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eingegraben waren, für Reste einer alten untergegangenen Civilisation erklärte, so meinte unser Abbé in diesen runden Gesichtern, in denen zwei Punkte als Augen standen, in diesen Stelzfüßen, in diesem Krikelkrakel, ja, in den Buchstaben selbst, die zollgroß, mit Enterhaken und Spießen bewaffnet, wie die Riesen der Vorzeit oder zum mindesten wie Zaunspfähle, wie Keilschriftzeichen aussahen, höchst merkwürdige und kostbare mexikanische Hieroglyphen zu erkennen. Es ist ja Thatsache, daß die Kunstleistungen primitiver Völker durchaus an die Versuche unserer Kinder erinnern. Kurzum, der Abbé Domenech brachte sein amerikanisches Altertum nach Frankreich und hatte das Glück, die Rarität der Kaiserin Eugenie vorlegen zu dürfen. Diese setzte es durch, daß das Ding auf Befehl des Kaisers herausgegeben und auf Staatskosten zu Paris von der Firma Didot gedruckt ward. So entstand im Jahre 1858 das „Buch der Wilden oder die Bilderschrift der Azteken“ von Abbé F. Domenech. Der grobe Mißgriff wurde in den sechziger Jahren von Heinrich Noé, damals Assistent an der Münchener Hof- und Staatsbibliothek, und von dem Dresdener Bibliographen Julius Petzholdt aufgedeckt.

Auch im Buche der Natur finden sich solche Kritzeleien und solche harmlose Skizzen, denen man den Namen „Naturspiele“ gegeben hat. In früherer Zeit hat man allerdings viele Bildungen in der Natur mit Unrecht zu den Naturspielen gezählt; das gilt vor allem von den Versteinerungen.

Wenn der alte Naturforscher einen Felsen entdeckte, der auf seiner Kluftfläche die flüchtigen Umrisse eines Farnkrautes oder eines vorweltlichen Tieres erkennen ließ, so glaubte er an ein Naturspiel. Wenn er ein Gestein fand, das selbst die Form eines lebenden Wesens, eines überlegten Kunstwerkes, eines menschlichen Gerätes hatte, so glaubte er an ein Naturspiel.

Thatsächlich sind sogar die Waffen und Werkzeuge der Steinzeit, ja, die Urnen, die aus vorgeschichtlichen Gräbern stammen, für lusus naturae, Naturspiele, gehalten worden. Mutter Natur hätte dann getändelt und gebosselt wie eine Anneliese, die Wachs knetet oder unter dem Tische Brotkügelchen macht.

Mit andern Worten: von Versteinerungen oder Petrefakten wußte man in jener Zeit noch gar nichts. Die Lehre von den vorweltlichen Tieren und Pflanzen, die eben versteinert sind, ist eine sehr junge Wissenschaft, deren Geschichte kaum drei Menschenalter rückwärts reicht. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein wurden die in den Schichten eingeschlossenen Reste von Pflanzen und Tieren als Produkte eines der Natur innewohnenden Kunsttriebes, also wie Spielereien und wie Versuche angesehen, die lebenden Wesen nachzubilden. Wir wissen jetzt, daß die pflanzenartigen Zeichnungen, die man auf den Gesteinen wahrnimmt, Abdrücke von wirklichen Pflanzen sind, die auf dem Gestein gelegen und das Abbild ihrer Form hinterlassen, aber sich selbst verflüchtigt haben.

Durch eine richtige Ansicht vom Wesen der Versteinerungen wird also das Gebiet der Naturspiele bedeutend eingeschränkt, doch hört es darum keineswegs ganz auf. Im Gegenteil, der Forscher muß manches für ein Naturspiel erklären, was von den Laien irrtümlich für eine Versteinerung angesehen wird. So hat man zum Beispiel auf den Solnhofener Schiefern mehrfach zartverästelte Zeichnungen gefunden, welche die Form von Bäumen, Sträuchern oder Moosen haben und daher auch organischen Ursprunges scheinen. Es sind aber keine Abdrücke von Pflanzen, sondern zufällige Gebilde, aus eingedrungenen Lösungen durch Ausscheidung entstanden. Hier hat die Natur wirklich gespielt, wenn man sich dieses poetischen Bildes bedienen will, wie sie auch gespielt hat, wenn sie bei gewissen Marmorarten durch die gegenseitige Verschiebung von Bruchstücken eines grau- und gelbgestreiften Kalksteins ruinenähnliche Zeichnungen hervorrief. So sind die „Ruinen“ entstanden, die der Florentiner Ruinenmarmor aufweist; so sind die Trümmer und Festungen entstanden, die man mit ein wenig Phantasie auf dem sogenannten Trümmerachat wahrnehmen kann.

Achat und Marmor bieten der Phantasie mit ihren Adern, ihren Bändern, ihren Streifen, Flammen, Wolken und Flecken einen besonders weiten Spielraum. Der Zufall deutet eine Aehnlichkeit an, die Einbildungskraft hilft nach. Sie ergänzt, was fehlt. Oft hat auch die Kunst des Fälschers nachgeholfen, da die Sammler dergleichen Raritäten gut bezahlen. In den naturhistorischen Sammlungen zu Upsala befinden sich zwei Achate, auf deren einem man das Jüngste Gericht mit allen seinen Schrecknissen erblicken kann. Auf dem andern sieht man den Durchgang der Kinder Israel durchs Rote Meer.

