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Ständehaus eingriff, als es zwischen den aus den Vorstädten herandrängenden Arbeitermassen und den Truppen bereits zu blutigen Zusammenstößen gekommen war, erhielt die zielbewußte Selbstbeherrschung der Studenten den Volksaufstand, dem gegenüber der Magistrat und die Bürgerwehr sich machtlos erwiesen, in der Bahn friedlichen Protestes.

Und als am Abend der Rektor Jenull als Abgesandter der „Aula“ in der Hofburg erschien, mit der Bitte der Studenten um Bewaffnung zur Aufrechterhaltung der Ordnung, da wurde er mit seinen Begleitern Zeuge eines Siegs, den so schnell, so voll niemand in Europa erwartet hatte: Metternich dankte ab. Das Erzhaus hatte ihn auf Betreiben der Erzherzogin Sophie und des volksbeliebten Erzherzogs Johann fallen lassen, nachdem diese beiden unter dem Eindruck der drohenden Revolution den Widerstand des Erzherzogs Ludwig, der den schwachsinnigen Kaiser in diesen stürmischen Stunden völlig vertrat, zu überwinden vermocht hatten.

„Die Saalthüren thaten sich auf,“ berichtet Scherr, „und die Abordnungen der Bürgerwehr und der Hochschule wurden hineingerufen. Aus dem Kreise der Erzherzöge, Staatsräte u. s. w. trat Fürst Metternich hervor und ließ sich, zu den Bürgerwehroffizieren gewendet, mit ‚ruhigem Anstand‘ also vernehmen: ‚Es ist die Aufgabe meines Lebens gewesen, von meinem Standpunkt aus für das Heil der Monarchie zu sorgen. Glaubt man, daß das Beharren auf jenem Standpunkte dieses Heil gefährde, so kann es für mich kein Opfer sein, meinen Posten zu verlassen. Sie haben erklärt, nur mein Rücktritt vermöge die Ruhe wiederherzustellen. Ich effektuiere denselben also mit Freuden. Ich wünsche Ihnen Glück zur neuen Regierung, wünsche Oesterreich Glück.‘ – ‚Durchlaucht,‘ entgegnete einer der Bürgeroffiziere, ‚wir haben nichts wider Ihre Person, aber alles wider Ihr System, und darum müssen wir wiederholen: nur durch Ihre Abdankung retten Sie den Thron und die Monarchie. Wir danken Ihnen also für Ihren Rücktritt. Vivat Kaiser Ferdinand!‘ Das Vivat hallte wieder im Saal, scholl in das Vorzimmer hinaus und wurde von dort durch die ganze Hofburg weiter gerufen.“

Kaiser Ferdinand I. von Oesterreich.

Metternich faßte noch einmal, nicht ohne Würde, seine Abdankung in bündige Worte, dann verlor er sich unter den Anwesenden, glitt unbemerkt aus der Burg und suchte heimlich im Palais Liechtenstein Zuflucht, da sein eigenes am Ballplatz von einer erregten Menge umlagert war, ebenso wie sein Landhaus, das noch in der folgenden Nacht vom Pöbel demoliert wurde. In einem Gepäckwagen der Prager Bahn entfloh er aus Wien, wo er 38 Jahre lang nahezu unumschränkt geherrscht hatte. Gleich Louis Philipp und Guizot fand er in London eine Zufluchtsstätte. Und zwei Tage später war durch Kaiser Ferdinand, den jetzt auf einer Umfahrt durch die Straßen von Wien das Volk umjubelte, auch der Sturz des Metternichschen Systems für ganz Oesterreich besiegelt, die Zusage von Preßfreiheit, Volksbewaffnung und einer konstitutionellen Verfassung für sämtliche Kronländer wurde feierlich verkündet. Das Militär war aus den Straßen gezogen und die Aufrechterhaltung der Ordnung in Wien besorgten die Bürgerwehr und die Studentenlegion.

Groß aber war die Wirkung von Metternichs Fall nicht nur auf Wien, auf Oesterreich – es war ein welterschütterndes Ereignis. Ueberall weckte die Nachricht hellen Jubel und kühnes Hoffen im Volke, an den Fürstenhöfen Erschrecken, Erstaunen, auch Aufatmen, nirgends aber wirkte sie so aufreizend wie in den Straßen Berlins, nirgends so niederschmetternd als im Berliner Königsschloß.

