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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Gut, wenn du die Sache auf die Spitze treiben willst, wenn du nicht bedenkst, daß ich in den sechs Jahren unserer Ehe nie etwas mir zu schulden kommen ließ, dann –“

„Nichts weiter als eine einzige ungeheuere, täglich wiederholte Lüge,“ schaltet er ein.

„Dann will ich dich befreien von meiner Gegenwart, dann reise ich ab! Ich vertrage es nicht, lächerlich gemacht zu werden vor den Leuten. Was soll man denken von dieser Absage? Die ganze Gegend wird Kopfstehen! Wenn du glaubst, mit dieser exemplarisch gewählten Strafe meine Zuneigung zu erzwingen, so irrst du dich. Nun erst recht nicht, nie, nie!“

„Ich will gar nichts erzwingen, ich finde den Gedanken an Abreise sogar sehr sachgemäß.“

„Du willst also, daß ich gehe, du weisest mich hinaus?“

„Durchaus nicht! Die Mutter meiner Kinder weise ich nicht hinaus. Willst du als solche bleiben –“

„Aber – als deine Frau – meinst du – da – – “

Er wirft die halb aufgerauchte Cigarre in den Aschenbecher mit einer Gebärde des Ekels, und sich mit gerunzelter Stirn zum Fenster wendend, sagt er sehr langsam und fast heiser: „Ich habe keine Frau mehr!“ Dann hört er hinter sich einen Aufschrei, und ein tolles, wildes Schluchzen beginnt – Edith hat ihre Weinkrämpfe.

Er tritt zu ihr, hebt sie vom Boden auf, legt sie auf seine Chaiselongue und klingelt dann; wie ein Alarmruf schallt die Glocke durchs Haus. Tante Tonettens Jungfer stürzt nach ein paar Minuten ins Zimmer.

„Die gnädige Frau ist krank, bekümmern Sie sich um sie! – Sie wissen ja Bescheid,“ sagt er. Und an der verdutzten Person vorüber geht er aus dem Zimmer in die Bibliothek hinauf und schließt hinter sich ab. Dort wirft er sich aufs Sofa, und nun schämt er sich auch nicht mehr, daß schwere heiße Tropfen ihm aus den Augen dringen und langsam in den Bart rinnen. – Am andern Tage liegt ein bleigrauer Himmel über der Welt und der Inspektor Heine ruft Anton zu, der in den Stall geht, um den Fuchs zu besuchen, den er gestern abend geritten hat, als er über seine Verzweiflung, über seinen rasenden Schmerz Herr werden wollte: „Heute giebt’s was, hoffentlich kein Unwetter. Das Barometer steht beinahe auf Erdbeben! Da wird’s wohl auch schlecht aussehen mit dem Tanzfest im Garten.“

„Das fällt leider so wie so aus, lieber Heine, meine Frau ist krank, alles abgesagt,“ antwortet Anton und tritt in den Stall, wo das schöne Pferd noch liegt, nun aber, da es seinen Herrn erkennt, aufsteht und wiehert. Er tritt heran, befühlt die Beine und klopft ihm den schlanken Hals. „Ruh’ dich aus, Alte,“ sagt er leise, „gottlob, es hat dir nicht geschadet.“

Heine ist ihm gefolgt und fragt, ob’s auch nicht schlimm sei mit der gnädigen Frau. Natürlich hat er bereits munkeln gehört, daß im Schlosse alles außer Rand und Band ist, daß die Einladungen sämtlich telegraphisch abgesagt wurden, daß Fräulein Tonette Gallerbrechen hat und Fräulein Josepha sowohl wie Frau von Lattwitz gleich nach Beendigung des einfachen Taufaktes abreisen werden.

„Ich sprach den Arzt noch nicht, Heine,“ berichtet Anton.

Frau Heine kommt jetzt auch. „Nein, wie jammerschade, Herr Mohrmann! Und wer soll denn nun bloß alle die Gelees und Cremes aufessen, und die Pasteten? Die Mamsell ist rein außer sich –“

„Sagen Sie der Mamsell, sie möchte einen gehörigen Korb voll einpacken für Frau Heine,“ versucht er mit trübem Lächeln zu scherzen.

„Zu gütig!“ ruft die kleine Frau. „Nein, so ’n Unglückstag, das macht das heiße Wetter! Bei Pastors liegt seit gestern abend die arme Frau danieder, soll ein Schlaganfall sein! Das Mädchen, das nach Eis für die Kranke geschickt war, erzählte, der Herr Pastor hätte gleich an die Schwester telegraphiert; lieber Gott, und es sind doch noch immer kleine Kinder da.“

Anton beißt die Lippen aufeinander. Er hat in dieser schlaflosen Nacht an Christel, immer wieder an Christel gedacht. So mochte ihr ähnlich zu Mute gewesen sein, als sie den Brief fand droben in der Bibliothek, wie gestern ihm, als er Ediths unbarmherzige Worte durch den Vorhang vernahm. Unbeschreiblich ernüchtert fühlt er sich, so in den Schmutz hinabgedrückt seine Seele! Selbst der Gedanke an die Kinder thut ihm weh, Kinder, die in Heuchelei und Verstellung zur Welt geboren sind, beschmutzt und belastet mit der Gemeinheit der Lüge! Was soll werden aus ihnen? Haben sie nicht das Gift der Heuchelei schon mitgebracht in ihrer kleinen Seele? Und er, der nichts mehr haßt als Unwahrheit und falschen Schein, er wird keine reine Freude an ihnen haben, er wird immer suchen und forschen, ob sich nicht die ererbte Sünde in ihren Trieben offenbart.

