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das Technische. Vor lauter Drähten, Spulen, Knöpfen, Tastern, Kabeln, Batterien und Klopfern wird dem Laien ganz wirr im Kopf.

Das Telephon in seiner ersten Gestalt.

Wer aber liebevolles Verständnis mitbringt, der kann hier auf verhältnismäßig engem Raum die ungeheure Umwälzung vom optischen Telegraphen bis zum Mikrophon überschauen. Und manch einfach rührendes Stück ist unter der überreichen Fülle: so Morses erster Apparat (s. nebenstehende Abbildg.), den er sich selbst noch aus Holz und Draht kunstlos zusammengebastelt hat, und das erste Telephon von Philipp Reis aus dem Anfang der sechziger Jahre. Wie anders sieht dagegen die vollständige Fernsprechstation aus, die, von Siemens & Halske hergestellt, im Hofzug des Kaisers angebracht ist!

Der erste Morse-Apparat vom Jahre 1837.

Der Schluß unserer Wanderung führt uns an einen Platz stillen Gedenkens, in den Ehrensaal, dem Andenken Heinrich Stephans geweiht. Hier hängt das photographische Bild des unscheinbaren kleinen Hauses zu Stolp (s. unsere Abbildg. S. 315), in dem vor nunmehr 67 Jahren als Sohn eines Schneiders der Mann geboren wurde, der nicht nur der Begründer der deutschen Reichspost, sondern der Reformator des gesamten Postwesens überhaupt werden sollte. Es ist ein weiter Weg von jenem Stübchen in Hinterpommern bis zu diesem Gedenksaal, wo in stolzer Menge nebeneinander liegen Ehrenbürgerbriefe und Adressen in kostbarster Ausstattung, das Adelsdiplom und der Kranz, der auf dem letzten internationalen Postkongreß in Washington Stephans leider schon verwaisten Stuhl schmückte. Diesen Kranz hat Geh. Ober-Postrat Neumann über das Meer mit herübergebracht; er ist es auch, der mit Unterstützung des Herrn Rechnungsrats Rack das Postmuseum im Sinne des großen Toten leitet und stets darauf bedacht ist, es um interessante Gegenstände zu bereichern.

Aus der Fülle der Sammlungen konnten hier natürlich nur Einzelheiten, gewissermaßen Stichproben gegeben werden. Wer sich näher über das Museum unterrichten will, der findet alles Wissenswerte in dem großen Katalog sowie in dem zwar etwas veralteten, aber immer noch sehr lesenswerten Buch von F. Hennicke, „Das Reichspostmuseum“. Wer aber nach Berlin kommt, versäume nicht, die Schätze des Museums anzuschauen.




Schmerzlose Operationen bei erhaltenem Bewußtsein.

Von Dr. J. Herm. Baas.


Es ist noch nicht lange her, daß die Chirurgie der mittelalterlichen Auffassung entwachsen ist. Noch im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts galt es als eines auf Universitäten gebildeten Arztes unwürdig, dieselbe praktisch auszuüben, und nur erst sehr wenige Aerzte hatten den Mut, diesem Vorurteile zu trotzen. Gehörte doch auch der Chirurg in manchen Staaten noch um die Mitte dieses Jahrhunderts zum niederen ärztlichen Personal und staatlich zu den zünftigen Handwerkern. Ja einfach als „Handwürcken“ bezeichneten früher die Chirurgen selbst gut deutsch ihre Thätigkeit, und auch ihre Werke schrieben oder vielmehr mußten sie deutsch schreiben. Und wo an Universitäten Chirurgie gelehrt wurde, war die Vortragssprache die deutsche, die als „populär“ galt, im Gegensatze zu der lateinischen für die „inneren“ Aerzte. In der Praxis mußte oder sollte doch der Chirurg in ernsteren Fällen stets einen dieser „gelehrten“ Aerzte zuziehen und dessen Anordnungen als eine Art Handlanger befolgen, obwohl dieselben günstigen Falls nur aus Büchern ihr chirurgisches Wissen geschöpft hatten. Wie ist das jetzt alles anders geworden! Heute gilt die Chirurgie fast mehr als die innere Medizin.

