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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

zu verpflegen, bis er ein Unterkommen gefunden hat, aber da kann die lange sitzen mit den Würmern.“

„So schlimm wird’s wohl nicht werden,“ bemerkt Christel jetzt ruhig, „Wartau hat seinen Wert und dann das Flußspatwerk –“

„Hat gefälligst auch Pleite gemacht, so gut wie Pleite!“

„Ist ja unmöglich!“ stößt Christel hervor.

„Lies doch die Zeitung! Die Aktien kriegst du für umsonst, die Engländer, die die neuen Werke bauen, haben sie so gedrückt; werden wohl kaufen jetzt, weiter wollen sie nichts. Die Gesellschaft hat ja doch die Dummheit begangen mit dem Bahnbau, und dabei sind sie alle geworden, da ist nichts mehr zu holen. Und wenn ein Gut sub hasta, oder wie sie das nennen, versteigert wird, na da –“

„Was? Subhastiert?“ schreit Christel entsetzt, „Wartau subhastiert?“

„Lies doch den Brief, da hast du ihn!“ antwortet Frau Wendlandt und wirft ein Papier auf den Tisch, „ich muß ohnehin hinüber, mein Mann kommt von der Stadt zurück. Siehst du, Christel, ich bin gewiß nicht schadenfroh, aber ich sage – –“

Das Rollen des Kinderwagens übertönt ein Aufschluchzen der gequälten Frau dort am Fenster.

„Na, Gute Nacht, Christel! Komme doch auch mal mit vor! Du thust so schrecklich vornehm, Wendlandt sagt es auch – na, schlaf wohl!“

„Gute Nacht,“ sagt Christel, kaum fähig, zu sprechen; ihr ist so wirr und wüst im Kopfe. Wartau subhastiert! Wie ist’s denn möglich, wie ist’s möglich! Sie durchlebt alles noch einmal – den Tag, an dem er kaufte. Wie war er stolz, der Mann, als er ihr verkündete „Wartau ist jetzt mein!“ Sie entsinnt sich aller Einzelheiten, ihrer bedrückten Stimmung, als habe sie geahnt, daß dieses Wartau ihr Glück vernichten werde. Sie erinnert sich, wie sie zu Pastors und zur Mutter gelaufen war, um dies Ereignis zu verkünden, erinnert sich, wie sie dann neben Anton in das Schloß übersiedelte, in dem sie ihn verlor, wo ihr Glück vernichtet wurde! Das schöne Geschöpf steht vor ihren Äugen, das ihn hinweg lockte von ihr, das sein Verderben wurde, das nun tot ist und nicht mehr zu erleben braucht, wie er als Bettler hinunter geht von Wartau. – Wie muß ihm zu Mute sein? Wie mag er es tragen? denkt sie, und was wird er anfangen?

Und sie springt empor und geht mit großen hastigen Schritten durch die Stube, als müsse sie die Thüre öffnen und geradeswegs aus dem Hause schreiten, unaufhaltsam bis nach Wartau. Dann steht sie und fühlt, daß ihr das Blut siedend in die Wangen steigt – sie ist ja geschieden von ihm! Was würde er denken, wenn sie jetzt käme und sagte: Gieb mir die Kinder – ich bin einsam und traurig, ich will sie erziehen und bewahren, bis du neuen Grund gefaßt hast? Würde er nicht glauben müssen, daß sie – –

Mutlos kehrt sie ins Zimmer zurück. Sie hat ja keinen, keinen Nebengedanken, nur die Sorgen will sie ihm erleichtern, aber – es geht nicht, es geht nicht! Tot würde sie sich schämen, könnte er glauben, sie wollte seine Liebe wieder.

Mit zitternden Fingern macht sie Licht. Sie muß sich zusammenraffen, muß stark sein; der Mann, die Kinder, sie sind ihr nichts mehr, dürfen ihr nichts mehr sein als fremd, ganz fremd.




Christel schleppt sich ein paar Tage weiter an ihrer erzwungenen Resignation, sie bringt es sogar fertig, zu Louischen zu sagen, mit ganz eigentümlich harter Stimme zu sagen: „Ja, lieber Gott, ich kann ihm doch nicht helfen?“ Worauf Louischen zu ihrem Gatten bemerkt: „Na, gottlob, sie ist vernünftig geworden! Ich hatte schon Angst, ihre Großmütigkeit würde uns einen neuen Streich spielen und sie sich die Kinder holen und eines Tages den Vater dazu. Zuzutrauen wär’s ihr; sie ist ja reinweg auf den Knieen vor ihm herumgerutscht, als sie noch seine Frau war.“

Nein, Christel ist ganz vernünftig, Christel arbeitet und spart und schafft; nur die Dämmerstunde fürchtet sie mit ihren Erinnerungen, aber sie macht sich dann draußen Arbeit.

Weihnacht zieht vorüber, der Sylvester und das Neujahr. Am Dache des Rödershofes hängen prachtvolle glitzernde Eiszapfen. Der „kleine Anto“ – der Gymnasiast führt noch immer diesen Namen – ist auf Ferienbesuch bei Christel gewesen; er will von der Schule abgehen und wirklich Landwirt werden. Der hat nun, veranlaßt durch Tante Louise, in Christels Gegenwart allerlei erzählt.

