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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

dem Sonnenuntergang entgegen. Blendend und strahlensprühend versank das Tagesgestirn hinter der fast geraden Linie, die von den fernen Karpathen am Horizont gebildet wurde. Elika hatte einen Augenblick hingesehen. „So sterben!“ rief sie.

„Das hat sich schon Karl Moor gewünscht. Mir wär’ lieb, wenn mein Liebling lieber nicht vom Sterben spräche,“ versetzte Luise und legte auf die Silbe „lieb“ jedesmal besonderen Nachdruck.

„Ist’s nicht besser, als wenn ich euch eine Ueberraschung mache mit meinem Tode? So seid ihr wenigstens vorbereitet.“ Elika sagte das scherzend, es war aber sehr ernst gemeint. „Es ist schön, früh zu sterben, und am schönsten, wenn noch so früh, doch schon nach einer gelösten Aufgabe.“

„Das gewiß. Aber hör’ mich an, laß uns jetzt vernünftig sein und pedantisch zum Entsetzen. Pro primo: Warum glaubst du denn, daß du früh sterben wirst?“

Elika wurde durch diese Frage in große Verwunderung versetzt. „Alle glauben’s doch,“ erwiderte sie gedehnt, „und ich – ich, weißt du, ich weiß es.“

„So? Wieso weißt du’s?“

„O – ich bekomme manchmal solche Stiche im Kopf, und Herzklopfen hab’ ich auch, und ohnmächtig bin ich schon zweimal geworden. Und Frau Heideschmied hat gewimmert: ‚Elle se meurt!‘“

„Mit ‚pro primo‘ wären wir im reinen. Jetzt kommt pro secundo. Was ist das für eine Aufgabe, die du vor deinem Tode noch lösen willst? Antworte, sei nicht beleidigt!“

„Du lachst mich aus.“

„Kind, geliebtes, wie fern liegt mir das! Und du wärst stumpfsinnig, wenn du’s nicht wüßtest. Also: Heraus mit der Sprache! Die Aufgabe –“

„Die Aufgabe ist,“ sagte Elika und schmiegte sich in warm aufwallender Zärtlichkeit an Luise: „einen bösen Menschen zu einem guten machen.“

„Aha – den dort oben. Ich staune, daß du an den Halbwilden noch denkst.“

„Weil er jetzt fort ist von dem einzigen, der ihn mag. Weil ich noch nie einen Menschen gesehen habe, den niemand mag. Wenn man etwas ganz Neues sieht, bildet man sich allerlei ein. Das thut doch jeder.“

„Glaubst du. Ich weiß es nicht aus Erfahrung.“

Elika zuckte ihre magern Achseln: „Bei mir ist es so. Und von Herrn Bornholm bilde ich mir jetzt ein: Der geht in einer Verkleidung. Nicht zufleiß, er kann vielleicht nichts dafür, er ist vielleicht ein Verwunschener, wie die in den Märchen, die ich als Kind so gern gelesen habe. In einem Ungeheuer, einem Bären, einem Delphin steckt ein ganz schöner netter Prinz … Am Ende steckt in der groben Hülle des Herrn Bornholm ein guter Mensch.“

„So lös’ ihn aus, aus der Hülle, versuch’s! Sei die Fee mit dem Zauberstabe, die ihm seine wahre Gestalt wiedergiebt!“

„Ich kann das nicht. Das könntest eher du. Ja, ja, an dir liegt ihm, ich hab’s bemerkt – lache, wenn’s dich freut – ich hab’s bemerkt,“ wiederholte sie eindringlich und setzte nach kurzer Ueberlegung rasch und brüsk hinzu: „Und deinen Schirm hat er auch gebracht.“

„Was dir einfällt! Bornholm?“

„Bornholm.“

„Höchst unwahrscheinlich. Er hätte den Schirm gestern so leicht fangen können und hat nicht einmal die Hand nach ihm ausgestreckt.“

„Dafür hat er heute einen Biß bekommen von seinem Gewissen.“ Sie machte eine komisch altkluge Miene: „Seine Motive durchschaue ich nicht, aber den Schirm hat er gebracht.“

„Hellseherei,“ erwiderte Luise. „Als Hellseherin brauchst du dich übrigens um Motive gar nicht zu kümmern.“

