Seite:Die Gartenlaube (1898) 0223.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

wollen und dem Thal des Zackens hinauf ins Gebirge zu folgen; ein anderer Teil machte Halt in der Nähe von Hermsdorf.

Schleichpatrouillen wurden vorausgeschickt. Kleine Abteilungen überschritten das Agnetendorfer Wasser und näherten sich dem waldigen Felsregel des Kynast.

Robert stieg rasch vom Turm herunter. Er verständigte seinen Vorgesetzten von der Entdeckung und erhielt Befehl zu einem Ausfall gegen den nahenden Feind. In aller Stille sammelte er seine Truppen und führte sie den steilen Weg durch den Höllenschlund hinab. Am Waldrande des Herdberges machten sie Halt und begrüßten den Feind mit wohlgezielten Schüssen.

Dieser erwiderte das Feuer, aber unsicher und ziellos. Er war in Verwirrung geraten, und als Robert sah, daß die Zahl derer, welche den Bach überschritten hatten, nur gering war, während der Haupttrupp allzufern auf dem Wege am andern Ufer hielt, da gab er den Befehl zur Attacke. Sturmschnell drangen die Seinigen mit gefälltem Bajonett auf die feindlichen Truppen ein, warfen einen Teil derselben, nach hartnäckiger Gegenwehr, hinunter ins Schneegrubenwasser, nahmen einen verwundeten Offizier und mehrere Soldaten gefangen und traten den Rückzug nach der Burg an, während ein verspätetes Feuer der auf dem jenseitigen Ufer stehenden Franzosen fast wirkungslos blieb und nur einige Mannschaften leicht verwundete.

Der gefangene Offizier gab Robert seinen Degen. Dieser wollte seinen Augen nicht trauen – es war ja der Maler, den er droben im Burgturm gesehen, von allen Menschen ihm der verhaßteste, da er ihn gezwungen, an Klärchens Treue zu zweifeln!

Was hatte er denn oben in der Burg und in einer Verkleidung gesucht? Es war ein Spion und Klärchen mit ihm im Einverständnis? Das verwirrte und verwickelte sich alles so, daß ihn ein Schwindel erfaßte.

„Sie sind hier als mein Gefangener nach einem ehrlichen Kampfe,“ sagte er zu Edmond; „gleichwohl muß ich jede Waffenbrüderschaft zurückweisen, denn ich sehe Sie hier nicht zum erstenmal! Sie hatten sich in die Burg eingeschlichen. Sie werden sich zu verantworten haben vor einem Kriegsgericht!“

Edmond erwiderte kühl: „Ich wollte der Burg droben keine Geheimnisse ablauschen; sie stand ja aller Welt offen, warum nicht auch mir? Ich war beurlaubt und krank und ging meinen Neigungen nach. Neben dem Waffenhandwerk huldige ich der Malerei – und malerisch ist die alte Burg, aus der Sie thörichterweise jetzt eine Festung machen wollen.“

„Und sonst führte Sie nichts hinauf?“

„Wenn mich noch ein anderer Grund dazu bestimmte, den Felsen zu ersteigen, so hat er wenigstens nichts zu thun mit Krieg und Belagerung und es ist mein Geheimnis, das vor kein Kriegsgericht gehört.“

„Mir aber werden Sie Rede stehen, mir!“ rief Robert in höchster Erregung, denn er glaubte aus dieser Erklärung ein Schuldbekenntnis herauszuhören. Edmond sah mit einem fragenden Blick zu ihm empor – was wandelte diesen Deutschen an? Er zuckte mit den Achseln und band das vom Blutverlust gerötete Tuch fester um den verwundeten Arm.

Oben harrte Klärchen mit ängstlicher Spannung an der Brustwehr des Vorplatzes. Sie hatte Robert ausziehen sehen mit seiner kleinen Schar, war an den Rand des Höllenschlundes geeilt und hatte den Kampf unten im Thale mit angesehen, so weit es die Pulverwolken gestatteten, welche die Kämpfenden verhüllten. Dann flog sie in fieberhafter Erregung wieder an die vordere Brüstung, um die Zurückkehrenden zu erspähen, sobald sie nur aus dem Walddunkel hervortraten. Würde Robert unter ihnen sein? Wie schlug ihr Herz! Endlich! Die ersten erschienen; es wurden Verwundete geführt, einer auf einer Bahre getragen – Gott sei Dank, es war nicht Robert! Da plötzlich tauchten französische Uniformen auf – es waren Gefangene, die von Freischärlern eskortiert wurden, und hinter ihnen der Ersehnte!

Oben am Vorthor erwartete sie ihn; sie wagte nicht, sich ihm zu nähern; aber sie stand da mit gefalteten Händen, wie zum Dankgebet für seine Errettung, und in ihren Augen leuchtete helle Freude. Doch wie erschrak sie, als er Plötzlich düsteren Blicks auf sie zutrat und mit einer vor Erregung zitternden Stimme ihr zurief, indem er auf den französischen Offizier deutete, der eben durchs Thor geführt wurde: „Kennst du diesen da?“

In der That, sie kannte ihn, doch es war wie ein Traum.

