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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Postsachen. – Das Wertpaket,“ sagt er zu dem eintretenden Diener, „bringe das Wertpaket zurück!“

In wenigen Sekunden liegt das Paket wieder auf dem Tische. Anton öffnet es und sagt: „Hier – wähle, bitte! Der billigste der Kämme, der mit den sechzehn Brillanten, kostet zweitausendfünfhundert Mark, aber vielleicht gefällt dir ein anderer noch besser.“ Er dreht sich gleichgültig um und schaut zum Fenster hinaus.

Sie weiß nicht, was thun, er ist so schrecklich gereizt; dies Scharmützel war härter als alle vorhergehenden. Ah, bah! Sie kennt ihn ja! Wenn er sie nachher sieht, seinen Jungen auf dem Arm, so ist alles vergessen; um des Kindes willen holt er ihr die Sterne vom Himmel, verzeiht er ihr alles! Was sie in Lothars Namen verlangt, das bekommt sie ohne weiteres, auch jetzt den Kamm und seine Verzeihung obenein; wozu also ihren Wunsch aufgeben? Sie beschließt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, tritt an den Tisch und beginnt zu prüfen. Zufällig gefällt ihr der billigste Kamm, der Form wegen, am besten.

„Anton,“ schmeichelt sie, „ich will nicht trotzig sein, ich werde den billigsten nehmen.“

„Wie rücksichtsvoll,“ sagt er, ohne sich zu wenden, „aber geniere dich doch nicht; ob ich nun schließlich zweitausend und fünfhundert oder dreitausend Mark schuldig bleibe, das ist ja egal.“

Sie lacht belustigt, ungläubig – „Schuldig bleiben?“

Aber er spricht die Wahrheit, er befindet sich thatsächlich in Verlegenheit. Die Ausgaben für den Haushalt sind rapid gestiegen, die Einnahmen sind schlechter geworden. Fast alle seine Bekannten haben ihren Lebensgewohnheiten Einschränkungen auferlegt, er allein hat sie erweitert. Er muß sich gestehen, daß in seinem Hause fürstlich gelebt wird, nicht um seinetwillen, sondern weil Edith es liebt, weil er um Gotteswillen nicht zugiebt, daß sie etwas entbehrt. Wären nicht die Kuxe des Flußspatwerkes, die ihm nach wie vor eine große Summe zuführen, er hätte sich nicht bis heute halten können. Von Sparen freilich, von Zurücklegen ist in den letzten Jahren keine Rede mehr gewesen.

„Ich werde jedenfalls den billigeren nehmen,“ wiederholt Edith. „Komm’ doch her, Anton!“ – sie zieht ihn am Arme – „ich will dir danken, du Brummbär, du Böser. Wenn ich erst alt bin und mich nicht mehr putzen mag, bekommt Lothar eine Hemdenknopfgarnitur von den Steinen – du siehst, es ist kein weggeworfenes Geld.“

Aber heute zaubert sie kein Lächeln um seinen Mund, weder mit spaßhaften Bemerkungen, noch mit Kose- und Schmeichelworten. Er nickt nur ein paarmal und setzt sich an den Schreibtisch. Sie fragt, ob er die Kämme wieder einpacken wolle. „Ja! ja!“ ist die kurze Antwort. Da bricht sie plötzlich in bittere Thränen aus, in ein ganz unheimlich wildes Schluchzen, das er kennt, das ihn erschreckt bis aufs äußerste. Er springt auf und nimmt sie in seine Arme und hält ihren Kopf an seine Brust gepreßt.

„Du liebst mich nicht mehr!“ stößt sie zwischen dem Schluchzen hervor, „du liebst mich nicht mehr!“

„Ich? Ach großer Gott, Kind, ich liebe dich nur zu sehr,“ antwortet er und küßt sie. Und wie das Schluchzen immer wilder wird, hebt er sie empor und trägt sie wie ein Kind im Zimmer umher, bis sie sich beruhigt hat und der schlanke Körper nur noch hier und da zusammenbebt.

„Du darfst nicht so weinen,“ sagt er besorgt, „nun wirst du wieder dein Kopfweh haben.“

Sie nickt.

„Soll ich dich nach oben tragen? Dir ein Brausepulver mischen?“

„Ja!“ flüstert sie.

Und er steigt die Wendeltreppe empor, die aus seinem Zimmer nach dem ihren führt, und legt sie dort, sorgsam wie eine Mutter, nieder, mischt ihr das kühlende Getränk, verdunkelt das Zimmer und kniet neben ihr, sie mit ängstlichen besorgten Augen anschauend. Da schlingt sie die Arme um seinen Hals und küßt ihn. „Du bist nicht böse? Nicht wahr, du bist nicht böse?“ flüstert sie.

