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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Berichtigung zu befürchten, die ging längst nicht mehr, weil sie entweder sehr krank, oder vielleicht nur nicht aufgezogen war.

Aus seinem ersten, seinem allerbesten Schlaf wurde der Nachtwächter heute durch heftiges Niesen, in das er ausbrechen mußte, geweckt. Er fuhr auf. Das war kein natürliches, innerlich bedingtes Niesen, das war ein tückisch von außen hervorgerufenes gewesen. Jemand hatte ihn an der Nase gekitzelt, sie juckte ihn noch, und nun war ihm, als ob er ein Kichern vernehme. Sehen konnte er nichts, es war sehr dunkel, und nicht ein Stern am Himmel. „Wer da?“ rief er emporschnellend … Stellte ihm jemand ein Bein, stolperte er über seinen Mantel – wer weiß es? – im nächsten Augenblick lag er auf dem Boden und brüllte: „Diebe! Diebe!“

„Still!“ raunte eine Stimme ihm zu, die er als die des jungen Herrn Joseph erkannte, und eine kräftige Hand preßte sich mit solcher Stärke auf seinen Mund, daß er zu ersticken meinte. „Wenn Ihr nicht schweigt, erfährt der Verwalter morgen, wie Ihr Euren Dienst verseht. Dann freut Euch!“

„Herr Jesus, Sie werden mich nicht unglücklich machen wollen!“ stammelte Kaspar.

„Wir werden schon sehen, was ich will. Jetzt sag’ ich Euch nur eins: drüben, auf der andern Seite des Schlosses, wo unsre Zimmer sind, steht ein Fenster offen, und von ihm hängt ein Seil herab. Haltet Wache bei dem Seil. Ich muß es wiederfinden, wenn ich zurückkomme in einer Stunde oder in zwei.“

„Wohin denn, jetzt in der Nacht, Herr Joseph? Sie sollen zu Hause bleiben …“

„Ja, ja! Ihr werdet mir sagen, was ich soll! Mit Gott, Kaspar, und denkt an den Herrn Verwalter!“

Der Kies knisterte nicht lauter, als wenn ein welkes Blatt über ihn hingeraschelt wäre …

„He! he! Herr Joseph!“ Kasper sagte sich, daß er ihm nach, ihn einholen und zurückbringen sollte. Der junge Herr hat nicht herumzulaufen in der Nacht. So zündete der Wächter seine Blendlaterne an und rannte die Scarpe hinauf in der Richtung, von der aus er meinte, das Knistern vernommen zu haben. Aber o je! o je! – fange du den Wind im Felde! Der junge Herr, der die Kraft eines Bären hatte, hatte zugleich die Leichtigkeit einer Schwalbe. Auf den frisch gerechten Wegen war nicht die Spur eines Fußes zu entdecken. Ja, ja, so einer, der auf verbotenen Pfaden geht, springt über die Wege und läuft über die Wiesen. Der Nachtwächter gab die aussichtslose Verfolgung auf und näherte sich wieder dem Hause. Dunkel und totenstill lag der große Würfel da, nur im Sibyllenturm brannte noch Licht. Das fromme Fräulein Renate erwartete wie gewöhnlich die Mitternacht im Gebete. Kaspar ging weiter, die Mauer entlang, sich zu überzeugen, ob wirklich ein Seil von dem Fenster, das Joseph ihm bezeichnet hatte, niederhing. Es war da. Der vermaledeite Bursche hatte sich wirklich an ihm herunterlassen müssen. Wie wäre er sonst unbemerkt aus dem Hause gekommen? – und lief jetzt weiß der Teufel welchen Abenteuern nach.

Früh fängt er an und man muß sagen: da fällt der Apfel weit vom Stamm. Da war der Vater sein Lebtag anders, dem hat die böseste Zunge „nie nichts“ nachsagen können. – Der Joseph indessen … Was das nur sein mag, das den nicht schlafen läßt? Kaspar bringt eine Weile mit Kopfschütteln zu und schüttelt wirklich allerlei Gedanken heraus, die aber sämtlich nichts wert sind. Zuletzt kommt dennoch ein guter. Nach Valahora wird er gegangen sein. Um Valahora schnüffeln s’ immer herum, die jungen Herren, obwohl es ihnen verboten ist, oder gerad’ deswegen … Und jetzt ist ja der Bornholm da, der Teufelsbraten. Und zu dem schleicht er sich. Gut zu wissen, Herr Joseph, so, so! Jetzt verklagen Sie mich beim Verwalter, Herr Joseph!

Kaspar breitet seinen Mantel auf den Rasen aus und legt sich nieder, um das Seil bequemer zu überwachen.

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Der Fußweg von Velice nach Valahora ließ sich von einem guten Geher in fünfundzwanzig Minuten zurücklegen. Er führte zwischen Feldern, am Rand eines Wäldchens vorbei, immer auf und ab über kleine Erdbuckel bis zu dem großen, der steinerne Rippen hatte, und auf dem das dunkle unwirtliche Valahora sich erhob. EIn Haus, das auf einem Berge steht, sagt gewöhnlich: Komm her! Dieser festungsartige Cyklopenbau sagte: Hüte dich! Geh!