Bei dem sogenannten Glasachat oder dem Obsidian, wie er sich zum Beispiel in Böhmen zu Moldautein findet, ist es noch nicht einmal entschieden, ob er von der Natur herstammt oder sein Dasein einer sehr alten Glasfabrikation verdankt. Wenn er aber einmal, wie auf der Insel Hawaii im Stillen Ocean am Krater Kilauea, ein Gewirr zarter, haarförmiger Fäden bildet, daher er auch Königin Peles Haar genannt wird, so wird man schwerlich glauben, daß hier die versteinerten Zöpfe der Königin Pele erhalten seien, so wenig wie man sich etwa überreden läßt, daß das Haar der Berenice wirklich am Himmel stehe.

Pele ist die furchtbare Göttin, die nach dem Glauben der Eingeborenen auf dem Kilauea thront, mit ihrer gräßlichen Stimme die ganze Insel erzittern macht und jeden, der sich in ihre Nähe wagt, zerschmettert – die Mutter Hawaiis. Man besteigt jetzt den Kilauea so gut wie den Vesuv, um den feuerflüssigen Sarasee zu sehn; hart am Rande des Kraters hat ein unternehmender Amerikaner ein Hotel, das „Volcano House“, errichtet.

Ganze Berge haben mitunter die Gestalt von Menschen. Noch ehe dem verewigten Kaiser Friedrich zu Berlin ein Denkmal errichtet wird, hat ihn schon die Natur in Böhmen zu Weckelsdorf abgebildet; es ist bekannt, daß man am Traunstein Ludwig XVI, im Montblanc den ersten Napoleon erblickt. Im Profil des Montblanc, wie man es von Genf aus sieht, stellt der sogenannte Korridor die Lippen, die untere Hälfte der Rochers Rouges die Nase, die obere das Auge, die Calotte das welthistorische Hütchen dar. So zeigt man bei Karlsbad, zwischen Karlsbad und Elnbogen, den Hans Heilingfelsen, die Geliebte des Berggeistes, die er aus Eifersucht in Stein verwandelte; bereits im Altertum hat man in Kleinasien auf dem Berge Sipylus die trauernde Niobe und am Südende des Toten Meeres Lots Weib erkennen wollen. Die Sage ist in solchen Fällen schnell bei der Hand, eine Verwandlung und eine Versteinerung anzunehmen, ja, die Künstler haben sich vermessen, der Natur nachzuhelfen und ihre angeblichen Entwürfe vollends auszuführen. Als Michel Angelo in Carrara und Serravezza in der Nähe der Marmorbrüche weilte, nahm er sich vor, einen jener Berge zu einer Riesengestalt auszumeißeln, die, vom Meere aus gesehen, ein Wahrzeichen für Schiffer, den Eindruck machen sollte, als säße sie auf dem Gebirge; und so plante einst ein griechischer Künstler, aus dem Berge Athos eine Bildsäule Alexanders des Großen zu machen, die mit der linken Hand eine volkreiche Stadt umfassen, mit der rechten die Wassermassen eines Stromes ins Meer ergießen sollte, und ein Münchener Bildhauer wollte das „Ettaler Mandl“, den Besuchern der Oberammergauer Passionsspiele wohlbekannt, in eine Mutter Gottes ummeißeln, die als Bayerns Schutzpatronin aus der Höhe herabgrüßen sollte.

Naturspiele kommen nicht bloß im Mineralreiche vor. Wer hätte wohl noch niemals einen Hecht gegessen und die Passionswerkzeuge gesucht, die der aus lauter einzelnen Knochenstücken zusammengesetzte Kopf wie eine Passionsblume enthalten soll? Im Munde der Forelle findet man ein Knöchelchen, das die Gestalt eines Schweines hat und als Glücksschweinchen betrachtet wird; an der Blume des Hasen einen Knochen, der wie ein Fuchskopf aussieht. Eine Kokosnuß hat viel Aehnlichkeit mit einem Affenkopfe, ein Termitennest mit einem Negerkopfe, ein Abendschmetterling mit einem Totenkopfe. Weshalb gilt wohl ein vierblätteriges Kleeblatt für glückbringend? – Weil es die Form eines Kreuzes und des alten heiligen Hammers, des Donnerhammers, hat.

Es giebt aber auch Fälle, in welchen die Natur lebenden Wesen Gestalten verleiht, die auf Täuschung berechnet sind. Sie hat zum Beispiel Insekten geschaffen, die Stückchen von Baumrinde oder dürren Zweigen ähnlich sehen. Eine Heuschreckenart ist so vortrefflich einem Pflanzenblatte nachgebildet, daß die Zoologen ihr den Namen „Wandelndes Blatt“ gegeben haben. Solche Formen, die von der Natur nach älteren Mustern geschaffen wurden, haben jedoch nichts Zufälliges an sich. Die Natur hat bei ihrer Ausbildung kein Spiel getrieben, sondern ein ernstes Ziel verfolgt; sie hat den schwachen Tieren diese täuschende Gestalt verliehen, um sie weniger erkenntlich zu machen und dadurch vor den Nachstellungen ihrer Feinde zu schützen.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0274.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)