„Es war keine Hell-, es war eine ganz ordinäre Seherei.“

Elika nahm wieder Luisens Arm und sprach zutraulich: „Ich war früher auf als du, ich bin zum Fenster gegangen und habe durch die Jalousien nach dem Wetter ausgeguckt. Da habe ich ihn gesehn. Er hat am Gitter gerüttelt, und wie er merkt, daß zugesperrt ist, steigt er drüber, kommt her, lehnt den Schirm an die Mauer und geht wieder. Das ist das Ganze. Glaubst du’s jetzt?“

„Ja – wenn du es sagst, glaub’ ich auch das Unglaubliche.“

(Fortsetzung folgt.)



Der „Brutus“ der Mediceer.[1]

Von Isolde Kurz.

Das Geschlecht Giovannis di Bicci, des Stammvaters der Mediceischen Familie, teilte sich in zwei Linien: die eine hochbegabte, die von dem alten Cosimo abstammte und zuerst ihre Vaterstadt beherrschte, und die jüngere, von dessen Bruder Lorenzo gegründete, die mit Cosimo I die erbliche Großherzogswürde empfing. Zwischen dem Niedergang der ersten und dem Aufgang der zweiten Linie liegt die blutige Tragödie jener Dreikönigsnacht, wo der grausame Alessandro de’ Medici unter dem Dolch seines Vetters Lorenzino endigte. Dieser Fürstenmörder, der, ohne es zu wollen, seiner eigenen bis dahin zurückgesetzten Linie zum Thron verhalf, ist ein seltsames Naturspiel, das nur der Entartung einer genialen Rasse entspringen konnte; ein Mittelding zwischen dem Helden, dem Verbrecher und dem Narren, gehört er zu den fragwürdigsten Charakteren der Geschichte, die immer aufs neue die Phantasie der Dichter reizen, das Interesse der Psychologen fordern.

Die beiden Päpste aus dem Hause Medici hatten sich das Ziel gesteckt, ihrer republikanischen Vaterstadt eine mediceische Dynastie aufzuzwingen, sie wollten für ihre Nepoten nicht die unter bürgerliche Formen versteckte Autorität, wie sie der alte Cosimo und Lorenzo Magnifico besessen hatten, sondern einen erblichen Fürstenthron.

Jedoch der Tod hatte in ihrer Linie aufgeräumt; als Clemens VII den Stuhl Sankt Peters bestieg, waren von seiner engeren Familie nur noch zwei blutjunge Bastardsöhne, Ippolito und Alessandro, übrig, auf die der Papst mit Uebergehung der rechtmäßigen Seitenlinie seine ganze Fürsorge häufte.

Aber nicht der schöne und liebenswürdige Ippolito, des Herzogs Giuliano Sohn und somit in gerader Linie Enkel des Lorenzo Magnifico, sollte die Dynastie begründen; diesem glänzenden Jüngling mit den soldatischen Neigungen wurde mit achtzehn Jahren von dem päpstlichen Oheim der Kardinalshut aufgedrungen, damit der bessere Platz seinem Liebling, dem zwei Jahre jüngeren Alessandro, offen blieb. Die Schwäche des Papstes für diesen klugen, aber häßlichen und mit rohen Instinkten zur Welt gekommenen Mulatten war so auffallend, daß man nicht anstand, ihn für Clemens’ eigenen Sohn zu halten; offiziell wurde jedoch die Vaterschaft Lorenzo dem Jüngeren, Herzog von Urbino, zugeschrieben. Das einzige, was über Alessandros Abkunft wirklich feststand, war, daß ihm eine Schwarze, die in Collevecchio unweit Rom mit einem Stallknecht des Hauses Medici verheiratet war, das Leben gegeben hatte.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0392.jpg&oldid=- (Version vom 7.4.2023)
  1. Wir erinnern unsere Leser, daß Isolde Kurz bereits im Jahrgang 1895 (S. 847) der „Gartenlaube“ einen Artikel über Lorenzo Magnifico veröffentlicht hat. Der heutige Artikel berichtet über die späteren Schicksale des Hauses Medici. Beide zusammen bieten in großen Zügen die Geschichte der Mediceer und damit die der Stadt Florenz im 15. und 16. Jahrhundert. D. Red.