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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Abendunterhaltung einstellte: „Herr Pfarrer! Herr Pfarrer! Telegramm von Joseph! Schiffsjunge ist er, in Hamburg hat er sich anwerben lassen!“

„Gott behüt’ ihn,“ erwiderte der hochwürdige Herr. „Soll keine besonders erbauliche Gesellschaft sein, die der Schiffsjungen. Aber er hat gute Grundsätze. Wir wollen auf seine guten Grundsätze hoffen.“

Vater Kosel konnte sich eines Gefühls des Stolzes auf seinen kühnen und unternehmungsfreudigen Sohn nicht erwehren. Auch hatte er vor kurzem in einer Zeitung einen Aufsatz über Vererbungstheorie gelesen, der ihm viel Stoff zum Nachdenken gab und Joseph völlig entschuldigte. Die Familiengeschichte wies viele Kosel nach, die tapfere Soldaten gewesen waren, und einen, der ein großer Reisender war. Wer solches Blut in den Adern hat, ist schwer an häusliches Leben zu gewöhnen. Man kann ihn nicht am Lehrtisch festhalten und über Büchern seinen Thatendrang vergessen machen.

Herr von Kosel sagte das in Gegenwart von Leopold und Franz. Heideschmied hätte hinspringen und beiden zugleich die Ohren zuhalten mögen.

Renate schüttelte den Kopf zu solchen Gesprächen. „Lieber Felix,“ erwiderte sie, als er das Blut der Ahnen zum etwa dreißigstenmal von neuem anzapfte, „ich glaube nicht, daß unsre Religion – die übrigens lauter Duldung und Vergebung lehrt – uns gestattet, Verstorbene für das Unrecht Lebendiger verantwortlich zu machen.“

Oh non, Monsieur!“ versetzte Frau Heideschmied in zierlicher Bescheidenheit. Ihr Mann warf ihr einen zustimmenden Blick zu und sprach: „Nicht nur Thatendrang und Löwenmut haben unseren Joseph zur Flucht getrieben. Auch Furcht …“

„Furcht? Kann ich nicht zugeben.“

„– Vor der Prüfung, gnädiger Herr. Ich glaube, es wäre nützlich, seinen Brüdern die Sache auch von diesem Standpunkt aus zu beleuchten. Seit seiner Entweichung brennen ihnen die Köpfe, sie sind überhaupt nur noch für Geographie zu interessieren und auch da nur für überseeische. Sie stellen oft Fragen – mir wird angst und bang …“

Er liebte seine Zöglinge von ganzem Herzen, aber er liebte auch seine Stellung sehr, und die wäre unhaltbar geworden vom Augenblick, in welchem die beiden jüngeren Kosel gleichfalls das Weite gesucht hätten. Ein Erzieher ohne Erziehungsmaterial wäre ein Demosthenes, der nicht zu Worte kommt.

So hielt er denn seine Studenten in guter Hut und empfahl den Hausleuten und besonders dem Kaspar die äußerste und zugleich diskreteste Wachsamkeit. Die jungen Herren sollten zwar nicht aus den Augen gelassen werden, sich aber nicht gehemmt, beeinträchtigt fühlen in ihrer persönlichen Freiheit. Die Aufgabe war schwierig und mißlang. Leopold und Franz gerieten in Aufruhr, Heideschmied geriet in Mutlosigkeit und war nahe daran, allen seinen Ueberzeugungen zum Trotze die Dazwischenkunft der Familienautoritäten anzurufen. Da kam Hilfe – die Hilflose bot sie.

Eines Morgens klopfte ein kleiner Finger an seiner Thür, Elika verlangte Einlaß. Sie erschien als Parlamentär und überbrachte das Versprechen ihrer Brüder, daß sie jeden Gedanken an Flucht verbannen wollten, wenn ihnen ihre frühere Ungebundenheit wiedergegeben würde.

„Keine Aufsicht, lieber Herr Heideschmied,“ sagte Elika, „das mögen sie nicht, sie sind das nicht gewöhnt. Sie lassen Sie bitten um Vertrauen, sie werden ihm Ehre machen, sagt Leopold und Franz sagt: Das Mißtrauen ärgert uns.“

Sie stand vor ihm und sah zu ihm hinauf mit feuchten, leuchtenden Augen. Ihr ganzes kleines Wesen strömte Rührung und Ergriffenheit aus, und Heideschmied hatte einen schweren Kampf mit sich zu bestehen, um sie nicht in seine Arme zu nehmen, ans Herz zu schließen und auszurufen: Was du willst, Seelchen. Wie du willst, befiehl über deinen gehorsamsten Knecht! Aber er beherrschte sich, er behauptete seine Würde, belobte den guten Willen, den sie zeigte, sich zur Friedensbotin zu machen, und versprach, die Sache mit dem Vertrauen in Erwägung zu ziehen.