Der Maler – ein Franzose, in der Uniform der Landesfeinde?

Wie schmachvoll hatte Leontine sie getäuscht! Sie schrak zusammen und preßte die Hand aufs Herz. O, wenn Robert sie weiter für schuldig hielt, da gab es ja keine Verzeihung mehr!

„Landesverräterin!“ Es war ein Flüsterwort, das er ihr ins Ohr raunte, aber kein stürmischer Zornesausbruch hätte sie so niedergeschmettert. Mit einer Gebärde des Abscheus ließ er sie stehen.



Ein stürmischer Abend – zerrissenes Gewölk hing über den Bergen, lagerte auf den Wäldern; mit den Wolkenfetzen trieb der Sturm sein Spiel, wirbelte sie zusammen und auseinander.

Im Burghof des Kynast flackerten die Wachtfeuer hin und her und warfen gespenstige Schatten an die Mauern. Und zog nicht über die Zinne und den Turm mit dem flatternden Gewölk ein langer Schattenzug? Die tapfern Ritter der alten unheimlichen Sage, die von der Mauerwand herab in den Abgrund stürzten – zeichneten sich nicht ihre verschwebenden Gestalten ab im Nebelgewölk? Dröhnte es nicht, wenn der Sturm die Steine loslöste, wie der spukhafte Hufschlag der ins Gebiß knirschenden Rosse, welche der gähnende Schlund herniederzog? Und vor allem – flog’s nicht in Turmeshöhe wie ein flatterndes Gewand dem Abgrund zu? Das war sie selbst, die gnadenlose Kunigunde, von ihren Opfern herabgelockt in die unheimliche Tiefe.

Das waren Träume, die auch Roberts Sinne umgaukelten, als er bald in die hin und her zitternden Flammen, bald in den sternenlosen Abendhimmel blickte. Sternenlos – so sah es auch in seinem Innern aus.

Sein Major war von Schreiberhau angekommen; er hatte durch das Agnetendorfer Thal dem Kynast einige Verstärkungen zugeführt, da der Feind die alte Burg bedrohte. Jetzt war er damit beschäftigt, die neuen Mannschaften einzuquartieren; bei den engen Räumen mußten Strohschütten unter freiem Himmel nachhelfen. Die Bivouacfeuer sorgten für Erwärmung und Nahrung. Vor allem aber wollte der Major den französischen Offizier verhören, der in Gefangenschaft geraten war und vorher in der Burg sein Wesen getrieben hatte. Und dieses Verhör sollte öffentlich vor sich gehen, in der Mitte der Freischaren.

Hauptmann Edmond de Granville wurde vorgeführt. Es mochte ein Zufall sein, daß man ihm die Stelle anwies, wo früher die Staupsäule stand, an der die Verbrecher von dem Burgvogt gezüchtigt wurden. Er trug den Arm in der Binde; sein ritterlicher Anstand nahm die jungen deutschen Kämpfer für ihn ein. Der Major begann seine richterliche Thätigkeit mit Fragen, die, solange sie die Herkunft des Angeklagten und seine militärischen Verhältnisse betrafen, prompt beantwortet wurden.

Nach dem Anlaß zu seinen früheren Besuchen der Burg gefragt, berief sich Edmond auf seine Studien als Maler. Der Major ließ das nicht gelten; wenn er nicht als Spion auf die Burg gekommen sei, so möge er einen triftigen Grund anführen. Da erhob sich Robert.

„Herr Major, ich muß befürchten, daß er, um sich zu rechtfertigen, andere in seine Schuld verwickeln wird, deren Namen hier vor uns allen zu nennen schon eine schwere Kränkung wäre.

Ich möchte bitten, in einem geheimen Verhör –“

„Herr Kamerad,“ unterbrach ihn Edmond, „fürchten Sie nichts! Weder jetzt noch wenn ich allein dem Richter gegenüberstehe, wird irgend ein Name über meine Lippen kommen.“

Da trat ein Unteroffizier heran und meldete dem Major zwei Damen, die in Sachen des gefangenen Offiziers de Granville wichtige Enthüllungen machen wollten – sie hätten sich nicht abweisen lassen. Der Major zuckte die Achseln und lächelte.

„Nun meinetwegen! Ins Bivouac gehören zwar bloß die Marketenderinnen; doch wenn sich die Damen nicht scheuen, uns einen Besuch zu machen – sie mögen eintreten!“

Und Leontine erschien gleich darauf, stürmisch eintretend – den zerknitterten Hut hielt sie in der Hand; ihr aufgelöstes Gelock hing ihr um die Schultern, von denen der Mantel herabgeglitten war. Ihre Augen hatten ein wildes Leuchten. Der festgeschlossene Mund verkündete einen nach inneren Kämpfen gefaßten Entschluß. Die Nächsten traten einige Schritte von ihr zurück, alle blickten auf sie, erstaunt, verständnislos. Nur Edmond

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0223.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2017)