Unter den glänzenden Fortschritten unseres Jahrhunderts nun, welche der heutigen Kunst der Chirurgie, in erster Linie den chirurgischen Operationen, den jetzigen Stempel vorher nie erhörter Kühnheit und Vollkommenheit aufdrücken und dabei oft geradezu staunenswerte Erfolge möglich und sogar alltäglich machen, stehen drei oben an. Es sind dies die allgemeine Schmerzbetäubung (Narkose, Anästhesierung) vor, die Verhütung der Blutvergiftung (Anti- resp. Asepsis) nach und die Blutsparung während des „Handwürckens“ des Wundarztes.[1] Von diesen drei Großthaten aber ist nur die zuletzt genannte eine rein deutsche Erfindung, die beiden andern gehören den Amerikanern und Engländern an.

Die Beseitigung des Schmerzgefühls durch Einatmung von Lachgas, Aether oder Chloroform – das war die zeitliche Aufeinanderfolge der angewandten Mittel – erfolgt durch Aufhebung des Gesamtbewußtseins. Das ist einesteils mehr als nötig ist, denn es genügt ja offenbar, wenn nur der Schmerz in dem Körperteil, an welchem operiert werden soll, beseitigt wird, anderseits hat sie, was schlimmer ist, eine nicht geringe Anzahl von zum Teil sehr störenden Beschwerden und Nachwehen zur Folge. Am schwerstwiegenden aber ist es, daß sie bis heute trotz aller angewandten Vorsichtsmaßregeln nicht ganz frei von unmittelbaren Gefahren für das Leben ist.

Auf Veranlassung des Chirurgenkongresses hat der verdiente Berliner Professor Gurlt eine vergleichende Statistik ausgearbeitet, die sich über 327500 Fälle der allgemeinen Betäubung oder Narkose aus den jüngst verflossenen sieben Jahren erstreckt. Davon endeten 137 mit dem Tode, und zwar entfiel ein Todesfall auf 2039 Chloroformierungen, einer auf 5019 Fälle bei Einatmung von Aether und einer auf 7594 bei Anwendung von Chloroformäther. Im Jahre 1896/97 belief sich der Verlust bei 27029 Chloroformierungen auf 29, bei 19856 Aetherisierungen dagegen nur auf 3; doch muß dazu bemerkt werden, daß diese ganze Statistik eine sozusagen auserlesene ist, die aus besonders günstig gestalteten Verhältnissen herrührt. Sicherlich werden viele ungünstige Fälle ja gar nicht veröffentlicht.

Diese Gefahren der allgemeinen Betäubung gaben den Aerzten Anlaß, nach anderen Mitteln und Verfahren zu forschen, welche ein schmerzloses Operieren ermöglichten. Sehr erwünscht erschien es dabei, Mittel zu finden, die nur in dem zur Operation bestimmten Körperteil das Schmerzgefühl beseitigen, im übrigen aber den menschlichen Organismus nicht beeinflussen würden. In dieser Richtung hat ein Franzose eine neue Art freilich noch nicht ganz örtlicher, weil vom Blute aus wirkender Schmerzbeseitigung durch Einspritzung narkotischer Mittel, besonders des Morphiums, unter die Haut mit der Nadelspritze erfunden. Von einem Engländer stammt eine andere Methode, die eine rein örtlich begrenzte Aufhebung der Empfindung herbeiführt und in der Bestäubung der Haut mit Aether besteht. Diese beiden Verfahren nun waren Vorläufer einer wichtigen Erfindung, die wir einem deutschen Arzte verdanken.

Die Thatsache, daß auch die Einspritzung von starken Morphium- und Kokainlösungen unter die Haut nicht frei von Gefahren ist, gab dem Berliner Arzt C. L. Schleich Anlaß zu einer erneuten Fragestellung an die Natur, wie man die

  1. Vergl. „Gartenlaube“, Jahrgang 1881 Seite 191: „Drei Großthaten der Humanität“ vom Verfasser.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0316.jpg&oldid=- (Version vom 8.1.2022)