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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Um diesen Bastard auf den Thron zu setzen, hielt Clemens zehn Monate lang das unglückliche Florenz belagert, und Karl V mit seinen Spaniern und Deutschen that ihm Schergendienste, bis die florentinische Freiheit aus der Brust des eisernen Ferrucci zu Gavinana ihren letzten Atem verhaucht hatte und der Verräter Malatesta die edle Stadt geknebelt und verblutend den ruhmlosen Siegern zu Füßen legen konnte. An jenem Tage starb Florenz, um niemals mehr im Lauf der Geschichte aufzuerstehen; aber es hat mit dem letzten heroischen Verzweiflungskampf die Sünden vieler Jahrhunderte, seine Uneinigkeit, Verweichlichung und Entartung gut gemacht und der Welt ein glorreiches Beispiel hinterlassen, wie das Große untergeht.

Jetzt noch einen Vertragsbruch, eine Massenproskription mit Bluturteilen und Verbannungen – dann konnte der Bastard Alessandro als Herzog von Florenz und künftiger Eidam des Kaisers im Juli 1531 seinen Einzug halten.

Der neue Herr kam mit reinen Händen, denn die Kreaturen des Papstes hatten das Rachewerk für ihn besorgt. Ueber dreihundert der besten Bürger waren aus der Heimat vertrieben, viele andere hatten unter dem Beil geendet, und die Stadt, die schon durch die lange Kriegsnot und durch die Pest verwüstet war, lag in Friedhofsruhe. Handel und Gewerbe hatten aufgehört, die Finanzen waren verblutet, denn was der Krieg noch übrig gelassen hatte, das fraß nun die Kontribution; die kleinen Leute waren ohne Brot, die Großen in Trauer um ihre hingerichteten Familienhäupter, Ernten und Viehstand vernichtet; die herrlichen Villen und Landgüter vor der Stadt, die „Krautgärtchen der Florentiner“, wie sie Clemens spöttisch nannte, der geglaubt hatte, um ihretwillen würden seine Landsleute sich nie auf einen ernstlichen Widerstand einlassen, waren von den Bürgern selbst unter der Leitung Michelangelos während der Belagerung zu militärischen Zwecken rasiert worden.

Es wäre gar nicht nötig gewesen, mit so drakonischer Strenge bei der Entwaffnung der Bürger vorzugehen, wie Alessandro that, denn niemand dachte mehr an Widerstand. Dennoch wurden, als alle Waffen längst abgeliefert waren, die Häuser noch nach schneidenden Küchenwerkzeugen durchsucht, und sogar die ex voto in den Kirchen aufgehängten Messer mußten entfernt werden.

Zögernd kam damals Michelangelo aus seinem Versteck im Glockenturm von San Niccolò hervor und begab sich mit Widerstreben an seine Arbeit in der Sakristei von San Lorenzo, die Vollendung der Mediceergräber, die der Papst ihm mit Erlassung seiner politischen Sünden auferlegt hatte. Aber der Zorn des Künstlers in diesen Tagen der Schmach hat sich wie glühendes Erz in einen Vierzeiler ergossen, der so unvergänglich ist wie seine monumentalen Werke. Als einer der Strozzi, die zu dem mediceischen Kreis gehörten, unter die wunderbare Statue der Nacht in der Grabnische des Herzogs Giuliano die Verse angeheftet hatte:

„Die Nacht, die hier so hold der Schlaf umflicht,
Ist Marmor, doch ein Engel[1] gab ihr Leben.
Sie schläft und also lebt sie – glaubst du’s nicht,
Weck’ sie nur auf, sie wird dir Antwort geben –“,

ließ der furchtlose Meister seine Statue erwidern:

„Gut, daß ich schlafe und von Marmor bin,
Weil Schmach und Unheil meine Heimat trafen.
Nicht seh’n noch hören ist mir Hochgewinn,
Drum stör’ mich nicht, sprich leis und laß mich schlafen!“[2]

Damit nichts mehr an die alte Freiheit erinnere, wurde auch die große Glocke, die viele Jahrhunderte lang in Zeiten der Gefahr das Volk zusammengerufen hatte, vom Turm des Palazzo Vecchio herabgeholt und in Stücke geschlagen, zur Strafe, daß sie vier Jahre früher beim letzten Aufstand gegen die Medici dem jetzigen Herrn und seinem Vetter Ippolito ins Exil geläutet hatte.

