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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

nächste Beschuldigte wurde vor die grausamen Richter geführt. Aber während sie hier scheinbar gleichgültig mit Leben und Tod spielten, erbebten sie bis in die Seele, denn, unsichtbar für sie, lauschte über ihnen der Großherr selbst, und die geringste Unzufriedenheit, das Spiel einer Laune, konnte im nächsten Augenblick ihren eigenen Kopf kosten.

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Der persische Goldthron in der Schatzkammer des alten Serails.

Die Wohnung des Großherrn befand sich im dritten Hofe, jenseit der Heiligen Pforte, Bab-es-Seadet, die vier Jahrhunderte lang jedem Christen, ausgenommen souveränen Fürsten und Botschaftern, verschlossen war und die das Volk nur leise flüsternd, von geheimer Furcht erfüllt, nannte; vergeblich pochten Tausende von hochstehenden und mächtigen Reisenden an dieses Thor des „Königs der Könige“, hinter welchem der ganze Glanz und Reichtum dieses märchenumwobenen Hofes ihre Augen geblendet hätte, wo Hunderte der schönsten Frauen des Erdballs den Launen des mächtigsten Fürsten der Alten Welt dienten, und wo Festlichkeiten oder entsetzliche Greuelthaten miteinander abwechselten, so erhaben oder so erbärmlich, daß sie die Sagen von Tausend und einer Nacht im Vergleich zu ihnen verblassen machen. Dort schwang der Padischah selbst sein juwelenbesetztes Schwert, und das Schwert allein war sein Recht. Aber auch diese willkürlichen und blutdürstigen Despoten zitterten vor der Macht der Janitscharen, die manchmal mit ihren Schwertern und Morgensternen wuterfüllt sich den Weg bis zum Heiligen Thore bahnten, und gerade der Platz vor demselben, wo heute in der sonnigen Einsamkeit Eidechsen umherrascheln, war der Schauplatz der schrecklichsten Blutscenen. All die Kreaturen des Machthabers, die Haremsfrauen und schönen Sklavinnen, die Prinzen und Pagen und Minister, zitterten, wenn sie zur Nachtzeit die Keulenschläge hörten, mit welchen die zügellosen Janitscharen die ersten zwei Thore zertrümmerten, und wenn ihr wütendes Geschrei irgend ein Opfer verlangte, um an diesem ein vermeintliches Unrecht zu rächen. Und die Umgebung ihres Padischah, dieses mächtigsten Herrn, dieses „Bruders der Sonne“, war ohnmächtig gegen seine Janitscharen. Vergeblich wurden mit Geld gefüllte Säcke unter die heulenden Aufrührer geworfen, vergeblich flehten, versprachen, drohten Scheichs und Minister, Generale und Ulemas, vergeblich zeigten ihnen die auf den Tod erschreckten Sultanas ihre unschuldigen, weinenden Kinder. Selbst die Großherren erschienen in eigener Person vor diesen Wütenden, um für ihre Beamten Gnade zu begehren, aber auch vergeblich: sie verlangten ihre Opfer, um sie auf ihre Lanzen zu spießen, mit ihren Schwertern zu zerhauen; und in ihrer Ohnmacht, um sich selbst zu retten, mußten die Padischahs nachgeben. Die Thorflügel der Heiligen Pforte öffneten sich, und mit schlotternden Knien erschienen die mächtigsten Minister, die liebsten Günstlinge der Sultane, um von den Janitscharen in Stücke gehauen zu werden. Hier vor dem Bab-es-Seadet war es, wo Murad III seinen Liebling Mehemmet unter tausend Schwerthieben fallen sah, wo Murad IV seinen Großvezier Hafiz den Dolchen der Janitscharen preisgab und Selim III gezwungen wurde, seinen ganzen Diwan zu opfern!

Und diese Pforte heißt „Pforte der Glückseligkeit“! Mir graute es bei der Erinnerung an all diese Unthaten, als ich zwischen den Reihen von schwarzen und weißen Eunuchen hindurchschritt, welche noch heute die Thorwache besorgen. Ich befand mich nun im Herzen des alten Serails, im dritten Hofe, aber statt der orientalischen Pracht, statt reich ornamentierter Paläste mit Balkonen und Veranden sah ich auch hier nur kleine einstöckige, geradezu ärmliche Gebäude ganz unregelmäßig in dem weiten begrasten Hofe verstreut, wo sie eben die Tageslaune der Padischahs entstehen ließ. Selbst der Thronsaal, in welchen ich zunächst geführt wurde, ist unansehnlich, wohl der kleinste, den ich in den Fürstenschlössern der verschiedenen Erdteile gesehen habe. Kaum über den Erdboden erhöht, zeigt er an seinen Wänden herrlichen Mosaikschmuck und vergoldete Arabesken, und zu den Seiten der Eingangspforte stehen zwei schöne Fontänen.

Ihr gegenüber erhebt sich der Thron der Sultane in der Form eines Bettes, auf welchem die Fürsten mit untergeschlagenen Beinen Platz nehmen. Ueber dem Throne wölbt sich auf vier leichten Säulen aus vergoldeter Bronze und mit Edelsteinen geschmückt der Baldachin. An den vier Ecken prangen goldene Kugeln mit goldenen Halbmonden darüber, während von ihnen Roßschweife, das Symbol der militärischen Oberhoheit der Sultane, herabhängen. Sonst ist der kleine Raum leer, nur im Hintergründe gewahrte ich in dem farbigen Dämmerlichte, das die mit Glasmalereien bedeckten hohen Fenster spenden, einen reizenden Kamin, von einer vergoldeten, reich geschmückten Kuppel überhöht. Der ganze Thronsaal würde den Besucher kalt lassen, wenn nicht so große und blutige Ereignisse mit ihm verknüpft wären, und schaudernd dachte ich an die blutenden Leichen der siebzehn Brüder Mahommet’ III, die dieser hier vor seinen Augen abschlachten ließ! Groß und klein, vom erwachsenen Mann bis zum zarten Säugling, wurden sie hergebracht, um dem Blutdurst ihres ältesten Bruders zum Opfer zu fallen, und ich glaubte, in den Nischen, in dem Gewirr der zarten Arabesken, in dem Dunkelrot des Mosaiks noch ihr Blut kleben zu sehen! Wie viele Köpfe von Großvezieren, wie viele Leichen von Provinzgouverneuren, Walis, Agas und Generalen haben auf dem Marmorboden zu Füßen der grausamen Großherren gelegen!

Mit Schrecken wandte ich mich von dieser Folterkammer, in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0244.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2020)