„Nein, o nein!“ sagt er, glücklich über ihre Zärtlichkeit. Als er sie verläßt, kommt wieder das alte bedrückende Gefühl über ihn, die Erinnerung an das eben Erlebte. Er sitzt unten an seinem Schreibtisch, den Kopf in die Hand gestützt, und grübelt, grübelt. Wohin ist’s mit ihm gekommen! Was hat er für ein Leben geführt während der letzten Jahre, ein Leben ohne Freude und Ruhe an der Seite dieser Frau, die seine ganze Seele gepackt hält! Unberechenbar, voll teuflischen Liebreizes; jetzt abstoßend und im nächsten Augenblick hinreißend sanft und lieb, verschwenderisch, bequem, ohne einen Funken Pflichtgefühl, und doch so unwiderstehlich für ihn, wenn sie ihr Kind im Arme hat. Daß sie diese Pose mit Vorliebe wählt, wenn sie etwas von ihm erreichen will, ist ihm in seiner Ehrlichkeit noch nie aufgefallen; daß sie Weinkrämpfe mühelos bekommt, sobald sie will, ist etwas, das er gar nicht für möglich halten würde. Sie ist die Mutter seiner Kinder, sie hat sie ihm geschenkt unter tausend Qualen, das hebt sie über alle ihre Eigentümlichkeiten und Launen hinaus. Und sie liebt ihn! Sie hat so viel schwere Stunden für ihn durchlebt, damals, als er noch Christels Mann war; er hat es in ihren Augen gelesen, den schönen feurigen Augen, er hat es aus ihrer Blässe, ihren Thränen entnommen, ihr Mund hat es ihm gesagt an jenem Abend, bevor sie nach Italien reiste. Sie liebt ihn in ihrer Weise, anders, wie er sich die Liebe einer Frau gedacht hat, wie er die Liebe des Frauenherzens kennt, aber – sie ist so jung, so schön, es ist ihm ja überhaupt ihre Neigung noch immer wie ein Wunder erschienen – –.

Aber heute, heute hat sie ihm doch wehgethan. Er hat dagesessen eine halbe Nacht lang, um die Form der Brosche selbst aufzuzeichnen, er war selber gerührt gewesen von der Idee „unser Dreiblatt“. Er hatte gemeint, sie müsse ihm jubelnd um den Hals fallen, und es machte in Wirklichkeit gar keinen Eindruck. Nun, der Geschmack ist verschieden, aber die Absicht, sie zu erfreuen, hatte er doch gehabt, die hätte sie erkennen müssen!

Schön! Also das Kämmchen, und zwar auf Pump! Pfui Teufel – er ist seit seiner Studentenzeit nichts mehr schuldig geblieben, aber er kann jetzt nicht bar zahlen, denn – die Taufe und so weiter. Wären nur die Ernteaussichten nicht so schauderhaft! Das Korn ist beinahe auf der Wurzel vertrocknet; seit Wochen kein Regen, kein Tau, Kartoffeln wird’s gar nicht geben, und Heu? Ja, ein wenig, aber lange nicht so viel als er gebraucht. Welche Summe wird er allein aufstellen müssen für das Futterheu? Ach, Donnerwetter, es ist ihm doch zu fatal, solche Luxusdinge wie den Kamm schuldig bleiben zu müssen! Er wird am besten thun, gleich eine große Summe bei der Landwirtschaftlichen Kreditbank zu erheben, er braucht sie ja doch über kurz oder lang, sobald der Erweiterungsbau der Brauerei beginnt. Und da liegt schon ein ganzer Stoß Rechnungen vom Juli her, Ediths Schneider, der seinige – – und nun das Fest – –!

Wohl eine Stunde lang sitzt er da, niemand stört ihn. Heine, der früher zuweilen kam, betritt jetzt nur noch das Schloß, wenn ihn Mohrmann darum bitten läßt. Der einfache Mann fühlt, daß er nicht mehr da hinein paßt; Anton hat es ihm nicht markiert, aber die beiden Damen thaten es. Früher wurde Heine mit seiner jungen, fleißigen Frau Sonntags zuweilen zu Mittag herüber gebeten, und Frau Christel besuchte auch die kleine Inspektorin; jetzt ist das längst vorbei. Edith stellt sich empört über die Zumutung, mit Frau Heine an einem Tische zu sitzen, die hätte ja Hände zum Appetitverderben, man sehe ihr doch gar zu deutlich an, daß sie höchstselbst die Butter ausknete im kalten Wasser. – Ja, und wer sonst sollte wohl kommen, mit dem er ein vertrauliches Wort reden könnte? Der Pastor, der ehemalige Schwager? Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Anton wundert sich nur, daß er überhaupt nicht um seine Versetzung damals gebeten hatte, aber der Mann scheint kein Gefühl zu besitzen für peinliche Begegnungen. Er tritt nach wie vor so ruhig auf die Kanzel, und weder Fräulein Tonette noch Frau Edith Mohrmann in ihrem Kirchenstuhl genieren ihn, stören ihn in seiner sicheren Redegewandtheit. Und warum sollte das auch geschehen? Hatte der Pastor gefehlt? Nein, er brauchte nicht zu verschwinden, er hatte keine Schuld an dem, was geschehen; er bleibt, denn er liebt seine Gemeinde.

Als Anton nach der Geburt seines Sohnes der alten Kirche, die ein so dürftiges Glöcklein besaß, das immer an ein Armsündergeläute gemahnte, eine schöne große Glocke schenkte, die nun

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0278.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2020)