Wartau hat ein neugeadelter Herr von Salamonsky gekauft mit allem, was drin und dran, der ganzen Einrichtung, und doch hat das Geld kaum gereicht, Mohrmanns Verbindlichkeiten zu lösen. Uebrig geblieben sei natürlich nichts. Ohne die Kunstgegenstände, namentlich die alten fast unbezahlbaren Uhren, Gemälde etc., die gerichtlich immer hoch taxiert waren – Dresdner Sachverständige hatte man zugezogen – würde er noch mit Schulden vom Hofe gegangen sein. Der Herr von Salamonsky beabsichtigt, nur im Sommer acht Wochen lang in Wartau zu wohnen, sonst in Berlin, und die wertvollsten Gegenstände aus dem Schlosse werden nach seinem palastartigen Hause in Berlin geschafft. Heine ist noch Inspektor, aber lange will er nicht mehr dort bleiben, und der Baron hat die Bemerkung fallen lassen, die bisherige Lotterwirtschaft dürfe so nicht weiter gehen.

Lotterwirtschaft! Klein Anto ist förmlich empört: „Jeder Mensch weiß, daß Mohrmann Unglück hatte und dann – die verstorbene Frau!“

„Wo ist er denn jetzt?“ hat Frau Louischen gefragt.

„Ich weiß nicht, Tante,“ ist die Antwort gewesen. „Welche sagen, er sei in Ungarn, und andere, in Amerika.“

„Das muß doch Frau Heine wissen?“

„Ich habe sie nicht gefragt,“ entschuldigt sich Anto, „ich war ja aber auch nicht daheim seit dem Herbst.“

„Na, sind denn die Kinder bei ihm oder bei Heines?“

„Ich glaube, bei Heines, ich weiß es aber nicht genau. Der Vater könnt’s doch gewiß sagen, wenn Tante Louischen ihm darum schreiben will.“

„Na, mir ist’s egal,“ meint Frau Wendlandt, „und andern Leuten ja wohl auch,“ und dabei schielt sie zu Christel hinüber.

Die sitzt schweigend und näht. Sie sieht sehr blaß aus seit der letzten Zeit und hat oft rote Ränder um die Augen. Die Gegenwart der Schwester, die so ganz und gar nicht harmoniert mit ihr, ist eine wahre Qual für sie. Sie hat sich nicht gefreut, als Wendlandt um Louischen freite. Die Schwester ist ihr unsympathisch, das herbe, berechnende Wesen derselben beengt und beklemmt sie unsagbar.

Es giebt eben Menschen, die immerfort in die Verhältnisse ihrer Nächststehenden einzureden haben. Schlimm, wenn dieser Nächste eine alleinstehende Frau oder ein Mädchen, noch schlimmer, wenn sie arm ist, denn dann wird sie hier- und dorthin gestoßen, wird beständig vorwurfsvoll angesprochen und ihre Kräfte werden ausgenutzt wie die eines Lasttieres. Am allerschlimmsten aber ist’s, wenn die Unglückliche sich eines gewissen Wohlstandes erfreut; dann ist sie die Zielscheibe aller möglichen und unmöglichen Spekulationen, sie ist schlechterdings nur für die lieben erwartungsvollen Verwandten auf der Welt, die sie beobachten, ihr Thun und Lassen bekritteln, jeden Pfennig, den sie ausgiebt, bereden; kurz, eben weil sie allein steht, muß sie in den Augen dieser egoistischen, zum Teil sehr kleinlich denkenden Leute noch froh sein, daß ihre Kräfte, ihre Zeit, ihr Geldbeutel doch zu etwas gut sind, nämlich dazu, jenen das Leben zu versüßen. Und wehe ihr, wenn sie sich daran erinnert, daß auch sie eine Persönlichkeit ist, daß sie eigene Wünsche, eigenen Geschmack, eigenen Willen besitzt, dann fallen sie rücksichtslos über die Unglückliche her, die lieben Nächststehenden. Da ist sie dann verrückt, verschroben, unvernünftig! „Wir sind ja da, sie hat uns ja, was will sie denn eigentlich? Sie soll nur ihr Geld zusammensparen, denn wir haben Kinder! Diese Kinder zu lieben, dazu ist sie verpflichtet!“ Und diese Kinder sind darauf dressiert, eine Tante anzusehen als ein von Gott dazu erschaffenes Wesen, für sie zu sorgen und zu arbeiten, denn sie hat ja von Rechts wegen sonst niemand, für den sie schaffen darf, nicht einmal für sich selbst.

Louischen erbaut förmliche Romane auf Christels erarbeitetes kleines Vermögen und Louischen sagt ärgerlich zu dem jungen Anto: „Na, du kommst dir wohl gar schon vor wie der Majoratsherr hier? Da sind andere auch noch; mein kleiner Erich hat gerad’ dasselbe Recht wie du – daß du es weißt.“

Und der anständige Junge antwortet ganz empört, daß er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0372.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2020)