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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

gemietet, und immer nur Landauer. Aber man hat ja keine Macht über sie!

Als Tante Tonette gegen Abend noch immer nicht genesen ist, erscheint, von Frau Edith gesendet, der Hotelarzt und erklärt, nachdem er den Puls gefühlt und die Zunge besehen hat, Patientin werde gut thun, etwas aufzustehen und an die Luft zu gehen, der Anfall sei ganz vorüber und ein längeres Verweilen im Bette nur schädlich. Er finde es sogar durchaus nicht allzugewagt, wenn die Baronesse abreise, Luftveränderung würde ganz besonders wohlthätig sein. In Rom die Nacht bleiben, andern Tages nach Genua, es gehe prächtig!

„Aber ich muß doch selbst am besten wissen, ob ich mich so fühle, Herr Doktor,“ wehrt Tante Tonette; „ich bin so entsetzlich matt, Sie glauben nicht, wie sehr. Vielleicht übermorgen, oder in drei Tagen – morgen keinenfalls.“ Sie steht Höllenqualen aus; sie fühlt, Edith will, daß sie abreist, und sie darf nicht, nein, sie darf nicht. Wenn doch die Depesche den beabsichtigten Erfolg haben möchte! Sie betet, sie betet, wie sie lange nicht gebetet hat, aber der folgende Tag vergeht ohne Rückantwort, und wieder einer; am dritten Morgen hält sie es nicht mehr aus im Bette und steht auf.

Im Salon trifft sie Edith, die am Schreibtische sitzt und freundlich lächelnd fragt: „Nun, Tantchen, wieder auferstanden? Wohl schon reisefertig?“

„Ich warte auf Nachricht von daheim,“ entgegnet die alte Dame kurz. „Wenn dein Mann mit meiner Rückkehr einverstanden ist, befreie ich dich von meiner lästigen Gesellschaft, wenn nicht, mußt du sie weiter ertragen. Mir macht’s, weiß Gott, auch kein Vergnügen, dich zu chaperonnieren, ich sehne mich nach Hause.“

„Lieber Gott,“ seufzt Edith, „du thust mir leid, und seekrank wirst du auch immer gleich, ich kann es kaum verantworten, dich mitzunehmen.“

„Die Afrikareise ist ja noch nicht verbrieft und besiegelt,“ murrt Tante Tonette.

„Aber sicher ist sie das!“

„Gottlob herrscht in deiner Kasse gerad’ mal wieder Ebbe.“

„Du vergißt den Kreditbrief, den ich mir neuerdings von der Bank in Leipzig schicken ließ.“

„Edith, du bist ein unverantwortlich leichtsinniges Geschöpf; denke doch an deine Kinder!“ Und die alte Dame bricht in bitterliches Weinen aus und sucht wieder ihr Zimmer auf.

Und wieder keine Nachricht, und auch am andern Morgen keine. Edith ist schon in aller Herrgottsfrühe an ihrem Bette gewesen und hat gesagt: „Leb’ wohl, Tantchen, wir machen eine Partie auf die See; laß dir die Zeit nicht lang werden.“ Und dann ist sie gegangen.

Und Tante Tonette liegt wie ein trotz!ges Kind im Bette, und als sie endlich aufsteht und in den Salon kommt, sieht es ihr drinnen so anders aus wie sonst, und sie weiß nicht, woran das liegt, bis sie merkt, daß die Nippes und Kunstgegenstände fehlen, die Edith überall zusammengekauft hat, um das Zimmer damit zu schmücken; daß selbst der Schreibtisch abgeräumt ist. Und wie ein Blitz fährt eine schreckliche Ahnung durch ihre Seele. Sie läuft zur Klingel, und anstatt Poldi erscheint das Stubenmädchen des Hotels und bringt einen Brief.

„Die gnädige Frau sind abgereist, nach Palermo,“ sagt sie.

Tante Tonette fühlt sich einer Ohnmacht nahe; mit zitternden Händen öffnet sie das Schreiben:

 „Liebe Tante!

Reise heim, es ist mir ein zu peinliches Gefühl, Dich bei meinem unsteten Wandern so umherschleppen zu sollen. Du brauchst Ruhe und außerdem ist’s billiger, wenn ich allein reise, was Mohrmann doch sicher nur erwünscht sein wird in der jetzigen Zeit der Ebbe.

Mardevelds kommen bis Sicilien mit; ich gedenke dort etwa vier Wochen zu bleiben. Dann gehe ich nach Aegypten; Frau v. Mardevelds Mutter und Schwester treffe ich in Kairo, also alles comme il faut – kannst Dich beruhigen.

Geld für Dich hat der Wirt in Verwahrung. Ich hätt’s Dir zwar lieber selbst gegeben, aber ich fürchtete eine Scene. – Nach Wartau kehre ich erst dann zurück, wenn Mohrmann es wünscht, vorher nicht; ich habe keine besondere Eile.