Nichts Traurigeres als sein nur mit schmalen Luken versehenes Gemäuer, nichts Häßlicheres als seine jäh abgestumpften Türme; gewaltige Ansätze, kein Aufwärtskommen, Versprechungen, keine Erfüllung.

Es ging steil zum Schloß hinauf über weichen, seidenglatten Grund, zwischen uralten Kiefern bis zum Wallgraben. Die schlanke Jünglingsgestalt, die zwischen den kahlen Stämmen hinschritt, so rasch und unbeirrt als wär’s am Tage, machte, hier angelangt, Halt. Kein Wunder, wenn ängstliche Gemüter sich an der Stelle nicht besonders behaglich fühlen, ’s ist grausig, wie das Wasser gurgelt, mit manchmal fast menschlichen Lauten!

Josephs Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, deutlich sah er vor sich den unförmigen Steinblock sich abheben vom fahlen Himmel. Der Gedanke an all den Jammer und all die Schuld, die von diesen Mauern beherbergt worden, ergriff ihn. Nicht Jammer und Schuld längst vergangener Tage, nein, traurige Schicksale, die sich in naher Vergangenheit vollzogen hatten. Im Schloß von Velice wurde über die Begebenheiten in Valahora nur mit äußerster Zurückhaltung vor den Kindern gesprochen, im Dorfe aber nahm man keine Rücksicht, da erzählte jeder, was er wußte, und that an eigener Erfindung hinzu, was er aufbrachte. Die Kinder hatten von dem jetzigen Herrn von Valahora mehr gehört, als sie zu verstehen und zu begreifen vermochten. Er war für sie eine von den Zauberschleiern der Mythe umwobene Persönlichkeit, zu der es sie allmächtig hinzog, deren Rätsel zu lösen sie brannten. Es kam ein Tag, der sie einander nahe brachte, und seitdem verkehrte Joseph mit Levin Bornholm, so streng ihm das auch verboten war. Im geheimen natürlich, und nur „auf den Raub“, in der kurzen Zeit, die „der Australier“ auf seinem Gute zubrachte.

Als Joseph die Wallgrabenbrücke überschritten hatte und den Vorhof betrat, wurde er so tückisch, so plötzlich von zwei Wolfshunden angesprungen, daß er Mühe hatte, sich auf den Beinen zu erhalten. „Kusch Jedén! – Dva kusch! kusch! seid ihr toll?“ rief er, und sobald sie den Klang seiner Stimme hörten, verwandelte ihr feindseliges Knurren sich in jubelndes Gebell und in ein zärtliches Gewinsel.

In der Nähe wurde eines der ebenerdigen Fenster geöffnet, jemand fragte: „Seid Ihr’s, junger Herr?“ und zog sich, nachdem die Antwort: „Ja, Bartolomäus“, erfolgt war, wieder zurück. Auf der schmalen Steintreppe aber, die zum Hofe des Hauses führte, erschien ein Mann, der eine hellleuchtende Lampe in der Hand trug.

Ihr grelles Licht beschien sein gebräuntes Gesicht, seine energischen Züge. Er war nach Pflanzerart bequem und leicht gekleidet, trug lichte Beinkleider und eine weite Jacke, die, auf der Brust offen, das bunte Wollhemd und den Ledergurt sehen ließ. Der breitkrempige Strohhut war tief in den Nacken zurückgerutscht, eine Fülle kurz gehaltenen Gelocks umringelte die Stirn und die Schläfen. „Der Tausend!“ rief er Joseph zu, und in seinem Tone lag etwas Spöttisches und Aggressives, „bist du’s? Was willst du?“

„Dir Lebewohl sagen, du reisest ja morgen. Bleibt’s dabei?“

Bornholm nickte: „Gewiß.“




Sie gingen zusammen die Treppe hinauf und durch einen dunklen Flur in das Zimmer, in dem Bornholm bei seinen kurzen Besuchen in Valahora abzusteigen pflegte. Es war gewölbt und hatte nur ein niedriges, aber breites Fenster mit vielen kleinen in Zinn gefaßten Scheiben. Die Unordnung, die in der Stube herrschte, heimelte Joseph an; die exotischen Waffen und Gerätschaften, die da herumlagen, erregten sein Entzücken. Vieles davon, Wurfkeulen, Spieße, Schilde, Holzschwerter, war sein. Bornholm hatte sie ihm geschenkt, aber er durfte sich dieses köstlichen Besitzes nur verstohlen, nur im Hause des Freundes erfreuen. Der Geber war ja ein verpönter Mann, und mit ihm umgehen oder gar etwas von ihm annehmen, galt in Velice für unehrenhaft.

Joseph nahm einen Bumarang vom Tische, wog und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0263.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2020)