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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Heer wäre bei einem Aufstand in Masse dem Volk nicht entgegengetreten, und es wäre dann unter flatternden Fahnen der Republikaner die Wahl zur konstituierenden Versammlung vorgenommen worden; ein Nationalkonvent voll großartiger Energie und schöpferischer Kraft hätte im Bündnis mit Frankreich Europa neugestaltet.“

Doch von den Tausenden, die Hecker jetzt zujubelten, als er im badischen Oberland in den Volksversammlungen die Republik proklamierte, von all denen, die sich nach seinem Vorbild „Heckerblusen“ und „Heckerhüte“ zulegten, folgten nur wenige dem Ruf zu den Waffen, als es ernst werden sollte. Die Verhaftung Ficklers, die am 8. April auf dem Karlsruher Bahnhof Karl Mathy veranlaßte, gerade als jener nach Konstanz zur Schilderhebung abreisen wollte, hatte schon vorher dem Unternehmen das Rückgrat gebrochen. Mathy, der Vertreter von Konstanz im Landtag, hatte eben Kenntnis von den Verhandlungen Ficklers mit Herwegh erhalten, der in Paris aus deutschen, aber auch französischen und polnischen Arbeitern eine Hilfslegion organisiert hatte, die bereits auf dem Wege nach Straßburg war. Das Herannahen dieser Hilfslegion stiftete zudem Zwietracht zwischen Struve und Hecker. Der letztere blieb seinem Versprechen treu, keine Hilfe aus Frankreich annehmen zu wollen, während Struve gerade die größten Hoffnungen auf diesen Zuzug setzte. In Wirklichkeit war die Herweghsche Schar ein schlecht bewaffneter Haufe, der sich bei Dossenbach einem Angriff richtiger Truppen in keiner Weise gewachsen zeigte. Ebenso ging es den tausend Aufständischen aus dem Schwarzwald und vom Bodensee, die, zum Teil nur mit aufrechtstehenden Sensen bewaffnet, am 20. April, dem Gründonnerstag dieser bewegten Osterzeit, unter Heckers Leitung auf der Höhe bei Kandern den Truppen des Generals Friedrich v. Gagern entgegentraten. Der Tod dieses Mannes, den beim Ausbruch dieses Gefechts sogleich die ersten Kugeln hinrafften, hat auf dies beklagenswerte Nachspiel des Vorparlaments einen düsteren Schatten geworfen.

General Friedrich v. Gagern.

Friedrich von Gagern, der älteste Bruder Heinrichs, stand als General in niederländischen Diensten; patriotische Begeisterung und der Drang, an der Neugestaltung Deutschlands auf dem Gebiet der Heeresorganisation mitzuwirken, hatten ihn bestimmt, Urlaub zu nehmen und in die Heimat zu eilen. Die badische Regierung gedachte ihm den Oberbefehl über die ganze Bürgerwehr zu; auf Vermittelung von Welcker und Bassermann, den Vertretern Badens am Bundestag, übernahm er zunächst das Kommando eines Kontingents der Bundestruppen, die gegen die Pariser Legion und den badischen Aufstand mobilgemacht wurden. Er übernahm die Führung in dem Glauben, er werde mit Hecker, dem früheren Freund seiner Freunde, zu einem friedlichen Ausgleich kommen. Er bemühte sich redlich darum. Auch als sich beide mit ihren Truppen auf der Waldlichtung der Scheidegg zwischen Kandern und Schlächthaus kampfbereit gegenüberstanden, trat er nochmals vor, um die Aufständischen zum Niederlegen der Waffen zu bestimmen. Vergeblich. Er wandte sich nun, bestieg sein Pferd, erhob den Säbel und eröffnete den Angriff – da traf ihn schon das tödliche Blei. Die Gegner der Revolutionäre behaupteten später, die Schüsse seien auf den General schon vor der regulären Eröffnung des Gefechts abgegeben worden. Das ist nicht zu beweisen und man wird es nicht glauben. Erklärlich aber ist, daß das auf diese Art vergossene Blut Gagerns die unheilbare Feindschaft besiegelte, in die sich von nun an in Baden die Konstitutionellen und die Republikaner verstrickt sahen, die vorher im Kampf gegen Metternich so treue Waffenbrüder gewesen waren. Hecker, der den Truppen auf der Scheidegg nicht standhalten konnte, floh nach der Schweiz, dann nach Amerika. Die Volksphantasie aber bemächtigte sich seiner Gestalt mit noch heute nachwirkender Sympathie. An Struve dagegen, der bei Säkkingen über die Grenze entwich, um zu günstigerer Zeit wiederzukehren, heftete sich die Verantwortung für das planlose Unternehmen. Doch beiden Männern war es gleich ihrem Kameraden Sigel, der bei Freiburg nach tapferem Kampf unterlag, und vielen ihrer Mitkämpfer vom Schicksal vergönnt, später als Bürger des nordamerikanischen Freistaats ihre Freiheitsliebe ebenso zu bewähren wie ihr treues Festhalten an deutscher Bildung und an deutschem Wesen.

