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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Haben Sie sich verletzt, gnädige Frau?“ fragt Anton.

„Ja – ich – ich stach mich ein wenig,“ stottert Frau von Lattwitz.

„Es bleibt also dabei, Schatz,“ fährt Edith zu ihrem Manne gewendet fort, die keinerlei Notiz genommen hat von dem kleinen Zwischenfall, „wir geben zur Taufe einen bal champêtre im Rokokokostüm?“

„Wie denkst du dir das?“ fragt er gepreßt.

„Nun, um sechs Uhr die feierliche Handlung –“

„In Mummenkleidung?“ bemerkt er fragend.

„Ach, wer denkt denn daran? Anton, du bist komisch! Die große Schar der Gäste wird erst auf sieben Uhr geladen; Vorschrift: gepudertes Haar und à la Watteau gekleidet. Souper im großen Saal, danach Polonaise durch den Garten und Tanz im Naturtheater. Es wird dir doch wahrhaftig kein Opfer sein, einen Bretterboden dort legen zu lassen? In den Lauben Erfrischungen und zur Abwechslung des Tanzes Blindekuh und dergleichen; bunte Laternen natürlich, bengalische Flammen und die Infanteriekapelle von drüben.“

„So! so! – Und daran ist nicht mehr zu rütteln?“ fragt er wieder.

„Gefällt Ihnen wohl nicht, mein Herr?“ giebt sie zurück.

„Ach gewiß, ganz ausgezeichnet! Wir sprechen noch darüber,“ bricht er ab.

„Ich für meinen Teil habe nichts mehr hinzuzufügen,“ erklärt sie und wirft ihm eine Rose an den Kopf, „ich weiß nur, daß ich eine feierliche steife Taufe, wie die von Lothar, nicht noch einmal erleben will. Ich sage dir, Ma, es war einfach zum Verzweifeln, dieses endlose Diner, diese Reden, diese schwerfällige Unterhaltung – nein,“ ruft sie und wirft eine zweite Rose nach ihm, „es bleibt dabei, mein Freund!“

Ma erhebt sich jetzt und geht langsam die Stufen hinunter, die zum Garten führen; sie hat Sehnsucht nach ihrem Töchterchen und sie ahnt, daß eine Auseinandersetzung kommen müsse zwischen dem Ehepaar; er sieht so finster aus, wie sie ihn noch nie gesehen hat. Edith erhebt sich ebenfalls, lächelnd, unbekümmert.

„Bleib’ noch einen Augenblick,“ sagt er.

Sie sieht ihn forschend an, ungeduldig. „Was wünschst du?“ fragt sie. „Halte mir nur um Gotteswillen keine Vorlesung – ich kenne dein Gesicht, so siehst du aus, wenn du mich belehren willst.“

„Du weißt sehr wohl: das habe ich längst aufgegeben, Edith. Nur ein paar Fragen – hast du die Auswahlsendung mit Brillanten besetzter Schildkrotkämme bestellt?“

„Ich war so frei, mein Schatz – sind sie angekommen?“

„Zu meinem Erstaunen – ja! Ich bitte dich, Edith, wir – – nun kurz, ich bin wirklich nicht in der Lage, deine kostspieligen Passionen alle Augenblicke – du hast einen so reich sortierten Schmuckkasten – ich verstehe dich nicht!“ Er ist ganz verlegen geworden, als er das sagt; er schlägt ihr so ungern einen Wunsch ab.

„Das glaube ich dir, Anton; wie solltest du auch verstehen, was unsereiner beanspruchen kann,“ sagt sie gereizt. „Wie der Junge geboren war, hat Tante Tonette dich auch erst mit der Nase darauf stoßen müssen, daß es Sitte ist, seiner Frau eine Freude zu machen, nachdem sie –, diesmal und nach all dem Schweren hast du es natürlich wieder vergessen.“

Er antwortet nicht. Sie hat sich zurückgelehnt in den zierlichen Bambussessel und sieht so traurig aus, als habe sie die tiefste Kränkung erfahren.

„Ich habe es nicht vergessen,“ spricht er endlich, „aber der Juwelier trödelte so lange – ich hatte mir so etwas besonders Hübsches ausgedacht. Willst du es heute schon haben?“ fragt er zärtlich. „Komm’ mit, Edith, ich will es dir geben.“

Sie schämt sich ein wenig und wird rot. „Ach Anton,“ sagt sie lachend, „was wirst du da angestellt haben? Na meinetwegen, gehen wir, und dann will ich auch gleich die Kämme besehen, sie sind wirklich die große Mode der Saison, wirklich, Schatz, und du hast’s doch so gern, wenn deine Frau nett aussieht, gelt?“

