffen; daneben sitzen Arbeiterinnen vor den Webstühlen, allerlei künstliche Gewebe fertigend. Wir sehen da einen echten Perserteppich entstehen, eine mühsame Knüpfarbeit, und daneben die Flachweberei, welche minderwertige Arbeit liefert. Die land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnisse, die berühmte Tabak- und Weinkultur, die Fischzucht, die Zwetschgenkultur, Schaffelle und Wolle, Honig und Wachs, sowie die im Entstehen begriffene Seidenkultur zeugen von der Ergiebigkeit des Bodens. Die unablässige, stille und kluge Kulturarbeit der Regierung zeigt sich aber am eindringlichsten bei den zahlreichen Modellen von den bereits ausgeführten gemeinnützigen Gebäuden. Man sieht hier Schulen (Medresses), Bäder, Spitäler, nach dem Pavillonsystem konstruiert, das Modell zum Rathaus in Serajevo, ganz in orientalischem Stil gebaut. Der Schöpfer dieser Ausstellung und der werkthätigste Förderer der bosnischen Kulturarbeit, Hofrat Konst. Hörmann, ist als Organisator, Gelehrter und Publizist ein Apostel des Fortschritts.

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Wohlfahrtspavillon.
Pavillon der Stadt Wien. 

Sowohl durch Originalität, als auch durch überragende Größe fesselt das Gebäude der Wohlfahrtsausstellung den Blick. Sie giebt ein überaus reiches Bild der während der Regierungszeit des Kaisers geschaffenen öffentlichen und privaten Wohlfahrtseinrichtungen. Der Kampf zwischen alter und neuer Kunstrichtung wird auch bei diesem Bau zum Ausdruck gebracht, und man muß gestehen, daß der Architekt Ernst v. Gotthilf bei allem Respekt vor der Tradition für eine moderne Sache eine moderne Kunstsprache mit Erfolg angewendet hat.

Ohne übermäßigen Prunk, wie Säulenordnungen, Attiken, Balustraden, steht der Pavillon in seiner charakteristischen Einfachheit da: die pylonenartigen Seitenflügel tragen als Krönung ein pergolaähnliches Lattendach. Den einzigen Schmuck bildet ein al fresco gemalter Fries von Ferd. Graf: „Der Hain der Wohlfahrt“.

Das Innere ist ein Gabentempel des menschlichen Mitleids. Die Sorge für die Schutzbedürftigen und Schwachen und all die Schöpfungen zu ihrem Wohle, wie Waisenhäuser, Kinderasyle, Rettungshäuser, Taubstummen- und Blindeninstitute, Kindergärten, Kinderkrippen, bilden die eine Abteilung. Das Sanitätswesen, die Assaniernngseinrichtungen, Wasserleitungen, Kanalisation, Lebensmittelpolizei die zweite Gruppe. Daran schließen sich in schier unübersehbarer Zahl alle

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0397.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2021)