Der kaiserliche Kommissär Alessandro Vitelli terrorisierte mit seinen Söldnern die Stadt, und die waffenlosen Bürger wichen auf Straßenweite aus, wenn nur der Schritt der Patrouille durch die engen Gassen ertönte. Ein Polizeichef, Ser Maurizio, den man aus Mailand verschrieben hatte, weil man keinem Einheimischen traute, verwaltete sein Amt mit so barbarischer Grausamkeit, daß, wer ihn mit seinen Sbirren auf der Straße nur von weitem sah, für den ganzen Tag nicht mehr froh wurde. Die Leibwache, die den Herzog mit ihren neumodischen, aus der Rüstkammer der Landsknechte stammenden Spießen überall begleitete, war den Florentinern vollends ein ganz ungewohnter Anblick und vermehrte den Schrecken. Dazu war das Aeußere des jungen Herzogs abstoßend: negerartiges Kraushaar und aufgeworfene sinnliche Lippen, aus denen brutale und cynische Reden gingen, ein polterndes Betragen – der Typus eines Gewaltherrschers und Usurpators.

Zwar fehlte es ihm zu Anfang seiner Regierung nicht ganz am guten Willen, bald aber rissen ihn die wilden Gelüste seines Negerbluts und das schrankenlose Machtbewußtsein hin; die Geschäfte langweilten ihn und wurden summarisch abgethan, roher Genuß ward sein einziger Lebenszweck, und er stürzte sich in maßlose Ausschweifungen. Daß die schönsten Edeldamen bei seinen Gelagen erscheinen und sich sein Wohlgefallen zur Ehre schätzen mußten, genügte ihm nicht; er brauchte die Gewalt zur Würze seiner Vergnügungen, darum brach er bei Nacht mit seinen Schergen in verschlossene Privathäuser ein, und mit besonderer Vorliebe machte er die Klöster zum Schauplatz seiner Gewaltthaten, wie er auch bei seinen Festen selber gern als Nonne verkleidet erschien.

Seine Vertrauten suchte er sich in der Hefe des Volks: zwei Verworfene, Giomo da Carpi und einen gewissen Unghero, erhob er zu seinen Kämmerern, und mit ihnen zog er des Nachts auf Abenteuer, wobei es selten ohne Blutvergießen abging und mitunter des Herzogs eigenes Leben in Gefahr kam. Fand man des Morgens eine Leiche auf der Straße, so wußte man, daß der Herzog sich in der Nacht belustigt hatte, und es wurde kein Aufhebens darüber gemacht. Ser Maurizio, dem man nachsagte, er wäre im stande, Johannes den Täufer[3] foltern zu lassen, wußte, wie man die Leute zum Schweigen bringt.

Wenn der Herzog durch die Straßen ritt, so saß fast immer ein kleines, mageres, finster blickendes Männchen in schlechter Kleidung hinter ihm auf dem Pferd, wie die „schwarze Sorge“, von der die Horazische Ode singt. Es war sein Verwandter und Günstling Lorenzino de’ Medici – das Diminutiv führte er in der Familie wegen seines schwächlichen Wuchses und weil er der Jüngste dieses Namens war –, das Volk aber nannte ihn Lorenzaccio, durch welche Endung die italienische Sprache etwas Niedriges und Verabscheuungswürdiges ausdrückt. Ihm schrieb man den Hauptanteil an des Herzogs Missethaten zu; man erzählte sich, daß er den Despoten aufhetzte gegen sein Volk, daß er ihm zutrug, was in der Stadt über ihn geredet wurde, daß er unzüchtige Lieder und Komödien zu des Herzogs Vergnügen verfaßte und sich zu seinem Kuppler hergab. Man haßte und verachtete ihn zugleich, wie ein giftiges Gewürm, das man nicht zertreten darf.

Bei Hofe hieß er nur der „Philosoph“, denn er kleidete sich unscheinbar und altmodisch und ging gern einsam und melancholisch einher; auch wußte man, daß er ein Gelehrter war. Der Herzog konnte ohne ihn nicht leben. Lorenzino mußte ihm die Strickleiter halten, wenn er über fremde Mauern kletterte, und stand mit Giomo und dem Unghero Wache vor den Thüren, in die Alessandro gewaltsam eindrang. Lorenzino war unermüdlich, des Herzogs Liebeshändel zu vermitteln. Er belustigte ihn durch seine böse Zunge und seine zur Schau getragene Feigheit: beim Anblick einer bloßen Waffe erbleichte er und machte Miene davonzulaufen, nicht einmal nennen durfte man in seiner Gegenwart ein solches Mordgerät; der Herzog, der unerschrocken und stark war wie ein Goliath, lachte Thränen über die Furchtsamkeit seines Vetters und beschützte den Kleinen mit wegwerfender Herablassung.

Und dieses labyrinthische Gemüt brütete über einem Blutgedanken, der auch den Tapfersten erschrecken konnte: Lorenzino hatte sich das Ziel gesetzt, mit eigenen Händen den Tyrannen zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0394.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2021)
  1. Engel = angelo – eine beliebte Anspielung auf den Namen des Meisters.
  2. Die Übersetzung kann nur den Sinn wiedergeben; der gewaltige einfache Guß der Verse läßt sich im Deutschen nicht nachahmen.
  3. In Florenz besonders verehrt als Schutzpatron der Stadt.