Sie tänzelt vor ihm her durch das Tafelzimmer in seine Stube. Wie ist sie entzückend in dieser Sommertoilette! Sein aufleuchtender Blick folgt ihr; er liebt sie, liebt sie fast noch leidenschaftlicher als vor Jahren. Als er den Geldschrank aufschließt, hebt sie sich wie ein Kind auf den Zehen. „O, wie ich neugierig bin!“ ruft sie. Er nimmt ein kleines hellblaues Sammetetui heraus, und seinen Arm um ihre Taille legend und sie an sich ziehmd, sagt er bewegt: „Lache mich nicht aus, Kind; es ist ein Kleeblatt, unser Dreiblättchen, Edith, du mußt es immer tragen.“

Sie hat das Kästchen geöffnet, eine kleine Brosche funkelt ihr entgegen in Form eines Dreiblattes, ein großer Brillant und zwei kleine Saphire. „Der Weiße soll der Junge sein,“ erklärt er weich, „und die zwei blauen, siehst du, das sind die Mädel.“ Und er küßt sie auf die Stirn, lang’ und innig.

„Wie drollig,“ bemerkt sie ohne ihn anzusehen. „Die Steine sind recht schön, besonders der Brillant, nur ein klein wenig zu blaß die Saphire. Ich danke dir auch, Anton.“

„Bitte!“ antwortet er und zieht den Arm zurück, verletzt von ihrer Kritik und dem nachlässigen Dank.

„Wo sind denn die Kämmchen, Schatz? Ich bin schrecklich neugierig.“

„Ich habe sie sofort zurückgesandt, Edith.“

„Wie? Ohne daß ich – –“

„Ja, Edith, denn ich kaufe keinen jetzt, ich kann es nicht.“ Er hat es sehr bestimmt gesagt und schließt den Geldschrank wieder.

Das schöne Gesicht vor ihm ist aschfahl geworden; das hat er noch nie gewagt. Sie wirft den Kopf in den Nacken und geht der Thüre zu; betteln thut sie nicht, sicher nicht! Es liegt ein so grenzenloser Hochmut, eine solche Verachtung in ihrer Miene, daß der Mann dort, der auf ein paar freundliche Worte, auf ein Zeichen der Freude von ihr gehofft hat, wie unter einem eisigen Wasserstrahl erschauert. Noch nie ist sie so von ihm gegangen.

„Edith,“ ruft er, „so sei doch verständig, Kind!“

Sie bleibt stehen. „Ich dachte, ich wär’ es – wünschst du noch etwas?“

„Ich will dir nur erklären – bitte, laß uns doch ruhig sprechen – du hast mich sehr aufgeregt, Edith –“

„Ich dich? Na, gleichviel, ich bitte sehr um Entschuldigung für mein Verbrechen.“ Sie will wieder gehen.

„Ja! du mich!“ betont er laut. „Mein Gott, Edith, wenn du das nicht fühlst – aber lassen wir es, ich sehe es dir an, du wirst mich nicht verstehen wollen, wenn du es auch könntest; berücksichtige wenigstens das, was ich dir jetzt sage!“ Er hat sie zurückgehalten und auf seine Kniee gezogen; sie sitzt da mit einem kalten hochmütigen Gesicht. „Sieh, Schatz, wir haben drei schlechte Ernten hintereinander gehabt, du weißt es, und in diesem Jahre scheint es leider die vierte werden zu wollen. Unser Haushalt ist trotzdem von Jahr zu Jahr luxuriöser geworden, und bedenke, Edith, wir haben die Pflicht, für unsere drei zu sorgen.“

Seine Stimme ist zuletzt wieder sehr weich geworden, alle Schärfe daraus verschwunden. Er versucht jetzt, ihr Gesicht zu sich zu wenden, aber sie schüttelt sich mit der Gebärde eines unartigen Kindes.

„Wir wollen doch keine leichtsinnigen Eltern sein, mein Lieb,“ fährt er fort, „du weißt ja leider aus Erfahrung, in welch’ traurige Lage Verschwendung und Extravaganz führen können.“

„Ja allerdings, das hab’ ich erfahren,“ sagt sie ironisch und springt empor. „Aber soviel ich weiß, hat mein Herr Großvater sich weder durch schlechte Ernten noch durch Aufmerksamkeiten für seine Gattin ruiniert – er war eben ein Spieler, das sagt alles. Das eine aber muß man ihm lassen, er war auch Kavalier durch und durch und wäre lieber gestorben, ehe er einer Dame – noch dazu seiner Frau, wenn deren Leben eben erst in Gefahr gewesen – einen harmlosen Wunsch versagt hätte.“

„Es wäre besser gewesen, er hätte in seinem Leben weniger den Kavalier als den guten Hausvater markiert,“ antwortet Anton, und die Zornesfalte runzelt sich auf seiner Stirn.

Sie fährt herum wie von einer Schlange gebissen. „Ich dulde nicht, daß du meinen Großvater beschimpfst!“

„Ich würde mir das nie erlauben.“

„Du hast es gethan soeben!“

„Nein, ich parierte nur deinen Vorwurf. Uebrigens“ – er geht zur Klingel – „wird Franz noch nicht fort sein mit den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0276.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2020)