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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

für dich ist ein Brief gekommen, den ich dir nicht mehr nachschicken konnte, eine Verlobungsanzeige – rate –“

„Wie kann ich das?“

„Nun, Emma v. Zobel mit einem Premierlieutenant v. Lattwitz. Soviel ich weiß, sind die Lattwitze die reinen Kirchenmäuse, und die Zobels haben doch auch nichts als den großen Gehalt des Vaters.“

„Sie hat Mut,“ sagt Edith, „sie liebt ihn gewiß sehr.“

„Schöner Mut das, den Mann unglücklich zu machen mit der eigenen anspruchsvollen Persönlichkeit! So ein verwöhntes Ding, die Ma!“

Daheim angelangt, sagt Edith beim Erblicken des Blumenkörbchens sofort, sie könne Rosen nicht riechen, und giebt damit das Signal zu einer furchtbaren Scene. Das junge Mädchen hat noch nicht den Staubmantel ausgezogen, sie knöpft ihn hastig wieder zu. „Ich sehe ein,“ sagt sie mit bebenden Lippen, „du weißt alles! Vermutlich war er selber so indiskret, dir zu erzählen, daß ich mich ihm, sozusagen, an den Hals geworfen habe? Aber, wenn auch – ich erkläre dir hiermit –“

„Du hast ihn animiert zu – zu dem, was zwischen euch vorgekommen?“ fragt Tante Tonette atemlos; es ist wie ein Aufschrei.

„Ja! ja! ja!“ ruft Edith, „aus Thorheit, aus Langweile und weil du mir immerzu nur von Wartau vorgepredigt hast! Und ich will ihn nicht, und ich liebe ihn nicht! Ich habe nur, gleichviel aus welchem Grunde, mit ihm gespielt – er ist mir viel zu alt und viel zu unelegant, und ich mache mir gar nichts aus Wartau, und – und –“

Sie wird unterbrochen von Tante Tonette, die sie an der Schulter packt und schüttelt wie ein junges Bäumchen. „Du ehrvergessenes, du entartetes Geschöpf!“ keucht sie. „Einen Menschen so weit zu treiben, daß er seine brave Frau verstößt, und hinterher zu erklären, mit ihm gespielt zu haben!“

„Ich sehe meinen Irrtum ein, es thut mir ja furchtbar leid! und ich habe das Vertrauen, dir dies zu sagen, also hilf mir,“ verteidigt sich Edith.

„Seit wann siehst du diesen Irrtum ein?“

„Seitdem ich Edi ganz unverhofft in Luzern wiederfand.“

„Also der? Großer Gott, um diese Null, um dieses Nichts von einem Menschen!“

„Ich weiß nicht, ob er eine Null ist, ich weiß nur, daß ich ihn liebe.“

„Und er dich?“

„Ja!“

„Habt ihr euch das gesagt?“

„Mit Worten nicht, leider nicht.“

„Nun, das ist wenigstens vernünftig; denn Edi Waldenberg kann doch vorläufig keine Frau ernähren, und auf den Tod des Bruders hin wird er sich als anständiger Mensch kaum verloben wollen.“

„Es ist noch lange nicht so schlimm, wenn man auf den Tod eines hoffnungslos Kranken wartet, als wenn man einen Lebendigen aus seinen Rechten drängen hilft – wie du!“

„Edith“ – Fräulein Tonette ist außer sich – „wage es nicht, wage es nicht, weiter zu sprechen, ich warne dich! Ueberlege, was du redest!“

„Ich will Mohrmann nicht! Er mag sich seine Christel wieder holen! Und wenn du es ihm nicht sagst, so sage ich es; ich habe keine Lust, hier in Wartau zu versauern!“ Sie reißt den Staubmantel wieder auf und wirft sich wie ein schmollendes Kind in den nächsten Sessel.

Tante Tonette geht stumm aus dem Zimmer; sie ist am Ende mit ihrer Weisheit, sie droht zu ersticken vor Zorn. Wenn sie nur wenigstens weinen könnte, aber auch das ist ihr versagt in diesem Augenblick, wo alles, was sie vom Leben noch erhoffte, in armseligen Scherben zu ihren Füßen liegt. Sie verwünscht ihren Einfall, das Kind fortgeschickt zu haben, sie verwünscht den Edi Waldenberg, sie ist einfach fassungslos. Aber einen Weg, Edith zur Vernunft zu bringen, sieht sie nicht, sie kennt den Wartauschen Charakter – unberechenbar! Das Einzige, was sie noch thun kann, ist, morgen früh noch einmal in aller Ruhe mit Edith zu sprechen und zu versuchen, ihr die Lage klar zu machen, ihre jammervolle Lage, wenn sie dieses Glück zurückweist. Hoffentlich sieht Edith nicht eher Mohrmann unter vier Augen, als bis sie selbst mit dem Mädchen noch sprach.

