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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Koffern, die Ediths Garderobe enthalten, und mit der quittierten Hotelrechnung, die Graf Altwitz noch bezahlt hat. Poldi ist auch auf seine Kosten hergereist. Tonette nimmt die Rechnung in Empfang und legt sie auf Mohrmanns Schreibtisch; auch dieses Geld muß bald zurückerstattet werden. Noch einen Blick auf die Schlußsumme wirft Tante Tonette, ehe sie Antons Zimmer verläßt – die Höhe des Betrags treibt ihr das Blut in die Wangen und sie sagt droben zu Poldi: „Das muß ja ein grauenhaft teures Hotel gewesen sein, das sind ja Unsummen!“

„Euer Gnaden, dös ist halt, weil gnä Frau alleweil die Leuteln zun Ess’n eing’lad’n hat.“

„Wär’ ich nur bei ihr geblieben!“ seufzt Tonette.

„Ach, an Gesellschaft hat’s nit gefehlt,“ meint die lustige Österreicherin, „die gnä Frau hat gar viel Bewunderer gehabt. Das arme Tschapperl, der Offizier von Berlin, hat absolut wollen, sie sollt’ sich wegen seiner scheiden lassen.“

Tante Tonette hört ganz erstarrt zu.

„Und nun so krank“ – fährt Poldi fort. „Du mei – so auf amal, wie ’ra Blitz is’s gekomme! Und ich mein’, zuerst hab’ i’s gemerkt, wie der Herr Hauptmann von Röben so plötzlich abg’reist ist. I glaub’ –“

Tante Tonette richtet sich hoch auf. „Sie haben gar nichts zu glauben, meine Liebe,“ sagt sie, „und ich bitte mir aus, daß Sie hier im Hause möglichst wenig von dem erzählen, was Sie ‚glauben‘, sonst ist’s besser – Sie gehen.“

„O mei! Euer Gnaden! I bitt’ schön, i red’ kan anzig’s Wörtel!“ stammelt das hübsche Mädchen, und als die alte Dame den Rücken gewendet hat, da murmelt sie: „Und wahr i’s doch, daß meine Dame bis über die Ohren verliebt war in den blonden Herrn. Du mei! I thu ihm’s nit verdenken, wann er endlich an Zorn kriegt, wann er merkt, daß sie ihn an der Nasen spazieren g’führt hat und gar nit g’dacht hat ans Ernst machen. – Was die thät mit so an armen Schlucker, sie, die selber so a Schloß hat. O du mein! Wär’ sie nur gesund, hier könnt’ mir’s schon gefallen.“

„Daß nur Anton nichts erfährt von dieser Geschichte,“ denkt Tonette und ahnt nicht, daß ihn dies kaum noch berühren würde.

Er geht ruhelos auf den Feldern umher, er kommt am liebsten gar nicht mehr ins Schloß während der nun folgenden Zeit. Tonette zerrt ihn täglich einmal nach dem Krankenzimmer; aus eigenem Antrieb es zu betreten, fällt ihm nicht ein. Wie hat er sonst so gern an ihrem Bette gesessen, ein liebevoller geduldiger Pfleger – damals, als die Kinder geboren waren! Jetzt kommt ihm alles unheilig, entweiht vor. Er hat wohl Mitleid mit ihr, aber er ist so weit entfernt von dem, was sein Herz bewegen sollte in dem Kranken– – wahrscheinlich in dem Sterbezimmer seiner Frau. Er erfüllt jeden ihrer Wünsche, selbst die weitestgehenden, wunderlichsten. Als sie aber mit ihrer verlöschenden Stimme fragt: „Du hast mir noch nicht verziehen?“ vermag er kaum zu antworten. Es ist ihm, als müsse er ersticken in dem riesigen Saal, in dem die verschiedensten Ruhelager für sie hergerichtet sind. Hier eines unter Palmen, dort nahe dem Kamin ein anderes, von einer spanischen Wand umgeben; am Fenster eine Chaiselongue und an der Wand das spitzenduftige Bett. Was zu beschaffen ist an erlaubten Leckereien wird ihr gebracht, Austern, Früchte, seltene kräftigende Weine. Und Poldi hat ihre schöne Herrin in duftiges spitzenbesetztes Weiß gehüllt, und die Augen haben noch nie so geglänzt, nie ist der Teint so weiß, so durchsichtig gewesen.

Sie schläft viel am Tage, nur die Nächte sind schlimm, wo der Husten sie peinigt, und dann redet sie irre und verlangt nach Anton, aber Tonette ruft ihn nicht.

Warum soll er hören, was sie spricht? Er darf es nicht hören.

Draußen ist der April gekommen und die Apfelbäume blühen wie seit Jahren nicht. Die Stimme Lothars schallt herauf aus dem Garten bis in Ediths Krankensaal, wo die ersten Veilchen duften. Sie hat sich während der letzten Tage sehr verändert, das Gesicht ist spitz geworden, die Augen sind unnatürlich groß. Sie hat nur noch einen Wunsch, sie will reisen. Tante Tonette verspricht es ihr: „Sowie du ein wenig kräftiger bist, Edith.“

„Hier erhole ich mich nicht, Tante.“ – Sie hat keine Ahnung, daß sie bald sterben muß: sie ist voller Hoffnung, voll brennender Sehnsucht nach dem Leben draußen. In Soden wird sie den dummen Husten sicher bald los, meint sie, nur von Wartau fort, von hier fort!

