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gleich einer undurchdringlichen eisernen Mauer, die mehrfachen Durchbruchsversuche der Franzosen blutig zurückweisend.

Als Generalfeldmarschall kehrte Kronprinz Albert im Sommer 1871 aus dem Felde heim und hielt am 11. Juli an der Spitze der sächsischen Truppen seinen Einzug in die festlich geschmückte Stadt Dresden. Jubelnd wurde er überall begrüßt, denn der siegreiche Feldherr galt als eine der festesten Stützen des neu geeinten Reiches.

Seit jenen ruhmreichen Tagen durfte das deutsche Schwert in der Scheide ruhen, und als nach dem Tode seines Vaters am 29. Oktober 1873 König Albert den Thron Sachsens bestieg, war es ihm vergönnt, in einer langen Reihe von Jahren seinem Volke als Friedensfürst Glück und Segen zu bringen.

König Albert, der ungemein viel liest, aber kein großer Freund von vielen und langen Reden ist, nimmt mit sehr regem Interesse allezeit Kenntnis von neuen Bestrebungen auf allen Gebieten der Kunst und Wissenschaft, des Handels und Gewerbefleißes. In seiner Residenzstadt Dresden, welche in den letzten zwei Jahrzehnten einer völligen Umgestaltung zu einer modernen Großstadt entgegengeführt wurde, ist während seiner Regierung keine Wanderversammlung irgend welcher Körperschaft von Bedeutung abgehalten worden, ohne daß sie von dem Monarchen mit seiner Gegenwart beehrt worden wäre. Wiederholt hat König Albert die verschiedenen Provinzen seines Landes bereist, um sich an Ort und Stelle von dem Stand der Industrie und der Verwaltung zu überzeugen. Das warme Mitgefühl des Königs für das Wohl und Wehe seines Volkes treibt ihn auch rasch auf den Platz, wenn sich da oder dort ein Unglück ereignet hat. Er will in allen solchen Fällen immer mit eigenen Augen sehen und ordnet oft an Ort und Stelle an, was ihm nützlich und nötig erscheint.

In dem Bestreben, Notstände zu lindern, wird er eifrig von seiner treuen Lebensgefährtin Königin Carola unterstützt. Unter König Alberts Regierung hat Sachsen auf allen Gebieten des Staats- und Volkslebens, in Handel und Wandel einen bedeutenden Aufschwung gewonnen.

Aber auch über die Grenzen seines Landes hinaus macht sich der Einfluß König Alberts in ersprießlicher Weise bemerkbar. Nach den Errungenschaften der Jahre 1870 und 1871 verband ihn mit Kaiser Wilhelm I aufrichtige Freundschaft, als teueres Erbe ist sie auch auf die Nachfolger des letzteren übergegangen, und es ist wohl bekannt, wie König Albert bestrebt ist, in allen politischen Fragen die Eintracht der deutschen Völker und ihrer Fürsten zu fördern.

So hat er in doppelter Weise, als Feldherr und als Friedensfürst, zu Deutschlands Heil gewirkt, und diese hohen Verdienste um des Vaterlandes Wohlfahrt gestalten seinen Jubeltag zu einem Festtag des deutschen Volkes. D.     




Tragödien und Komödien des Aberglaubens.

Lebende Statuen und künstliche Menschen im Volksglauben und auf der Bühne.
Von Felix Vogt.

Zu den verbreitetsten Arten des Aberglaubens gehören die belebten Statuen, denen sich als eine Unterart die künstlichen Menschen zugesellen. Dieser Aberglaube ist uralt, und schon von vielen heidnischen Götzenbildern wurde behauptet, daß sie sich bewegten und lebten. Zu dieser Täuschung haben nicht wenig die Künstler beigetragen. Sie streben auch heute noch alle danach, den Eindruck des Lebens hervorzurufen, und es ist ihnen eine Genugthuung, wenn der Beschauer eines ihrer Werke ausruft: „Die Augen dieses Bildes scheinen mich anzusehen“, oder: „Diese Statue scheint Leben zu atmen“. Für eine lebhafte Einbildungskraft, die noch obendrein mit abergläubischen Vorstellungen erfüllt ist, kann von da aus leicht der Schritt zu dem Wahne gemacht werden, daß diese Bilderwerke und namentlich die Statuen, welche die ganze äußere Körperlichkeit darstellen, in der That reden und sich bewegen und andere Lebensfunktionen ausüben können.

