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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Kaiserthron unmöglich gemacht. „Wohl bedarf Deutschland,“ hieß es in einer besonders maßvollen, „einer kräftigen Centralgewalt, welche der Größe, Würde und dem Bedürfnisse der Nation entspricht; aber wir wollen keinen Diktator, keinen sich der Nation aufdrängenden König der Deutschen, kein Parlament in Berlin ohne Zustimmung der Nation.“ Der heilige Zorn über das zwecklose Blutvergießen in den Straßen Berlins, welcher Freiligraths ‚Lied der Amnestierten‘ „Berlin“ durchbebt, wurde von vielen geteilt, die eine „deutsche Republik“ als unausführbare Utopie verwarfen. Auf der ersten großen Volksversammlung der Württemberger, welche am 26. März unter dem Vorsitze Murschels viele Tausende zu Göppingen am Fuße des Hohenstaufen vereint sah, klang der gleiche zornige Ton durch Johannes Scherrs „Gruß der Schwaben an die Männer von Wien und Berlin“ wie durch Ludwig Pfaus „Lied von einem deutschen König“, die beide unter stürmischem Beifall zur Verlesung gelangten – und doch nahm dieselbe Versammlung auf Antrag A. Weissers den Entwurf der „Siebener“-Kommission an, der neben dem Parlament eine monarchische Centralgewalt vorsah. Für diesen Verfassungsentwurf trat auch mit Wärme der Stuttgarter „Beobachter“ ein, bis dahin das gemeinsame Organ der schwäbischen Liberalen. Neben Weisser führte die Redaktion desselben jetzt Hermann Kurz, dessen demokratische Gesinnung von innigster Vaterlandsliebe beseelt war. Der Dichter, dem wir die lebensvollen, echt volkstümlichen Romane „Schillers Heimatsjahre“ und „Der Sonnenwirt“ verdanken, hatte bis kurz vorher in Karlsruhe gelebt in engem Verkehr mit den Führern der badischen Opposition und hatte gleich Römer den Zusammenhang zwischen dieser und der württembergischen Volkspartei erfolgreich vermittelt. Auch jetzt that er dies; aber von der preußischen Führung wollte er nach der Berliner Märzkatastrophe gleich seinen schwäbischen Gesinnungsgenossen nichts mehr wissen.

Fr. Jucho.
Nach der Lithographie von F. Hickmann.

K. v. Stedmann.
Nach der Lithographie von Ph. Winterwerb.

Jener erste Verfassungsentwurf Welckers, dem auch die badische Kammer ihre Zustimmung gab, schlug ein fürstliches Bundesoberhaupt vor, das von der Bundesvertretung der einzelnen Regierungen auf je drei Jahre gewählt werden sollte. Der Vorschlag war ein Zugeständnis an die einzelnen Dynastien, aber auch ein politischer Fehler, denn er beschwor das Unheil des Wahlkaisertums, an welchem Deutschland in früheren Jahrhunderten so oft und schwer gelitten, aufs neue herauf. Heinrich v. Gagern erkannte dies: er war für ein deutsches Erbkaisertum; für ihn handelte es sich zunächst um ein Provisorium. In diesem Sinne hatte er, kurz nachdem Bassermann in der badischen Kammer den Antrag auf ein Deutsches Parlament gestellt hatte, schon am 28. Februar im hessischen Landtag den Beschluß durchgesetzt, daß für die Tage der Gefahr gleichzeitig mit der Berufung der Nationalrepräsentation die Ernennung eines interimistischen Bundeshauptes erfolgen solle.