So hat er gegrübelt und gezweifelt in den paar kurzen Nachtstunden, und auch am Tage will das Gespenst nicht weichen. Er fühlt, daß ihn das Ehepaar Heine scheu und mitleidig beobachtet, zieht den Hut mit einem „Guten Morgen!“ und schlägt den Weg nach dem Garten ein. Als er im Begriff steht, die Gitterthür wieder zu schließen, überholt ihn der Diener und bestellt eine Empfehlung von Fräulein Josepha von Wartau und ob sie Herrn Mohrmann auf einen Augenblick sprechen könne. Sie warte in dem blauen Zimmer neben dem Saale. Er dreht auf dem Fleck um und geht ins Haus zurück. Die Stiftsdame erhebt sich bei seinem Eintritt aus einem Rokokosesselchen am Kamin; die trotz des trüben Himmels geschlossenen Jalousien geben dem zarten Blau des mit Rosenranken durchwirkten Stoffes einen mißfarbenen Ton. Die Bilder an den Wänden verschwimmen in dem unbestimmten Licht und es riecht betäubend nach halbverwelkten Sommerblumen, die gestern bereits in den Vasen arrangiert wurden, der Hitze aber nicht standgehalten haben.

„Sie wünschen, Baronesse?“ fragt Anton und schiebt ihr den Sessel wieder zurecht, indem er ihr gegenüber Platz nimmt.

„Sie können denken,“ beginnt sie in ihrer herben hochmütigen Art, „daß es allerlei zu besprechen giebt wegen Edith und daß, da Edith sich weigert, mit Ihnen persönlich zu verhandeln, und Tonette elend ist, ich die einzige bin, die –“

„Ich wüßte niemand, mit dem ich diese traurige Angelegenheit lieber ordnen möchte,“ unterbricht er.

Der warme Ton seiner Antwort läßt sie erstaunt aufblicken. „Wieso?“ fragt sie.

„Weil es stets eine Wohlthat ist, mit einer vornehmen ehrlichen Seele zu verhandeln, in solchem Falle ganz besonders.“

„Es thut mir leid, daß Sie durch ein Glied meiner Familie mit der gegenteiligen Gesinnung eine so traurige Erfahrung machen mußten,“ bemerkt sie.

„Ich bin nicht schuldlos an dieser Erfahrung, Baronesse.“

„Da haben Sie recht,“ sagt sie mit einer Bitterkeit, die ihn wie ein Schlag trifft.

„Ich büße schwer für mein Vergehen, Baronesse; nur eins bitte ich mir zu glauben, ich habe keine Lüge gebraucht, keine Unwahrheit gesagt, nie Komödie gespielt. Ich habe, an der Seite eines guten treuen Kameraden lebend, das Mädchen gesehen, das meine ganze Leidenschaft entzündete, aber kampflos bin ich nicht unterlegen, und nie würde ich mich von Christel getrennt haben, wenn nicht der Zufall einen Brief in ihre Hände gespielt hätte, der bestimmt war, meinen Seelenzustand einem Freunde anzuvertrauen. – Christel ging, weil sie mich glücklich machen wollte.“

Die Baronesie hört mit gerunzelter Stirn zu und schweigt noch eine ganze Weile, nachdem er geendet. „Ich ließ Sie bitten,“ sagt sie dann, das bisherige Thema verlassend, „um von Ihnen zu erfahren, wie Sie sich die nächste Zukunft gedacht haben, und Ihnen mitzuteilen, wie wir es am besten finden.“

„Ich bitte zunächst um Ihren Plan, Baronesse.“

„Ich habe Edith gegenüber ihrem Verlangen beigestimmt, daß sie Wartau verlassen soll; ein Zusammenbleiben für jetzt ist ja geradezu undenkbar.“

„Ich stimme mit Ihnen vollkommen überein, Baronesse.“

„Da Edith noch zu jung ist, um sie allein reisen zu lassen,“ fährt sie fort, „möchte ich, daß Tonette sie begleitet. Wenn sie auch in ihrem Dränge, Edith und sich eine sichere Lebensstellung zu schaffen, großes Unrecht that, so wird sie doch jedenfalls die geeignete Hüterin sein für Ihre junge Gattin, deren Ehre noch immer die Ihrige ist. Die Kinder, denke ich, sollen hier bleiben, kleine Kinder gehören nicht ins Coupé, in ein wechselndes Leben; die Kinderfrau ist ja wohl zuverlässig?“

Er hat wieder feuchte Augen. „Ich bin mit allem einverstanden und werde mit doppelter Liebe über meine Kinder wachen.“

„Verzeihen Sie noch die Frage nach dem Geldpunkt,“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0307.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2020)