Seite:Die Gartenlaube (1898) 0311.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Nur Mut, die Sonne muß wieder scheinen,“ hat Anton zu den Leuten gesagt, allein er selbst besitzt keinen Funken mehr von Mut. Er weiß, was es für ihn bedeutet – eine zerstörte Ernte! Den Ausfall kann er in seiner jetzigen Lage nicht verschmerzen; gegen Wolkenbruch ist man nicht versichert, ein Körnchen Hagel ist nicht gefallen. Hart, daß Assekuranzen für Ueberschwemmungen und Hochwasserschäden nicht existieren! Der ungeheure materielle Schaden schwebt ihm vor wie ein Gespenst, und die Unmöglichkeit, jetzt schon zu beurteilen, wie groß dieser Schaden ist, steigert noch seine Niedergeschlagenheit. Er kommt völlig niedergedrückt in das Schloß zurück, kleidet sich um und verlangt zu frühstücken. Sobald es ganz hell wird, will er hinaus und sehen, was ihm noch geblieben ist.

Im Schlösse steht das Souterrain unter Wasser, die Wein- und Küchenvorräte sind nach oben geschafft, ebenso die Kuchenmöbel; alles liegt und steht, ein Chaos, in der großen Halle umher; sonst ist keinerlei Schaden zu verzeichnen; nur die Bewohner haben sich geängstigt. Auf dem Wirtschaftshof hat das Wasser nur einen Stand von ungefähr einem Fuß gehabt; nein, hier ging es gnädig ab, aber die Felder!

Anton steigt hinauf in die Bibliothek und starrt durch den Nebel und Dunst des noch immer leise rieselnden Regens in den grauen Morgen hinaus. Weit kann er nicht sehen, aber was er sieht, ist nichts als eine Fläche bleifarbenen Wassers, aus dem die Chausseebäume hervorragen; sein Garten ist ein See, die verschnittenen Buchenhecken bilden Kanäle in demselben; die Sandsteinfiguren spiegeln sich in der Flut und scheinen darauf zu schwimmen; bis zur Sockelhöhe steht das Wasser, erst gegen den höher gelegenen Hof zu ebbt die Flut ab. Die große Weizenbreite jenseit des Gartens, die sein Stolz und seine Hoffnung war, ist gänzlich vernichtet.

Das war der zweite harte Schlag seit vorgestern. Wenn er sich nur aussprechen könnte, wenn nur einer zu ihm sagen wollte: „Anton, ängstige dich nicht, wir tragen es gemeinschaftlich, was auch komme.“ Er wendet sich hastig um, er meinte in Wahrheit diese Stimme gehört zu haben, Christels Stimme, aber das Zimmer ist leer, er ist allein. Merkwürdig, in dieser Nacht, in all dem Schrecken und Graus hat ihm seine Phantasie einen Streich gespielt: er meinte einen Augenblick Christels Gesicht gesehen zu haben über der Mauer des Pfarrhofs. Sie ist nicht hier, selbstverständlich nicht. Als ob sie nach Wartau kommen würde! Freilich, die Frau Heine hatte etwas gesagt von einer Krankheit der Pastorin, und daß man nach der Schwester telegraphiert habe; das wird die Louise sein sollen, natürlich. Ach, es ist ja auch ganz gleichgültig, die Vergangenheit ist abgethan, was geht ihn das alles noch an? Es darf ihn nichts mehr angehen! Sein Leben gehört seinen Kindern – arme Kinder!

Ha, ha, eigentlich ist’s zum Lachen! Wie hat er sich Kinder gewünscht mit Christel, damals, als er in eine bessere Lage kam, zu einer Zeit, wo er sie gut erziehen und ernähren konnte! Nun hat er die Kinder, aber keine Mutter zu ihnen, und obendrein ein verwundetes Herz und viele Sorgen – welche Ironie!

Er geht wieder hinunter und trifft mit Heine zusammen, der ihn mit mitleidigem Blick ansieht. „Herr Mohrmann, der Meier vom Vorwerk ist hergeritten.“

„Nun?“ sagt Anton.

„Alles hin, Herr Mohrmann, alles ersoffen! In Altwitz ist’s fast noch schlimmer, das ganze Dorf kampiert im Schlosse mit allem, was man retten konnte, Leute und Vieh. Der Meier erzählt, der Damm vom Ochsenteich sei gebrochen. Nein, wie ist das nur möglich, Herr Mohrmann? Der Altwitzer Graf hat gesagt, seit Menschengedenken wäre das nicht vorgekommen in unserer flachen Gegend. Von Thissow fehlt noch die Nachricht, aber der Herr Graf meint, er würde sich nicht wundern, wenn das Herrenhaus bis zum ersten Stock im Wasser stecke, weil’s an der Mulde liegt. Die Bahn ist bis zur Station hin zerstört, auf allen Dörfern haben sie Sturm geläutet die ganze Nacht lang.“