Er that es und faßte wunderbar schnell einen Entschluß, der den Wünschen der beiden Jünglinge völlig entsprach. Die „Polizeispitzelei“, wie sie sich ausdrückten, hörte von einem Augenblick zum andern auf. Das hatte die arme Kleine ganz allein durchgesetzt. War es nicht wunderschön, und konnte man ihr dankbar genug sein? Sie selbst mußte zugeben, daß es nicht leicht möglich sei.

„Seid also dankbar, wenn ihr schon wollt,“ sagte sie, schwer mit den Thränen kämpfend, „und bleibt immer und immer bei mir! Bis ich tot bin, müßt ihr bei mir bleiben; wenn ihr fort gingt und ich wäre eine Schwester ohne Brüder, stürb’ ich gleich.“

Und sie baten Elika, das Sterben nur noch aufzuschieben so lang’ als möglich, und wenn noch so lang’, wollten sie doch bei ihr bleiben.

(Fortsetzung folgt.)




Mein Feuersalamander.

Von Dr. K. G. Lutz.0 Mit Illustration von A. Kull.

Tiere, die der Mehrzahl der Menschen unsympathisch sind, dürfen, wenn immer möglich, auf meine Teilnahme an ihrem oft recht traurigen Geschick rechnen, und wenn ich ihnen einen Stein aus ihrem Lebenswege räumen kann, so thue ich dies mit wirklichem Vergnügen.

Zu diesen Verachteten, Verfemten, unter Umständen Verfolgten gehört mein Feuersalamander, der sein Dasein in einer kleinen Höhle unter einer Baumwurzel in der Nähe Stuttgarts fristete, bis er an einem regnerischen Apriltage des vorigen Jahres, als er eben nach Regenwürmern Umschau hielt, von mir entdeckt und sorgsam nach meiner Wohnung transportiert wurde. Es war ein Prachtexemplar, etwas über 18 cm lang. Tiefschwarz glänzte die Haut, und im schönsten Goldgelb prangten die großen Flecken, welche in zwei Reihen auf der Oberseite des Körpers und dem rundlichen Schwanze angeordnet waren. Der Feuersalamander fühlt sich allem Anscheine nach auch „unter dem Schutze der schwarz-gelben Flagge“ der Stadt Stuttgart ganz wohl, denn er ist in der Umgebung der letzteren, namentlich in den bewaldeten Schluchten, keine Seltenheit.

Ein prüfender Blick auf den Salamander und ich wußte, daß ich eine Vertreterin des schönen Geschlechts der Species Salamandra maculosa Laur. vor mir hatte, und diese Entdeckung veranlaßte mich zur Gefangennahme des hübschen Tieres. Ich hatte mir nämlich schon längst vorgenommen, die Entwicklung desselben einmal mit eigenen Augen zu verfolgen. Also richtete ich der Salamandra eine ihr, wie ich glaube, durchaus behagliche Wohnung zurecht: den Boden eines leeren Kastenaquariums belegte ich zur Hälfte mit Tuffsteinstücken, welche hierauf mit einer stets feucht gehaltenen Moosschicht bedeckt wurden; die andere Hälfte des Behälters erhielt ein ziemlich großes flaches Wassergefäß.

Hier ließ sich’s die Salamandra wohl sein. Den Tag über lag sie ruhig in ihrem Versteck unter dem Moos; mit Einbruch der Dämmerung kam sie hervor und verzehrte Regenwürmer, Nacktschnecken, Raupen und ähnliche kleine Tiere mit sichtlichem Wohlbehagen. Dieses Wohlbehagen wäre wahrscheinlich noch erhöht worden, wenn sie ihre Beute hätte zunächst etwas zerkleinern und dann fein kauen können. Allein hierzu sind Zähne von einiger Größe erforderlich und gerade an solchen fehlt es dem Feuersalamander. Er hat zwar in jedem Oberkiefer mehrere Reihen zweizinkiger Zähnchen und auch am Gaumen stehen Zähne in zwei s-förmig gebogenen Streifen; aber sie sind so klein, daß mit ihnen nichts anzufangen ist. Der Salamander muß seine Nahrung so gut es geht hinunterwürgen. Daß er aber im Verschlingen Großes leistet, davon konnte ich mich oft überzeugen: Regenwürmer, fast so lang wie er selbst, verschwanden ruckweise in kurzer Zeit zwischen den Kiefern des breiten Kopfes.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0332.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)