Und der Zufall kommt der alten Dame zu Hilfe. Noch spät bringt der Diener eine Karte von Anton Mohrmann; sie lautet, er kehre erst morgen abend heim, sei mit Herrn Namann nach Drottlingen gefahren, wo ein Transport Ackerpferde bei einem als ziemlich reell bekannten Pferdehändler eingetroffen sei.

Tante Tonette atmet auf; sie wundert sich zwar, daß Mohrmann es fertig bringt, nicht sofort zu Ediths Füßen zu stürzen, und seine Abwesenheit gestern, sein langes Fortbleiben heute verursacht ihr ein gewisses unbehagliches Gefühl, aber trotzdem – Zeit gewonnen, alles gewonnen!

Edith kommt am andern Morgen erst gegen elf Uhr zum Vorschein und thut völlig unbefangen; sie ist über Mohrmann zur Tagesordnung übergegangen.

„Wo willst du eigentlich bleiben bis zu deiner Verheiratung mit Edi Waldenberg?“ fragt Tante Tonette sehr ruhig vom Fenster her, wo sie mit einer Handarbeit sitzt.

Edith stutzt, zur innersten Genugthuung der alten Dame, und sieht sich wie hilfesuchend im Zimmer um.

„Die Gastfreundschaft von Herrn Mohrmann kannst du doch unmöglich noch ferner annehmen, und wer weiß, wie lange es dauert, bis Franz Waldenberg stirbt? Vorher könnt ihr ja doch nicht heiraten.“

Edith schweigt, sie ist ganz blaß geworden.

„Na, du wirst das ja mit ihm überlegt haben,“ meint die Tante. „Ich weiß keinen Rat und erwarte nur, was du bestimmst, denn ich gehe zu Josepha ins Stift. Aber für dich ist dort leider kein Platz, du bist eben keine Wartau. – Ich denke, du nimmst so lange irgend eine Stelle an.“

Edith fährt von ihrem Stuhle empor und ihre Augen funkeln zu der kleinen Dame hinüber, die innerlich kochend, aber äußerlich mit klassischer Seelenruhe an dem groben weißwollenen Strickzeug weiter schafft.

Statt der Antwort nimmt das junge Mädchen ihren Hut und geht hinunter in den Park.

Es ist ein herrlicher Tag und nicht zu heiß; es weht ein leiser warmer Wind und am tiefblauen Sommerhimmel sind glänzende weiße Wölkchen. Der ganze Garten ist voll Sonnenschein und Rosenduft – ach, welch köstliche Rosen! Noch nie ist der alte Park ihr so reizend erschienen. Sie wandert im Schatten der hohen Buchenhecke und setzt sich auf die Steinbank neben dem bezopften Schäfer, der eine Nymphe umschlungen hält.

Vor ihr liegt das Schloß, ein stattlicher Bau, er ist ihr noch nie so imposant erschienen, und dort über der Thür grüßt das große in Sandstein gemeißelte Wappen der Wartaus. Ja, wenn das noch Familieneigentum wäre! Und eine Enkelin dieses stolzen Hauses soll in Dienerstellung auf eine ungewisse Zukunft warten? So sagte ja eben Tante Tonette. Gräßlich! Aber, was denn sonst? Diese ruhige, strickende Tante hat so recht, leider so recht!

Aber sie kann nicht, nein, sie kann Mohrmann nicht heiraten, jetzt nicht mehr, jetzt nicht! Ach, Frau Christel hatte die Wahrheit gesprochen, als sie sagte: „Wer so über Liebe redet wie Sie, Fräulein Edith, der kennt sie noch gar nicht.“ – Aber, wenn Edi arm bleibt, dann – es geht einfach nicht! Ach, dieser Franz Waldenberg – es ist ihm doch nur eine Qual, das Leben – warum stirbt er nicht? Edith gönnt ihm ja doch nur Erlösung, wenn sie wünscht, daß das Unausbleibliche rascher komme.

Sie sitzt ihrer Tante beim Essen wie ein Steinbild gegenüber, und nach Tische leidet es sie nicht länger im Hause; sie stiehlt sich heimlich fort und wandert nach Altwitz. Es ist ihr, als ob sie bei ihrer Reisegefährtin Frieden finden könnte in ihrer Not.

Die alte Gräfin empfängt sie sehr freundlich; sie sitzt mit vollstem Behagen auf der Veranda hinter dem Hause und wird nicht müde, den Garten zu bewundern.

„Sehen Sie nur, liebe Edith, so grün und traut ist’s doch nirgends! Wie hat man seine alte Scholle wieder so lieb, wenn man einmal fern war. Ja, man sollte wirklich schon deshalb

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0215.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2020)