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Flottenstation an der Küste Ostafrikas, die ihnen später die größten Dienste leisten sollte.

Auch einen gewandten und zuverlässigen Lotsen hatte ihnen der gastfreundliche König von Malinde für die Ueberfahrt nach Indien mitgegeben. Diese dauerte dreiundzwanzig Tage. Denn erst am 17. Mai 1498 ertönte der Landruf in den Rahen der portugiesischen Schiffe. Am Abend des 20. fiel der Anker vor dem ersehnten Hafen von Calicut, und bald wurde das Geschwader von dem bunten Völkergemisch eines morgenländischen Hafenplatzes umschwärmt, wo die Sprachen des Orients vieltönig durcheinander schwirrten.

Vasco da Gama hatte auf der zehnmonatigen Fahrt einen großen Teil seiner Mannschaft verloren. Namentlich der Skorbut, dieser Schrecken der Seefahrer, hatte viele Leute dahingerafft. Der kühne Portugiese lag jetzt vor einem der größten Hafenplätze der Erde, und es hing alles von der Laune des morgenländischen Herrschers ab, in dessen Reich er gekommen war. An der Küste Malabar, der indischen Westküste, wo Vasco gelandet war, herrschte ein Kaiser, der sich Samudrin Radschah, „Herr des Hügels und der Welle“, nennen ließ. Der Samudrin nahm die Anträge Gamas anfangs freundlich auf. Auf seine Einladung ließ sich letzterer auf einem Tragsessel nach dem Palaste des indischen Königs tragen, der, einige Meilen landeinwärts, in einem Palmenwäldchen gelegen war. Soldaten der Bürgerkaste, schöne Männer von staunenswerter Gewandtheit, schritten, ernsten Antlitzes, neben der Sänfte des Admirals einher. Der Samudrin empfing die Fremden, auf seinem Throne sitzend und von Diamanten strahlend, mit vornehmer Herablassung. Er zeigte sich nicht abgeneigt, ihren Wunsch, in den Bazaren Calicuts indische Waren einzuhandeln, zu gewähren. Aber bald sollten die Fremden auch hier den Neid der Araber verspüren, die von alters her mit Calicut handelten, sich in großer Anzahl dort niedergelassen und ausgedehnte Vorrechte erworben hatten. Der Pöbel begann, auf ihr Anstiften, die Fremden in den Straßen zu beschimpfen, und der Samudrin ließ die portugiesischen Faktoren (Händler) unter nichtigen Vorwänden festnehmen. Gama antwortete mit der Verhaftung vornehmer Inder und dem Donner seiner Schiffskanonen.

Bald verließ er das ungastliche Calicut, in dessen Hafen seine Nachfolger noch manchen harten Strauß bestehen sollten, und stach wieder in See. Dem Küstenorte Andjediva gegenüber stellte sich ein seltsamer Gast an Bord des Admiralschiffes ein. Es war ein spanischer Jude, der durch eine wundersame Verkettung von Umständen nach Indien verschlagen war und in Goa die Stelle eines Hafenkapitäns einnahm. Er war aus der Stadt Goa als Spion abgeschickt, um die Fremden auszukundschaften. Vasco nahm ihn mit List gefangen, und der kluge Mann leistete in der Folgezeit als Lotse die wichtigsten Dienste. Nachdem die Portugiesen noch mit dem Radschah des nördlich von Calicut gelegenen Hafens Cananor einen Handelsvertrag abgeschlossen und ihre Schiffsräume mit köstlichem Gewürz befrachtet hatten, dachten sie an die Rückfahrt.

Aber sie hatten ihre Rechnung ohne die Winde des indischen Meeres gemacht. Wie durch einen Zauber gebannt, lagen die Schiffe auf der spiegelglatten Flut und waren nicht vorwärts zu bringen. Erst nach drei Monaten kam die afrikanische Küste wieder zum Vorschein, und der Skorbut forderte unter den tapfern Seeleuten neue Opfer. Doch fanden sie wieder die freundlichste Aufnahme und Pflege in Malinde. Am 20. März wurde zum zweitenmal das Vorgebirge der Guten Hoffnung umschifft. Noch stand dem edlen Vasco ein herber Schmerz bevor. Auf der Azoreninsel Terceira starb in seinen Armen sein geliebter Bruder Paulo, der die Reise mitgemacht hatte, aber das Vaterland nicht wiedersehen sollte. Am 29. August erblickte der Seeheld wieder den heimatlichen Tejofluß. Sein erster Gang war eine fromme Wallfahrt nach dem Gotteshause Belem, wo er auch vor seiner Abfahrt in stillem Gebete geweilt hatte. Dann erst hielt er seinen feierlichen Einzug in die Hauptstadt. Er ward wie ein römischer Triumphator empfangen. Stiergefechte, Lanzenbrechen und Volksfeste folgten einander in buntem Wechsel; feierliche Prozessionen wallten durch die Straßen der portugiesischen Städte; der König erhob den Entdecker Indiens und seine Brüder in den Adelstand, schmückte sie mit einem stolzen Wappen, ernannte Vasco zum Admiral der indischen Meere mit einem ungeheuern Jahresgehalt und einem besondern Handelsprivilegium und machte ihn später, als sich die indischen Eroberungen zu immer höherem Glanze erhoben, zum Grafen von Vidigueira.

