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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Schnelligkeit ab. Die Bogen werden den Arbeitern in bestimmter Anzahl zugezählt und kontrolliert; um Unterschleifen vorzubeugen, muß auch jeder Bogen Ausschuß abgeliefert werden.

Natürlich ist die Herstellung der Marken mit dem bloßen Druckprozeß noch nicht erschöpft. Frisch, wie die Bogen aus der Presse kommen, wandern sie zu Haufen, zwischen Pappen einzeln ausgebreitet, unter eine hydraulische Presse, aus der sie glatt und gerade wieder hervorgehen. Und nun wird die Wanderung in eine Reihe weiterer Maschinen schleunigst fortgesetzt. Von Mädchen hintereinander, und zwar mit der Bildseite unten, auf ein endloses Tuch gelegt, gleiten die Blätter zunächst zwischen Walzen hindurch, deren obere, stark erwärmt und mit Klebestoff versehen, eine dünne Gummischicht über die Rückseite der Marken ausbreitet; ohne Aufenthalt geht es weiter, durch den Bereich eines elektrischen Ventilators, der die feuchten Bogen trocknet, und in die Hände eines Arbeiters; dieser häuft die ihm zugeführten Bogen in Stöße und übergiebt die letzteren abermals einer hydraulischen Presse zum Glätten. Nachmals müssen nun die Bogen einzeln vorgenommen werden und gelangen in die Perforiermaschine. Endlich geht der Bogen noch über ein Messer, das ihn in vier kleinere Bogen à 100 Marken zerschneidet, und jetzt erst kann das Sortieren und Verpacken zu Bündeln von je 100 Bogen oder 10 000 Marken erfolgen. 400 000 solcher Bündel verlassen in jedem Jahre die Briefmarkendruckerei der Vereinigten Staaten; die Kosten, welche ihre Herstellung verursacht, belaufen sich auf 416 000 Mark. so daß die Anfertigung von je hundert Briefmarken einen Pfennig kostet. Gegen die frühere Herstellung in Privatwerken werden jetzt etwa 200 000 Mark im Jahre gespart. Bw.     


Antons Erben.

Roman von W. Heimburg.

 (7. Fortsetzung.)

Auf der Landstraße fährt ein Wagen, eine altmodische Kalesche mit Halbverdeck, plump und schwer wie man sie jetzt nicht mehr baut. Davor gespannt sind zwei dicke wohlgenährte Ackerpferde, braun und glänzend wie die Kastanien; der Lenker ist ein Knecht im Sonntagsstaat, nur die Mütze mit einer Silbertresse giebt ihm ein wenig das Ansehen eines Herrschaftskutschers; neben sich hat er einen Reisekorb und einige Schachteln und Taschen. Im Fond des Gefährts sitzen zwei Frauen, die Pastorin aus Wartau und Christel Mohrmann; sie haben sich die Hand gegeben und sprechen kein Wort, aber sie sehen sich mitunter an, und dann lächeln sie trübe.

Es ist ein Tag in der Mitte des Oktobers; die Obstbäume an der Chaussee sind ihrer Früchte beraubt und die Felder liegen kahl. Im Walde, an dessen Grenze sie eine Strecke lang dahinfahren, ist das Laub schon im Verfärben, glühendrot hängt die Eberesche an den Zweigen. Weit in der Ferne zieht sich das Gebirge hin, blau verschleiert, und hier und da brennt auf den Aeckern ein Kartoffelfeuer, und sein opalfarbener Rauch erfüllt die Gegend mit scharfem brenzligen Geruch.

Die dicken Gäule bringen mit ihrem gemütlichen Trab den Wagen doch endlich dem Ziele näher. Als sie ihn eine Anhöhe hinangeschleppt haben, sagt Christel zu der Schwester: „Dort drüben liegt Bärenwalde, Lotte, und das spitzige Dach nicht weit von der Kirche, das ist der Rödershof!“

Die Pastorin nickt. „Wie hübsch das Dorf daliegt, Christel, und wie stattlich! Die Gegend ist überhaupt schöner als bei uns, wo alles so flach und eben aussieht.“

„Ja, es ist schön hier und einsam, das Nest liegt ja weit genug ab von der großen Heerstraße. Freilich, solchen Boden wie Wartau giebt’s hier nicht, aber dann hätte ich den Rödershof auch nicht bezahlen können, Lottchen. Das dort sind meine Felder,“ sie deutet nach links hinüber, „und wenn ich vom Hofe hinaustrete, bin ich gleich auf eigenem Grund und Boden. Haben wir morgen schön Wetter, dann fahre ich dich hinaus, Lottchen.“

Die Pastorin nickt stumm; sie streift mit einem ängstlichen Blick die Schwester. Diese hat so etwas Stilles, so Strenges in den Augen, ihr Gesicht ist schmal geworden und in dem blonden Scheitel schimmern bereits einige weiße Haare. Wie muß sie sich gegrämt haben, die arme; ihr Schicksal war freilich auch danach.