Immer Deine Edith.“ 

„So! Nun sind wir ja so weit,“ sagt Fräulein Tonette von Wartau ganz laut, nachdem sie den Brief, den Edith für sie zurückgelassen, in größter Erregung gelesen, „nun sind wir ja auf der schiefen Ebene angelangt, nun giebt’s kein Aufhalten mehr, nun wird’s kommen, wie es kommen mußte! Sie verrammelt sich mit ihrer Fahrt ins Blaue hinein ganz einfach die Thür zur Wiederkehr. – Herrgott, konnte denn dieser Dickkopf in Wartau nicht das erste Wort sprechen? Sie ist doch eben nur ein verzogenes eigensinniges Kind – konnte er denn nicht der Großmütige, der Verständige sein? Aber das muß biegen oder brechen!“

Ihre thränenreiche Stimmung ist völlig geschwunden; sie ist zornig, furchtbar zornig, und wie sie noch in ihrer Erregung auf und ab rennt, tritt der Groom des Hotels ein und bringt einen zweiten Brief, diesmal mit deutscher Marke – aus Wartau, von Josephinens Hand.

Sie wirft sich in den nächsten Sessel und reißt das Couvert auf, eine Photographie, in Seidenpapier gewickelt, fällt heraus. Tonette beachtet sie zunächst nicht, sie lechzt nur nach dem Inhalt des Schreibens:

 „Liebe Tonette!

Wider mein besseres Gefühl habe ich doch, Deinem Wunsche zufolge, mit Mohrmann gesprochen, um ihn zu bitten, an Edith zu schreiben und sie zur Rückkehr zu veranlassen.

Er hat mir’s rundweg abgeschlagen aus folgenden Gründen: Edith liebt mich nicht, folglich wird ein Wunsch von mir sie nicht zur Rückkehr bestimmen können. Daß sie jederzeit als Mutter meiner Kinder in mein Haus zurückkehren darf, das weiß sie; da sie aber das Pflichtgefühl bisher nicht dazu veranlaßte, muß ich annehmen, daß sie sich fern von hier wohler fühlt. Ich verlange keinen Widerruf ihrer damaligen Offenbarungen, denn dem würde ich nicht glauben; sie braucht ja nur einfach zu kommen, wann sie will; aber die Entschließung muß von ihr ausgehen. Von einem Wiederfinden oder – besser gesagt – einem schließlichen Finden unserer Herzen kann nie die Rede sein, doch bin ich bereit, in einem höflichen Nebeneinander mit ihr für unsere Kinder zu leben, weiter kann ich nichts thun! – So, meine liebe Tonette, sagte Mohrmann, und siehst Du, er hat recht. Wie soll er dazukommen, die Frau, die ihn jahrelang mit jedem Atemzüge belogen hat, zu bitten und anzuflehen, daß sie zurückkehre? Die einzige Art, wie sie seinerseits etwas Achtung wiedergewinnen kann, ist, daß sie wenigstens ihre Mutterpflichten anerkennt, daß sie Sehnsucht äußert nach den Kindern, und das hat sie bis jetzt nicht gethan.

Ich habe den Eindruck, daß sein Empfinden für sie völlig erloschen ist. Er spricht ganz ruhig über die Angelegenheit, und als ich versuchte, ein wenig seine Eifersucht zu stacheln, reagierte er gar nicht darauf. Wenn überhaupt noch etwas in ihm sich regt, so ist’s der Zorn, daß er jahrelang düpiert wurde von einem Talmigeschöpf, wie diese Edith leider eines ist.

Du hast eine schwere Verantwortung zu tragen, Tonette. Thue, was in Deinen Kräften steht, um sie zur Einsicht zu bringen, um in etwas Deinen Fehler wieder gut zu machen. Beifolgend die Photographie der Kinder und ein paar Löckchen, vielleicht rührt sie das!“

Und die arme Tonette sitzt und starrt auf die süßen Kindergesichtchen des Bildes und von ihnen auf das Meer hinaus, in dessen blauer Ferne das Schiff verschwunden ist, das diejenige entführt, die sie zur Pflicht zurückführen soll, und sie kommt sich wie eine Gerichtete vor. Am liebsten stürzte sie sich hinein in das Wasser, wo es am tiefsten ist. Was soll nur werden, wenn sie allein nach Wartau kommt? Und sie muß ja doch hin, denn Edith nachreisen, um mit den liebenswürdigsten Bosheiten wieder fortgegrault zu werden, das kann sie nicht. Sie hat genug gelitten in diesen Tagen.

Und seufzend ordnet sie ihre Habseligkeiten und reist mit dem Nachtschnellzuge von Neapel ab. – 00

*  *  *

Sie hat nicht den Mut gehabt, sich anzumelden und um den Wagen zu bitten. Sie wandert von der Station aus in sinkender Dämmerung die schmutzige nasse Chaussee entlang, zitternd vor Angst über den Empfang, den Mohrmann, den

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