König Manuel hatte Grund, den Helden Vasco zu ehren. Er hatte in der Welt des Ostens gethan, was sechs Jahre vor ihm der große Genuese Christobal Colon im Westen vollbracht hatte. In den nächsten Jahren errangen die Portugiesen immer größere Erfolge. Alvarez Cabral führte eine neue Flotte nach Indien. Auf der Ueberfahrt westwärts getrieben, entdeckte er ein großes Land mit kupferfarbigen Menschen – Brasilien, das jahrhundertelang seine Schätze an den Tejo senden sollte. Endlich in Indien angekommen, schloß Cabral mit dem Sultan von Cochin, einem Vasallen des feindlichen Samudrin von Calicut, einen wichtigen Handelsvertrag. Doch, so groß Cabrals Verdienste auch sein mochten, es war wiederum Vasco da Gama vorbehalten, in dem schwierigen Lande festen Fuß zu fassen.

Im Frühling des Jahres 1502 lief er von neuem, diesmal mit einem stattlichen Geschwader, aus der Bai von Lissabon. Nach neuen Thaten in Ostafrika nahm er an dem Samudrin blutige Rache. Er zerstörte ihm zwei Flotten, befestigte das Ansehen seiner Landsleute bei den Vasallen des Sultans und kehrte am 1. September 1503 mit einer kostbaren Ladung nach Lissabon zurück.

Das waren herrliche Erfolge, ausreichend, ein Menschenleben auszufüllen und es zu einem der merkwürdigsten aller Zeiten zu gestalten. Aber noch eine andere große Aufgabe war dem Entdecker des Seewegs nach Indien vorbehalten. Fürs erste blieb er freilich in Portugal, und das war zur Wiederherstellung seiner von so gewaltigen Anstrengungen tief erschöpften Gesundheit dringend nötig. Inzwischen dehnten die Portugiesen ihre Besitzungen in Asien weiter und weiter aus. Sie vernichteten den arabischen und ägyptischen Handel und eroberten unter dem kühnen Albuquerque, dem genialsten der Nachfolger Gamas, einen Teil Hinterindiens. Aber schon bald zeigten sich die ersten Spuren des Verfalls. Von Osten her drangen die Spanier vor, und in Goa, dem Hauptorte der portugiesischen Verwaltung, begannen Zuchtlosigkeit, Beamtenbestechung und eine rohe Mißhandlung der Eingeborenen böse Früchte zu tragen.

Da sandte König Johann III, Manuels Nachfolger, noch einmal im Jahre 1524 den großen Vasco über die Wasser des Oceans. Er war im harten Seedienste frühzeitig gealtert, aber die Spannkraft der Jugend hatte er nicht verloren. Noch einmal bewährte sich der Zauber seines Namens. Sein erster Schritt war die Absetzung des unredlichen Kommandanten von Goa, der in seiner Pflichtvergessenheit so weit gegangen war, selbst die Kanonen an die Feinde zu verkaufen! Mit einem Schlage ward alles anders: die unrechtmäßige Besetzung der Aemter hörte auf; Handel und Wandel wurden geregelt; von neuem erblühte Goa. Aber der Anstrengungen und Aufregungen waren für den alten Vasco zu viele. Am Weihnachtstage 1524, dem sechsundzwanzigsten Jahrestage seiner Entdeckung des Natallandes, starb der große Mann in Cochin.

Von seinen Schöpfungen ist wenig mehr erhalten. Aus dem üppigen Grün der Palmengärten schauen in Goa, der verkommenen und fast verlassenen Stadt, die Ruinen der einst stolzen Paläste.

Vascos Sohn Christoph fand, etwa dreißig Jahre nach seines Vaters Tode, als Gefangner eines afrikanischen Königs ein schauerliches Ende. Des Entdeckers Gebeine waren 1538 nach Portugal geschafft und in der Kirche des Karmeliterklosters zu Vidigueira beigesetzt worden. Am 10. Juni 1880 wurden sie in prächtigem Aufzuge nach Lissabon gebracht und dort unter königlichen Ehren in der Gruft der Herrscher Portugals bestattet.

Es hat sich damals ein Streit erhoben über die Frage, ob jene Gebeine die echten gewesen seien. Aber nicht an diesem Staube hängt der Ruhm von Vascos Namen. Aus den Rahen der Schiffe, die den Ocean Indiens befahren, klingt er wieder, und Portugals größter Dichter, Luis de Camoens, hat ihm in seinen „Lusiaden“ ein für alle Zeiten unvergängliches Lied gesungen.




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