„Kann man wohl hinaus, um den Schaden zu taxieren?“

„Gott bewahre! Wenn’s jetzt aufhört zu regnen, vielleicht morgen, Herr Mohrmann, und das – seien Sie nicht böse – das sehen Sie noch früh genug, ’s ist alles hin! Aber, Herr Mohrmann, vielleicht, daß die Kartoffeln nach dem Rütwitzer Sandberg zu verschont geblieben sind, das wäre noch ein Trost.“

Anton, der mit Heine während dieses Gespräches in sein Zimmer getreten ist, wirft sich in einen Sessel. „Sie wissen, was das heißt für uns, Heine?“

„Ja, Herr Mohrmann; ich sagte schon zu meiner Frau, ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken nach alledem. Aber, wenn wir nun ein bißchen sparsamer – verzeihen Sie mir, Herr Mohrmann, in den letzten Jahren ist – ist –“

„Ja, ja, Heine, wenn’s nur nicht zu spät ist, aber setzen Sie sich doch.“

„Die Luxuspferde könnten doch, ich meine die Rappen – die Viecher stehen sich ja die Beine in den Leib, wann hat sie denn die gnädige Frau mal gefahren? Und der Shetlandpony – der Lothar ist ja noch viel zu klein. Und das frißt und frißt, und der Wilhelm frißt auch mit sein unnützes Brot.“

„Ja, Heine, daran habe ich auch schon gedacht, und nun vollends, wo das Futter knapp wird.“

„Ja, wenn Sie aber auch gleich die gesamten Kühe im Dorfe mit füttern wollen, Herr Mohrmann –“

„Das lassen Sie nur, Heine, das muß sein, bis die Leute sich erholt haben. Das Grummet schwamm ja in hellen Haufen mit fort.“

„Wir könnten’s später gut verkaufen; na, aber ’s ist wahr, das Herz geht einem über bei solchem Elend.“

„Lassen Sie nur Stroh schichten für heute abend, in der Weizenscheuer, Heine, und stellen Sie Wache, daß da nicht etwa einer raucht; Ihre Frau muß in der Leuteküche ordentlich was kochen, was Kräftiges.“

„Etwa Speck mit Erbsen, Herr Mohrmann, denn grünes Gemüse – da können wir uns ja vorläufig den Mund wischen.“

„Schön, Heine, – wenn ich nur wüßte, wie’s werden soll!“

„Es wird schon gut werden, Herr Mohrmann. Wenn jetzt einfacher gelebt wird, kann meine Frau wieder mehr Milch und Butter fortschaffen; zuletzt war’s ein bißchen schwach damit. Wir sparen, Herr Mohrmann, wir sparen, wir haben’s ja doch früher auch gethan, warum nicht jetzt? Wir kommen auch durch dieses Jahr.“

Und der ehrliche treuherzige Mensch verläßt seinen Herrn und Anton lacht bitter hinter ihm her. Was wußte der von den Verbindlichkeiten, die ihn drücken! Ach, alter Freund, mit deiner Milch und Butter, mit dem Abschaffen der Pferde machst du das verfahrene Schiff nicht wieder flott, nach diesem Unglück nicht, da hilft nicht einmal mehr der Ertrag aus der Flußspatgrube!

In diesem Augenblick steckt Heine wiederum den Kopf durch die Thür. „Ich vergaß ganz, zu sagen, Herr Mohrmann, unsere Frau Pastorin ist die Nacht gestorben. Es hat kein Mensch bemerkt, sie hat noch ebenso dagelegen, wie sie eingeschlafen ist, die Hand auf dem kleinen Anto seinem Kopf, der auch noch schlief. Frau – – ihre Schwester hat sie so gefunden.“

„Meine – Christel?“ fragt Anton.

„Ja, Herr Mohrmann; die andere konnte, glaube ich, nicht kommen, die hat da oben im Dorfe, wo Frau Christel wohnt, einen Oekonom, einen Witmann, kennengelernt und ihn geheiratet. Die Leute reden ja, er habe eigentlich Frau Christel gewollt, aber die – Herrgott, ich wollt’ nur sagen, die arme Pastorin hat ausgelitten.“ Und er geht. und schließt die Thüre hinter sich und Anton Mohrmann bleibt allein in seinem Kummer, seinem Schmerz, seinen wachgerüttelten Erinnerungen, die ihn wie blasse Gespenster umtanzen mit großen, vorwurfsvollen Augen.




Anton hat am Begräbnistage einen Kranz geschickt und ist dann in den Landwirtschaftlichen Verein in die Stadt geritten, Er hätte gern der ehemaligen Schwägerin die letzte Ehre gegeben, aber um Christels willen bleibt er fern.

Die große Stube im „Deutschen Hause“ ist dicht gefüllt mit Herren, die Wasserkatastrophe hat sie zusammengeführt. Mehr oder weniger haben sie alle gelitten, Wartau und Altwitz jedoch am meisten, dann kommt Thissow. Man berät her und hin, erzählt haarsträubende Geschichten aus den Stunden der Gefahr, hier und da auch einige komische, und trinkt viel echtes

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0311.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2020)