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Ständchen aus luftiger Höhe.
Nach einer Originalzeichnung von H. Haase



Schon einmal hatte sie Edmond vergebens auf die Burg bestellt. Der alte Herr von Rohow, der Vater jenes Kurt, den sie in den Krieg geschickt, war zum Besuch gekommen, ein Nachbar, doch ein seltener Gast, hochgeehrt im Land umher. Sie mußte ihrem Vater beistehen, die Pflichten der Gastfreundschaft zu erfüllen, und durfte das Haus nicht verlassen. Der Alte mit den Silberhaaren fühlte sich so behaglich und plauderte so gemütlich – es nahm kein Ende! Ihre Ungeduld verwandelte sich fast in Wut; sie stampfte mit dem Fuße auf, ehe sie in den Salon trat, wo die beiden saßen, und setzte das Tablett so hart auf, daß Flaschen und Gläser durcheinanderklirrten. Doch der Alte war militärfromm; er hatte keine Nerven, er lächelte nur vergnügt über das Ungeschick des Schloßfräuleins. Der Vater unterdrückte eine Strafpredigt; sie wußte aber, daß er später eine andere servieren würde.

Als sie dann auf ihrem Stuhl am Fenster saß und beobachtete, wie die Sonne allmählich hinter den Bergen hinabstieg und der Himmel immer röter wurde, ganz wie das Gesicht des Gastes, der dem Weine tapfer zusprach, konnte sie sich kaum fassen. Ein schöner Tag verloren, unwiederbringlich verloren! Nur einmal horchte sie aufmerksam hin und die Wolke auf ihrer Stirn schien sich einen Augenblick zu zerstreuen.

Der alte Rohow erzählte von den Heldenthaten seines Kurt, der mit seinen Husaren ein feindliches Geschütz erobert und die Bedienungsmannschaft niedergehauen hatte. Doch er selbst blieb unverwundet. Soweit er sich in diesen Kämpfen auch hervorgewagt, die Vorsehung, die über den Häuptern derer von Rohow mit besonderer Sorgfalt wachte, hatte ihn in ihren Schutz genommen. Leontine konnte nicht umhin, sich nach dem Freunde Kurts, dem jungen Friedrich, zu erkundigen, und erfuhr zu ihrer Beruhigung, daß auch diesem noch keine Kugel, kein Säbelhieb etwas zuleide gethan. Es war das einzige Mal, daß sie sich in das Gespräch mischte – dann saß sie wieder stumm und starr und einige galante Annäherungsversuche des alten Herrn wies sie fast unhöflich zurück.

Ob Edmond wiederkommen würde, wenn sie ihn zum nächsten Abend auf die Burg einlud? Da war sie frei, den Vater hatte der alte Rohow zu einer Whistpartie eingeladen; die neu angeknüpfte Freundschaft sollte befestigt werden. Eine gefährliche Freundschaft; denn die ritterliche Zärtlichkeit, die der würdige Herr ihr beim Abendessen wiederum bewies, hatte etwas Väterliches. Er dachte wohl gar daran, bald die Rolle des Schwiegervaters zu spielen! Das brachte ihr Blut aufs neue in Wallung. Kurt hatte wohl im letzten Feldbrief von seiner leidenschaftlichen Liebe gesprochen, und es war den Rohows gewiß sehr genehm, wenn sie den schönen Familienbesitz an sich reißen konnten, Darum lächelte sie der Alte so liebenswürdig an. Viertausend Morgen guter Weizenboden außer Wald und Wiesen – das verlohnte schon ein Lächeln! – Pfui, sie läßt sich nicht verkaufen!

Doch auch die Zusammenkünfte auf der Burg konnten so nicht fortdauern, es wurde immer schwieriger, sich dort zu sehen.

Und vor allem – ihre Liebesleidenschaft empörte sich gegen den beständigen Zwang, gegen all das Verstohlene, Halbe. Immer heißer wurde ihr Sehnen nach Freiheit und schrankenloser Hingebung – ja Kunigunde, das wilde Burgfräulein, konnte dem Ritter, der den kühnen Ritt gewagt und glücklich vollendet, nicht mit größerem Entzücken ans Herz sinken als sie ihrem Edmond droben – doch es war nur ein kurzer Rausch, die Warnung, die Störung verkümmerten jedes Glück! O, wie zog sie’s in die Ferne! Sie sah träumend ins Abendrot.

In aller Frühe ging ihr Bote am nächsten Tag nach Hermsdorf und noch vor Mittag hatte sie die erfreuende Zusicherung, daß der Geliebte nochmals ihrer harren werde. O, er war kein verdrießlicher deutscher Bär – er murrte nicht, er liebte sie wahrhaft, er fühlte und wußte, daß sie unschuldig war an jeder Verkümmerung eines Glückes, das sie selbst so heiß ersehnte wie er.



Die Abfahrt des alten Barons von Wallwitz zur Whistpartie bei seinem Freund Rohow verzögerte sich: der Verwalter erschien, als das Anspannen schon bestellt war, mit der wichtigen Mitteilung von einem großen Diebstahl in den Scheuern, und es galt, schleunige Maßregeln zur Ergreifung des Diebes zu treffen. Der Landgendarm klirrte mit seinem Säbel die Treppen herauf und hinab; dies Geklirre versetzte Leontine in nervöse Aufregung; immer kam er wieder mit einem neuen im Hof aufgegriffenen Zeugen. Endlich rasselte der Wagen aus dem Hofthore. Leontine warf rasch ihren Staubmantel über. Stürmisch schritt sie durch die Wälder des Burggürtels, ohne des steilen Aufstiegs zu achten.

Fast atemlos kam sie oben auf dem Vorplätze an, da fand sie Klärchen in Thränen.

„Was ist vorgefallen?“

„O, ich bin so unglücklich!“

„Närrchen, das wird nicht so schlimm sein – etwas Liebeskummer? Das kannst du mir nachher erzählen. Jetzt führe mich zu ihm!“

„Er ist nicht mehr hier!“

Leontine fuhr auf. „Nicht möglich! Bin ich zu spät gekommen, oder hat er nicht auf mich gewartet wie sonst?“

„Ach, das ist eine böse Geschichte und mir selbst ist’s dabei am schlimmsten ergangen! Wärst du doch nur hier gewesen, da wäre wohl alles anders gekommen! Du hättest bekannt, vor aller Welt bekannt, daß du ihn liebst!“

„Als ob ich das könnte, du weißt ja, daß dies ein tiefes Geheimnis bleiben muß.“

„Doch wenn mir dadurch mein Lebensglück gerettet worden wäre –“

„Dafür soll ich das meinige in die Schanze schlagen? Ich sehe dich gern glücklich, aber mit meinem Unglück will ich dein Glück nicht erkaufen! Dazu bin ich nicht großmütig genug.

Aber sprich endlich, was ist geschehen?“

„Der Maler war den ganzen Nachmittag und Abend hier auf der Burg. Mein Vater hatte schon seit einiger Zeit ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0221.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2017)