„Ja,“ sagt Tonette, „sobald es irgend geht.“

„Die Poldi kann immerhin schreiben an Worth.“ Seit sie Pariser Toiletten getragen, mag Edith keine andern mehr. „Dieses oder jenes Kleid ist für Soden noch modern genug, man ist in Paris gut um zwei Jahre Deutschland voraus.“

„Poldi wird schreiben, heute noch.“

„Anton soll kommen,“ fordert die Kranke dann.

Tante Tonette klopft unten an seine Thür; als sie eintritt, findet sie ihn im Gespräch mit einem Herrn, der ihr als Direktor Buchenberg vorgestellt wird. Anton bittet diesen um Entschuldigung und geht mit Tonette hinauf nach dem Krankenzimmer.

„Du mußt verzeihen, Edith,“ sagt er ein wenig aufgeregt, „lange Zeit habe ich nicht – Buchenberg ist unten; in zwei Stunden reist er wieder ab; es betrifft wichtige geschäftliche Sachen. Was wünschest du? Kann ich irgend etwas – –“

Sie hat nach seiner Hand gegriffen, es liegt ein Ausdruck trostloser Angst in ihren Augen. „Fort! Ich will fort – ich ersticke hier!“ flüstert sie.

Er sieht nieder auf das, was von der einst so reizenden, so heiß begehrten Frau noch geblieben ist, auf das abgezehrte mit dem gewaltigen Leiden ringende Geschöpf und setzt sich, von einer plötzlichen Ahnung erfaßt, auf den Rand ihres Bettes. „Sobald es geht, Edith.“

„Bringe mich hin – nach Soden –,“ stößt sie hervor, „morgen, bitte, morgen!“

„Ja, wenn du es wünschest.“

Es ist, als ob sie ruhiger wird. „Du bist sehr gut,“ sagt sie leise, kaum vernehmbar, indem der Kopf zurückfällt. Ein paarmal ringt sie heftig nach Atem; er stützt sie, hält sie in den Armen, und während dieser bangen Minuten sinkt ihr Kopf gegen seine Brust wie der eines müden Kindes. Ein unverständlicher Laut kommt noch einmal und nun ist es still, ganz still. Durchs Fenster fliegt ein kleiner Vogel, kreist ein paarmal unter dem Deckengemälde und sucht dann wieder das Freie, wie erschreckt vor der unheimlichen Nähe des Todes.

Aus dem Garten drunten jubelt noch immer Lothars Stimme und Blütenduft umschmeichelt das wachsbleiche schöne Gesicht, das der große Mann mit dem leicht ergrauten Haar eben vorsichtig wieder in die Kissen zurückgelegt hat. Nun steht er vor der Toten mit schlaff herunterhängenden Armen und starrt sie an. Ein tiefer Seufzer hebt seine Brust, sein Auge bleibt trocken.

Wie Tante Tonette ahnungslos ins Zimmer tritt, kann er nur eine Handbewegung nach der Entschlafenen machen, zu sprechen vermag er nicht, und als sie lautweinend vor dem Bett niederstürzt, geht er hinaus, die Treppe hinunter, in den Garten, nimmt seinen Jungen auf den Arm und trägt ihn in die Laube, in die sprossende Buchenlaube am Ende des Parkes. Er hat nur stumme heiße Liebkosungen für das Kind, als wolle er ihm irgend etwas abbitten. Der Kleine sieht ihn erschreckt an und fängt an zu weinen; Anton nimmt ihn wieder empor und geht ins Schloß, in sein Zimmer, wo Direktor Buchenberg in größter Unruhe sitzt und auf ihn wartet.

„Seine Mutter ist eben gestorben,“ sagt Anton, den dunklen Lockenkopf des Jungen an sich pressend, „verzeih’ nur, Buchenberg, wenn ich nicht –“

„Aber, ich bitte dich, alter lieber Kerl, Herrgott, ich hatte ja keine Ahnung,“ stammelt fassungslos der Freund.

Anton hat ihm die Hand überlassen, nun entzieht er sie ihm und wehrt stumm und hastig ab, daß der andere betroffen schweigt. Erst als Anton ein paarmal, noch immer das Kind auf dem Arm, im Zimmer auf und ab gegangen ist, bleibt er wieder vor dem Direktor stehen.

„Siehst du, Buchenberg,“ beginnt er.

Doch der unterbricht ihn, noch immer ganz außer sich: „Und daß ich dir gerade heute solch unangenehme Nachricht ins Haus tragen muß, Anton – Herrgott, ich hatte ja keine Ahnung! Ich drücke mich natürlich sofort, ich denke, es wird sich schon noch ein paar Tage hinhalten lassen mit Sybel – wenn du wieder ruhiger bist, schreibe es mir nur, ich komme wieder, Anton.“ Und dabei schüttelt er immer und immer wieder die freie Hand des Freundes.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0370.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2020)