Dem Sieg, den die „Reform“ im Vorparlament errungen hatte, ist es auch zu danken gewesen, daß die Propaganda der „entschiedenen“ Republikaner zu einer allgemeinen deutschen Revolution, die doch nur der Reaktion in die Hände gearbeitet hätte, damals nicht geführt hat. Er hatte weiter die gute Wirkung, daß die sämtlichen deutschen Regierungen zur Ausführung der Beschlüsse des Vorparlaments sich bereit fanden. Der Fünfziger-Ausschuß, der noch um sechs Oesterreicher verstärkt ward, fand bei dem regenerierten Bundestag, dem Graf Colloredo vorstand, großes Entgegenkommen. Die Einberufung eines ersten Deutschen Parlaments als gesetzlicher Vertretung des Gesamtwillens der Nation bei Begründung der erstrebten Reichseinheit war erreicht. Die Regierungen schrieben die Wahlen aus, wie es das Vorparlament verlangt hatte: nach allgemeinem gleichen Stimmrecht, auf je 50 000 Einwohner ein Abgeordneter. Wenn in der Mehrzahl der Einzelstaaten indirekte Wahl und nicht direkte stattfand, so geschah dies in Uebereinstimmung mit einem Beschluß der Versammlung, welcher beide Wahlarten freistellte, nachdem nicht nur Welcker und Römer, sondern auch Karl Vogt dies aus praktischen Gründen empfohlen hatten. Nur der Termin des Zusammentritts ward auf Wunsch Preußens vom 1 Mai auf den 18. Mai – mit Rücksicht auf die gleichzeitigen preußischen Landtagswahlen – verlegt. Um so eifriger war König Friedrich Wilhelm IV dabei, die Wünsche des Vorparlaments zu erfüllen, welche die Aufnahme von Ost- und Westpreußen, der deutschen Hälfte der Provinz Posen und von Schleswig in den Deutschen Bund verlangten. Am 24. März hatte sich Schleswig-Holstein von Dänemark losgesagt, nachdem König Friedrich VII die Einverleibung Schleswigs in Dänemark dekretiert hatte. Friedrich Wilhelm IV, der inzwischen noch die liberalen Rheinländer Camphausen und Hansemann zu verantwortlichen Ministern ernannt hatte, unterstützte die provisorische Regierung in Kiel und schickte ihr preußische Truppen zur Hilfe. Es war der erste Schritt nach dem Ziel, der Krone Preußen das verloren gegangene Ansehen zurückzuerobern.

Friedrich Hecker
im Insurgentenkostüm.
Nach einem 1848 vielverbreiteten Bilde.

Das „Siebener“-Programm aber, dessen Beratung das Vorparlament unter dem Terrorismus Struves abgelehnt hatte, ward zum Kern jener Reichsverfassung, die in unserer nationalen Geschichte als idealer Gewinn des wirklichen ersten Deutschen Parlaments fortgewirkt hat. Am 18. Mai 1848 trat dieses in der Frankfurter Paulskirche zusammen.

Welche Rolle in ihm den Männern zufiel, deren Verdienste um sein Zustandekommen wir in den hiermit zum Abschluß gelangenden Artikeln nach zum Teil wenig benutzten Quellen geschildert haben, soll an dieser Stelle noch in einem besonderen Aufsatz dargelegt werden. Die Kämpfe, welche das Parlament ins Leben riefen, waren auch für sein Schicksal entscheidend. Die Oberhauptsfrage ließ sich auch hier nicht lösen. Das eherne Gesetz der Geschichte hat später bewiesen, daß sie eine Machtfrage war, für die es nur eine kriegerische Entscheidung gab. Doch diese erfolgte in jener Richtung, die schon die Mehrzahl der patriotischen Denker und Dichter des „Vormärz“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0258.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2020)