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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

öfter, wir plauderten mit ihm, und eines Tages fragte ich nach dem Namen der erkrankten Dame und wie es ihr ergehe. Sie können sich denken, wie wir beide erschüttert waren, als wir den Namen ‚Mohrmam‘ hörten. Ich erkundigte mich dann, was ihr fehle, ob ich sie sehen könne, und fuhr mit einer Karte des Arztes sofort hinaus nach dem Krankenhause.“

Sie schweigt plötzlich; wieder ein paar Thränen, die getrocknet werden müssen.

„Wie das so schnell gekommen ist, wie es überhaupt kam, das lassen Sie sich in einer guten Stunde wohl von ihr selbst berichten, wenngleich sie so wenig als möglich sprechen soll. Hier“ – sie reicht Anton einen Brief – „dies gab mir der Arzt für Sie; was sonst zu thun ist, wird Ihnen Ihr Hausarzt sagen und Ihr Herz.“

Und als Anton noch immer wie abwesend den Brief hält, fügt die alte Dame hinzu: „Die Josepha und Tonette haben sich nicht zu Ihnen getraut, ich nahm ihnen diesen Weg ab, lieber Mohrmann, sie sind vor Schmerz um das junge Weib und vor lauter Ueberraschung fassungslos. – Es gehört ein ruhiger, gefaßter Mann dazwischen; ich weiß, Sie sind es. Und nun haben Sie die Güte und inkommodieren Sie sich gar nicht, ich finde schon jemand, der den Wagen heranwinkt, er fährt ein wenig in der Allee auf und ab; vorher will ich aber noch einmal hinaufgehen.“

Im nächsten Augenblick ist Anton allein, mit dem Brief in der Hand. Ueber sich hört er ein heftiges Laufen, ein Möbelrücken; Ediths Zimmer werden so rasch es geht in stand gesetzt.

Sie ist wieder da, krank, schwerkrank, sie hat hilflos, allein in einem fremden Lande gelegen. Kam sie freiwillig, oder war sie schon so willenlos und elend, daß man sie herschleppen mußte? Diese Fragen und das Gefühl, das ihm die wehe Enttäuschung gebracht, die Abneigung, die sich bis zum Ekel gesteigert hat, sind furchtbar stark über ihn gekommen; mit Mühe zwingt er sich, den Brief zu lesen:

 „Geehrter Herr!
Ihre Gattin leidet seit längerer Zeit an chronischer katarrhalischer Lungenentzündung, die jetzt plötzlich akut geworden ist, d. h. an galoppierender Schwindsucht. Der Zustand läßt leider das Schlimmste in nicht zu langer Frist befürchten. Da sich eine gute Gelegenheit bietet, die Heimat wieder zu erreichen, haben Gräfin Altwitz und ich die Kranke überredet, heimzukehren, aus Gründen, die Ihnen mitzuteilen Ihre Frau Gemahlin allein berufen ist. Jedenfalls galt es, sie hier aufregenden Einflüssen zu entziehen.

Hochachtungsvoll ergebenst 
Dr. Z.“ 

Es dauert noch eine ganze Weile, bevor er sich entschließt, hinaufzugehen; zuerst sucht er Josepha auf. Die Stiftsdame scheint um zehn Jahre gealtert, als sie ihm in Ediths Wohnzimmer entgegentritt. Die Kranke war bereits zur Ruhe gebracht.

„Haben Sie Mitleid mit ihr,“ bittet das alte Fräulein mit bebender Stimme, „um der Kinder willen seien Sie freundlich zu ihr!“

„Sagen Sie mir doch um Gottes willen, was geschehen ist!“ fragt er gefoltert.

Aber das zitternde alte Geschöpf bricht in Thränen aus. „Wir hätten sie nicht allein lassen dürfen,“ stößt sie hervor, „Tonette oder ich hätten sie suchen müssen, auch gegen ihren Willen uns an sie hängen müssen – – “

Er steht blaß, mit gerunzelter Stirn. Was soll er zu hören bekommen? Es giebt Dinge, die er nicht verzeihen darf. „Sprechen Sie, ich bitte Sie!“

„Sie hat gespielt in Monte Carlo – mit – Unglück. Eine russische Dame und ihr Sohn, denen sie sich angeschlossen hatte, scheinen ihr Geld geliehen zu haben, soviel ich bisher ermitteln konnte, zu Wucherzinsen. An Sie hat sie sich natürlich nicht wenden mögen. – Man hat wohl gedroht – ich weiß nicht – sie ist heimlich abgereist – ich glaube, die Russin hat sie als Betrügerin – es ist so entsetzlich – an ihrem Krankenbette war eine gerichtliche Vernehmung – Altwitz hat, so scheint es mir, die Sache geordnet.“

„Und nun?“ fragt er ganz ruhig.