Weil dieser Wahn einen künstlerischen Ursprung hat, spielt er denn auch in künstlerischen Hervorbringungen eine besondere Rolle. Es liegt hier ein Fall vor, wo ein Aberglaube, der an sich ebenso thöricht ist wie jeder andere, dennoch einen glücklichen Einfluß ausgeübt hat, indem er die Schaffenskraft der Dichter und in noch höherem Grade die der Tonkünstler befruchtet hat. Man könnte daher den Satz aufstellen, daß die Tragödien und Komödien des Aberglaubens zwar als bedauerliche Verirrungen des Menschengeistes anzusehen sind, daß dagegen der Aberglaube in der Tragödie und Komödie sich oft als ein förderndes Element erwiesen hat.

Den künstlerischen Charakter des Aberglaubens, daß Statuen lebendig werden können, erkennt man recht deutlich schon in der ältesten und zugleich am meisten behandelten Geschichte dieser Art. Es ist dies der antike Mythus von Pygmalion. Diese Sage gehört nicht zum alten griechischen Bestand. Wir finden sie weder bei Homer noch in der attischen Tragödie. Ein gewisser Philostephanos von Kyrene, ein Bädeker des Altertums, fand sie etwa zweihundert Jahre vor Christi Geburt auf der Insel Cypern, und aus seinem Reisebericht nahm sie der römische Dichter Ovidius Naso in sein großes Gedicht der „Verwandlungen“ auf. Nach dieser Sage gab es in alter Zeit auf Cypern einen König Pygmalion, der mit seinem Herrscherberufe den des Bildhauers verband. Der König war aber nicht nur Bildhauer, sondern auch ein hartnäckiger Junggeselle, weil er alle Frauen und Mädchen von Cypern für leichtsinnig und verderbt hielt. Da sie ihm keine Neigung einzuflößen vermochten, schuf er für sich eine ideale weibliche Gestalt aus Elfenbein, und diese gewährte ihm eine solche Freude, daß er sich nicht mehr von ihrem Anblick trennen konnte, sie wie eine lebende Person küßte, beschenkte und mit ihr zu reden suchte. An einem Feste der Aphrodite flehte hierauf der königliche Künstler die Liebesgöttin an, ihm eine Gattin zu verleihen, welche dem von ihm gefertigten Elfenbeinbilde vollständig gleiche. Als er nun aus dem Tempel nach Hause zurückkehrte und wieder seine Statue umarmte, fühlte er, daß sich das kalte Elfenbein erwärmte und seine Härte verlor. Die Göttin hatte sein Gebet über Erwarten erfüllt, indem sie die Statue selbst belebt hatte. Der König heiratete die zur sittsam errötenden Jungfrau umgewandelte Figur, und sie gebar ihm den Paphos, welcher der gleichnamigen Stadt, die ein berühmtes Heiligtum der Aphrodite enthielt, den Namen gab.

Diese Legende vom Pygmalion und der belebten Statue hat namentlich die Komponisten angezogen. Für das Drama mutete das Wunder doch dem Zuschauer zuviel guten Glauben zu, aber die Musik war aufs beste dazu geeignet, die unglaubliche Verwandlung durch stimmungsvolle Begleitung zu vermitteln. Und Künstler und Publikum gaben sich um so lieber der Einbildung hin, als diese wunderbare Geschichte den höchsten Triumph der Kunst überhaupt versinnbildlicht. Das Kunstwerk erscheint da so vollkommen, daß ihm von der Gottheit aus diesem Grunde wahres Leben verliehen wird.

Schon unter den allerersten Versuchen einer deutschen Oper finden wir daher einen „Pygmalion“ von Conradi in Hamburg im Jahre 1693. Sieben Jahre später bringt Labarre einen „Pygmalion“ in Paris zur Aufführung. Die Musik ist schlecht, aber der Stoff bleibt so anziehend, daß der berühmte Rameau im Jahre 1748 den gleichen Text nochmals komponiert. Kurz zuvor hatte der Italiener Romanesi dem antiken Stoff die satirische Wendung gegeben, die sich bis heute auf der Bühne erhalten hat. Schon bei Romanesi wird nämlich die belebte Statue, die er Agalmeris nennt, ihrem Schöpfer und Gatten bald durch ihre Gefallsucht lästig, bekehrt sich jedoch vor dem letzten Fallen des Vorhangs zu besseren Gefühlen. Sogar der berühmte Philosoph Rousseau, der in seiner Jugend versucht hatte, als Opernkomponist aufzutreten, wurde von dem Stoffe in reiferen Jahren so gefesselt, daß er fast wider Willen zum Theater zurückkehrte und im Jahre 1775

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0236.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2020)