Der Wagen fährt jetzt auf der Dorfstraße dahin; die Kinder, die eben aus der Schule kommen, schreien Christel ein „Daag!“ zu und die Weiber reißen die Fenster auf und sehen hinterher – die Rödersche hat ja wahrhaftig Besuch! Bis jetzt haben sie alle gemeint, die stehe allein in der Welt; keine Katze ist bei ihr gewesen, geschweige denn wer von der Verwandtschaft oder Freundschaft, so lange sie den Hof hat, und das war im verwichenen August ein Jahr.

Nun ist das Gefährt in einenn Thorbogen eingelenkt, den zwei plumpe Sandsteinpfeiler in der Mauer bezeichnen, und durchmißt einen Baumgarten, der das Haus umgiebt, einen alten Fachwerkbau, dessen hohes spitzes Dach über die beiden großen Linden hinausragt, die zur Seite der Hausthür stehen. Es ist kein Bauernhaus, dieses ziegelgedeckte sturmfeste Gebäude, es hat vielmehr einen herrschaftlichen Anstrich und sieht fast malerisch aus. Vor Jahren war Rödershof ein Vorwerk der großen Rüstorffschen Güter und fiel bei der Erbteilung einer älteren Schwester zu, die sich dieses Haus hinstellte, um ihre einsamen Tage hier zu beschließen. Laut der über der Hausthür angebrachten Jahreszahl ist es einhundertundsechsunddreißig Jahre alt.

Die Pastorin sieht ganz erstaunt auf dieses stattliche Anwesen, sie hat sich das alles so anders vorgestellt und sich Christel in einer Bauernkate gedacht, alle die Tage her, seitdem sie schrieb: „Ich habe mit meinem Kapital, das der Anwalt mir auszahlte, ein kleines Gut gekauft, so eins, das man hierorts ‚Klitsche‘ nennt; sobald ich eingerichtet bin, müßt ihr mich besuchen.“

Ein Mädchen in weißer Schürze und mit freundlichem jungen Gesicht ist jetzt aus der Thür getreten, heißt die Aussteigenden willkommen und wird der Pastorin vorgestellt: „Das ist Marie, Wirtschafterin, Köchin und Stubenmädchen in einer Person, liebe Lotte; und nun tritt ein, Schwester! Nicht wahr, Marie, das Mittagsessen ist bald fertig? – Geh nur in die Küche, ich besorge sonst alles und zeige meiner Schwester auch die Fremdenstube.“

Sie sind eine stattliche breite, aus Eichenholz gefügte Treppe emporgestiegen. Die Stufen sind in der Mitte schon ausgetreten, aber die dicken Säulen des Geländers könnten erst gestern fertig geworden sein, so unverändert und fast wie neu schauen sie aus. Der Vorsaal droben ist groß und geräumig; die Thüren aus Eichenholz, mit einfachen Zieraten versehen, vermutlich von derselben Künstlerhand, die das Treppengeländer schnitzte. Eine altmodische, sehr schadhafte, mit modernen Fetzen ausgebesserte Tapete bedeckt die Wände, der Boden ist mit Gips ausgegossen und ebenfalls stark ausgetreten. Aber trotzdem mutet es heimelig an; die Balken an der Decke sind so breit und ungefüg, sie scheinen zu sagen: wir sind stark, wir können schützen und decken vor Wetter und Unbilden, wer unter uns wohnt, hat Frieden.

Die Pastorin fühlt so ähnlich, indem sie sich umsieht. Christel öffnet eben eine Thür zur rechten Hand, der Gast tritt in das einfache Zimmer, und hier innen küssen und umarmen sich die zwei Schwestern zum erstenmal wieder, seitdem Christel ohne Lebewohl von Wartau gegangen ist.

„Hab’ Dank, daß du gekommen bist, Lotte, ich hatte so rechte Sehnsucht! Aber, siehst du, ich kann ja doch nicht zu euch.“

„Nein, Christel, nein, das kannst du nicht. – Robert läßt dich grüßen, er und die Kinder. Gottlob, daß ich dich gesund wiedersehe; wie haben wir doch immer mit Sorgen an dich gedacht, alte gute Christel!“

Christel geht nicht darauf ein; sie küßt nochmals die Schwester. „Mach’ dir’s bequem, und dann komm’ herunter! Linker Hand ist die Wohnstube; du mußt bald etwas Warmes essen, Lottchen.“ Dann ist sie gegangen und die Pastorin allein. Sie steht und sieht sich mit feuchten Blicken um. „Lieber Gott,“ sagt sie, „so allein in diesem weltvergessenen Winkel! Und sie konnte doch früher nicht leben ohne jemand zu haben, für den sie sorgte und schaffte. Doch wie nett sie es hier sich gemacht hat trotz alledem! Da ist ihre alte Kommode, die sie als Mädchen schon hatte, und dort der Spiegel, den sie von Mutter als einziges sich ausbat, als sie Hochzeit hielt; alles andere hat sie von ihren Spargroschen angekauft,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0248.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)