„Sie ist schwerkrank. Schonen Sie sie, wenn Sie können, beruhigen Sie sie wegen der Affaire; sie hat hohes Fieber und glaubt sich verfolgt.“

Anton zögert noch ein Weilchen, dann tritt er in das Zimmer seiner Frau. In aller Eile hat man das Bett hergerichtet so gut es ging, über den rosaseidenen Vorhängen fehlen noch die Spitzen, es trägt alles noch den Hauch der langen Abwesenheit der Bewohnerin. Im Ofen flackert ein Feuer und kämpft siegreich mit der dumpfen Luft, ein Fenster steht offen und läßt die letzten Strahlen der Sonne ein. Tonette ordnet mit vom Weinen geschwollenem Gesicht die eben abgelegten Kleidungsstücke der jungen Frau; als sie Anton erblickt, geht sie hinaus.

Im nächsten Augenblick zittert ein heiserer schwacher Laut durch das Zimmer, und nebenan weinen die beiden alten Schwestern bitterlich. Es wird nicht viel gesprochen zwischen Mann und Frau, ihre arme Brust verbietet es, das Fieber schüttelt sie, und er kann vor Bewegung nichts sagen, als er sie sieht, kein Wort. Nur ihre Augen sprechen, flehend angstvoll: „Hilf mir – rette mich!“

„Werde nur ruhig,“ bittet er endlich, „ich spreche mit Altwitz und bringe die Sache in Ordnung; werde nur ruhig!“

Etwas wie Erlösung fliegt über das abgemagerte schöne Gesichtchen, sie greift mit beiden Händen nach seiner Rechten und streichelt sie. Unwillkürlich zuckt er zusammen, und sie lächelt bitter und zieht ihre Hände zurück. Da faßt er nach ihrer Rechten und sagt noch einmal mitleidig und gut: „Werde ruhig, Edith, ich thue, was ich thun kann, schon der Kinder wegen. Um ihretwillen mußt du gesund werden.“

Sie nickt: „Ja, ja, ja!“

„Ich lasse den Arzt kommen, heute noch.“

Wieder nickt sie, und mit aller Anstrengung flüstert sie, schon wieder beherrscht von fieberhafter Angst, „aber niemand weiter, niemand; sie wollen mich ja holen, sie geben mir Gift –“

„Du bist sicher bei uns, Edith, ruhe dich aus, schlafe, ich lasse niemand ein,“ tröstet er.

„Ja, ja – aber die Alte – der Graf soll sie nicht – bitte, bitte!“

„Ich rufe die Tante, sie setzt sich an dein Bett. Schlafe, schlafe nur.“

Da er gehen will, richtet sie sich empor, und mit den übernatürlich glänzenden Augen ihn anschauend, fragt sie flüsternd: „Bist du die Wendeltreppe herauf gekommen? Gehe nicht auf dieser Treppe – sie ist schuld. Wär’ die Treppe nicht gewesen – – die Treppe muß fort – versprich mir – wenn sie fort ist, dann ist alles wieder gut!“

„Ja,“ sagt er erschüttert und betroffen, „ja, ich gehe nicht dort, siehst du, hier gehe ich.“ Er tritt auf die Thür zu, die nach dem Flur mündet.

„Ja, ja!“ nickt sie, „die Treppe –“ Und dann sieht er nur noch, wie sie sich schwer zurückfallen läßt.

(Fortsetzung folgt.)


Deutsche Nationalfeste.

Ein wichtiger Schritt ist auf dem Wege zur Schaffung der Deutschen Nationalfeste gethan worden. Am 24. März hat der Vorstand des Reichsausschusses in Berlin beschlossen, Rüdesheim zum Festort zu wählen. Auf dem Niederwalde, hoch über den Fluten des Rheins, wo die Germania stolz und friedensstark die Kaiserkrone über die deutschen Lande emporhebt, soll die Feststätte geschaffen werden, welche dereinst zum Weiheplatze des gesamten deutschen Volkstums werden möge!

Als wir vor zwei Jahren (vergl. Jahrgang 1896, S. 218[WS 1] der „Gartenlaube“) über die ersten Vorschläge berichteten, Nationaltage für deutsche Kampfspiele ins Leben zu rufen, waren die Ansichten über deren Gestaltung noch nicht geklärt. Dank der unermüdlichen Arbeit einer großen Schar warmherziger Volksfreunde ist es inzwischen gelungen, mehr und mehr eine Einigung herbeizuführen und das Programm für die Deutschen Nationalfeste wenigstens in allgemeinen Umrissen festzulegen.

Ihr Zweck soll durchaus ideal sein. Nicht eitles Schaugepränge und rauschende Belustigungen sollen sie den Teilnehmern und Zuschauern bieten, sondern veredelnd auf das deutsche Volkstum einwirken. Diese Feste wollen das vaterländische Empfinden

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Paginierung nach der Halbheftausgabe. Entspricht in der Wochen-Nr. 13, S. 211 f.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0351.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2020)