A. Fischhof.

A. Schmerling.
Nach der Lithographie von Schertle.

Am längsten hatte es in der preußischen Hauptstadt gedauert, bis der zündende Funke vom Pariser Revolutionsherd zur offenen Flamme ausschlug. Der dumpfen Unzufriedenheit, die sich hier im stillen immer weiteren Kreisen – bis in die Umgebung des Königs – mitgeteilt hatte, fehlte zunächst jedes Organ für gemeinsames Handeln. Erst die Nachrichten von den Vorgängen in Baden, Württemberg, Hessen, Bayern entfachten auch in Berlin einen Adressensturm, der vom 6. März an in täglich stärker anwachsenden Volksversammlungen unter den „Zelten“ im Tiergarten, dann auch vom Rathaus aus in Bewegung gesetzt ward, wo der Magistrat die erste Adresse noch „in Demut ersterbend“ unterschrieb. Friedrich Wilhelm IV nahm diese Petitionen anfangs nicht ernst; er konnte es nicht glauben, daß dem Thron seiner Väter von „seinen lieben Berlinern“ irgendwelche Gefahr drohe. Den Verfassungskonflikt mit den Ständen glaubte er am 5. beim Schluß der Sitzungen des Landtagsausschusses durch die feierliche Zusage periodischer Einberufung des Landtages beseitigt, die Anhänglichkeit „seiner Preußen“ an den Thron durch einen energischen Hinweis auf die drohende Kriegsgefahr und die stolzen Erinnerungen der Befreiungskriege befestigt zu haben. In dieser wiederum sehr „schwungvollen“ Thronrede rief er: „Man muß der Welt zeigen, daß in Preußen der König, das Heer und das Volk dieselben sind von Geschlecht zu Geschlecht!“ Auch die Tumulte, die ihm gleich in den ersten Tagen des März aus Köln und anderen Städten des Rheinlandes, sowie aus Schlesien gemeldet wurden, erschienen ihm noch nicht gefährlich. Die Meldungen des Polizeipräsidenten v. Minutoli, daß sich in Berlin ein bewaffneter Aufstand vorbereite, das Drängen seiner militärischen Ratgeber zu energischem Vorgehen beantwortete er mit halben Maßregeln: er ließ die Wachen verstärken, Volksaufläufe durch Militäraufzüge auseinandertreiben – an den Ernst der Lage glaubte er nicht. Doch gerade diese halben Maßregeln, gegen die sich Prinz Wilhelm, der Bruder des Königs, sehr energisch aussprach, erregten böses Blut in der Bürgerschaft, ohne den Geist der Volkserhebung irgendwie einzuschüchtern. Es entstand eine Stimmung in Berlin, die das völlige Gegenteil von jener Eintracht war, die zur Zeit der Befreiungskriege zwischen König, Heer und Volk in Preußen geherrscht hatte.

Die wirklich ernste Gefahr, gegen die sich Friedrich Wilhelms absolutes Herrscherbewußtsein mit aller Kraft aufrichtete, erblickte dieser in der Aufeinanderfolge der unerhörten Siege, welche die revolutionäre Bewegung der „Mannheimer und Heppenheimer“ mit ihrer Forderung eines Deutschen Parlaments in den deutschen Staaten des Südens und Westens errang. Während dort die Führer des Volks die Ministersessel einnahmen und die „Mannheimer Forderungen“ zu Beschlüssen der Regierungen machten, wußten die Anhänger der Bewegung in der preußischen Rheinprovinz den Oberpräsidenten Eichmann zum Organ derselben zu gewinnen. Hinter den Adressen, die aus Königsberg und Breslau einliefen, sah der König wieder die „Volksaufwühler“ Johann Jacoby und Heinrich Simon am Werke. Und neben die „Mannheimer Forderungen“ war bereits am 5. März, noch bevor Römer, Gagern, Hergenhahn und ihre Gesinnungsgenossen Minister wurden, die „Heidelberger Erklärung“ getreten, in welcher diese Männer nebst vielen anderen – 51 an der Zahl – es als Recht der Nation in Anspruch nahmen, für die baldige Einberufung eines Deutschen Parlaments selber zu sorgen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0187.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2020)