Gleich nach der Heidelberger Versammlung hatte der energische Staatsmann seine neue Stellung als Minister benutzt, um direkt bei verschiedenen Höfen eine Verständigung über diese Frage zu erzielen. Sein Bruder Max gehörte der neuen Regierung in Nassau an und gewann den Herzog für den Plan, der nun warm für die Ausführung eintrat. Durch den hessischen General Graf Lehrbach unterstützt, reiste Max v. Gagern mit den entsprechenden Vorschlägen nach Baden, wo diese die beste Aufnahme fanden und v. Porbeck Bevollmächtigter wurde. Der König von Württemberg, jetzt von Paul Pfizer und Römer beraten, folgte am 11. unter der Erklärung, nur Preußen könne die Leitung jetzt übernehmen, doch müsse es zuvor unter die Verfassungsstaaten eintreten. Ein Mitglied der ständischen Opposition von 1833, v. Sternenfels, ward als Vertreter Württembergs der Gesandtschaft beigeordnet. In München, wo König Ludwig I im Begriff stand, zu gunsten seines Sohns Maximilian abzudanken, erlitt die Mission eine Verzögerung, ohne ein Resultat zu erreichen. Dagegen zeigte sich das Ministerium v. d. Pfordten in Sachsen sehr bereitwillig und sandte den süddeutschen Abgeordneten, die schnell nach Berlin weitergereist waren, Karl Biedermann als seinen Vertreter nach. Doch als die Herren am 23. dort anlangten, hatte der König bereits den „schwarz-rot-goldenen Umritt“ vollzogen und erklärt, sein Landtag in Berlin solle den übrigen deutschen Ständekammern Gelegenheit geben, mit ihm das Einheitswerk vorzubereiten. Unter diesen Umständen glaubten die Gesandten von Baden und Sachsen erst neue Weisungen von ihren Höfen nachsuchen zu sollen. Das Verhalten des Königs der Gesandtschaft gegenüber war zurückhaltend, glaubte er doch schon „an der Spitze von Deutschland“ zu stehen. Erst als die Gesandtschaftsberichte von den Höfen seiner „lieben Vettern“ einliefen, als Oesterreich sich „jede einseitige Aenderung der Bundesverfassung“ energisch verbat und in scharfen Worten gegen die Proklamation des Königs vom 21. seinen althistorischen Anspruch auf den „Vorsitz im Deutschen Reich“ wahrte, erkannte er, wie sehr er sich getäuscht hatte. Er bewilligte noch eine „ständische Vertretung“ am Bundestag, wie es auch von Wien aus geschah, ernannte Dahlmann zum preußischen „Vertrauensmann“ in der Verfassungskommission der „Siebzehner“ und ließ apathisch zunächst den Dingen in Frankfurt ihren Lauf.

Robert Mohl.
Nach der Lithographie von F. Hickmann.

Tief niederschlagend wirkte dies negative Ergebnis auf Gagern und seine Freunde. Auch sie hielten jetzt die Ausführung ihres Plans für unmöglich. Wie in Württemberg sprach sich im ganzen deutschen Süden ergrimmt der Unwille über die Berliner „Mißverständnisse“ aus. Die „Deutsche Zeitung“ erklärte: „Daß Preußen die oberste Leitung der deutschen Dinge an sich nehme, daß es sich an die Spitze der politischen Bewegung stelle, daß es mit seiner Politik in der deutschen aufgehe und daß sich dafür Deutschland vertrauend an Preußen anschließe, das waren von jeher die Wünsche aller Patrioten auch in diesem Süden. Es sind unsere Wünsche auch noch. Politische Ueberzeugungen und Grundsätze können sich nicht so leicht durch ein ungelegenes Ereignis ändern. Aber die Wünsche der Massen, der Trieb und die Leidenschaft der Vielen spricht anders als unser politischer Verstand. … Es wird daher eine ganz natürliche Folge sein, daß, während man sonst eine Annäherung an das Einheitlich-Monarchische in der Verfassung Deutschlands für das wünschenswerteste hielt, man jetzt eine Annäherung an das Föderalistisch-Republikanische, an die amerikanische Verfassung anstreben wird.“ Dann ließ Gervinus den Vorschlag folgen, Friedrich Wilhelm IV und sein Bruder Wilhelm, der als vermeintliches Haupt der „Militärpartei“ in den „Märztagen“ dem Volkshaß verfallen war, sollten auf die Krone verzichten zu gunsten von des letzteren Sohn Friedrich, der den neuen Staatsideen zugänglich sei. Der spätere Kaiser Friedrich stand damals im 17. Jahre. Gleichzeitig gab das Blatt aber auch dem Württemberger Robert Mohl das Wort, der gleichfalls ein Erbkaisertum wollte, aber im Hinblick auf den schönen Aufschwung des nationalen Gedankens in Wien einen Reichsregenten aus dem österreichischen Kaiserhaus, etwa

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0207.jpg&oldid=- (Version vom 27.6.2020)