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ist der sogenannte Zahntrost, eine Art Euphrasia. Demnach mußte es auch dazu dienen, Zahnschmerzen zu stillen, und seinem Namen Ehre machen.

Das war also nicht bloß ein Naturspiel, ein gezahntes Blatt, sondern ein wichtiges Anzeichen! – Man darf dreist behaupten, daß die meisten alten Hausmittel auf solchen Faseleien beruhen und die Hälfte der Medizinflaschen an dieser Quelle gefüllt worden ist, sie haben keine andere Signatur getragen.

In anderen Fällen verriet das Kraut die Krankheit, gegen die es zu brauchen war, direkt, z. B. das Schöllkraut, das einen gelben Saft enthielt, die Gelbsucht und die Sommersprossen. Was hätte wohl die Brennnessel anderes angezeigt als das Sodbrennen und das Seitenstechen? – Noch gegenwärtig pflegt die heilsame Brennnessel in der Umgegend von Leipzig vom Volke gesucht zu werden. Besonders merkwürdig und für die Denkungsart des Volks bezeichnend ist das Johanniskraut oder das Hartheu (Hypericum). Es scheint gleichsam aus tausend Wunden zu bluten; die mit zahlreichen Oeldrüsen durchsetzten Blätter erscheinen, gegen das Licht gehalten, durchsichtig punktiert, und wenn man die Blumen, die ebenfalls schwarz punktiert sind, drückt, so tritt ein roter Saft aus. Ein weißes Taschentuch wird rot gefärbt, gerade als ob Blut darauf gefallen wäre. Aus diesem Grunde diente das Johanniskraut nicht bloß als Zaubermittel, sondern vor allem als Wundmittel gegen Blutungen aller Art; auch in Frankreich, wo man die Pflanze Milepertuis, wörtlich: Tausend Löcher, nennt, nahm sie bisher unter allen Heilkräutern die erste Stelle ein.

Es giebt eigene Naturspiele. Zum Beispiel scheinen zwei Pflanzen verwandelte Schlangen zu sein. Bei der einen haben die Samen die Gestalt eines Schlangenkopfes, daher das Kraut auch Natterkopf heißt (Echium); die andere züngelt wie eine Schlange, daher sie auch Natterzunge, Ophioglossum, heißt. Letzteres ist ein Farn, der eine Aehre wie eine kleine platte spitzige Zunge vorstreckt. Von dem Natterkopf, der auch Blauer Heinrich heißt, benutzt man nun folgerecht Wurzel, Kraut und Samen bei Schlangenbissen, indem man ein schleimiges, kühlendes und erweichendes Mittel daraus bereitet; die „Natterzunge“, in Olivenöl gesotten, ist ein Wundmittel wie das Johanniskraut.

Der Leser begreift, eine wie unsichere Führerin die zufällige Aehnlichkeit auf diesem wie auf manchem anderen Gebiete ist und daß man um so mehr Grund gehabt hätte, den redenden Kräutern zu mißtrauen, je deutlicher die Sprache war, die sie führten. Deshalb ist auch die Wissenschaft von der Signatur der Pflanzen gänzlich zurückgekommen. Heutzutage werden die Heilmittel an ihren Wirkungen erkannt; und so wirkt denn zum Beispiel der Fingerhut, der doch auf den Finger zu weisen scheint, weit sicherer auf das Herz als selbst ein Löwenherz, das man gebraten zu Nacht gegessen hat.

Blätter und Blüten.


Zum zehnjährigen Todestag Kaiser Wilhelms I. (Zu dem Bilde S. 133.) Vor zehn Jahren, unter dem unmittelbaren Eindruck der Alldeutschland aufs schmerzlichste erschütternden Trauerkunde von dem Tode Kaiser Wilhelms I, hat Hermann Hidding sein tiefempfundenes Bildwerk „9. März 1888“ entworfen. Dasselbe stellt den entschlafenen Kaiser dar, wie er von zwei Genien in das Reich des Friedens emporgetragen wird. In diesem Kunstwerke kommt trefflich eine eigenartige von Hidding ausgebildete Behandlung der Reliefplastik zur Geltung. Bisher war es bei Reliefdarstellungen üblich, die Figuren einfach als halbierte Körper darzustellen, Hidding ging aber damit vor, die Gestalten aus der gegebenen Fläche derart organisch herauswachsen zu lassen, daß sie in gleicher Weise malerisch wie bildnerisch zur Wirkung gelangen. Erhält ein so behandeltes Relief noch eine bildartige Umrahmung, so macht es in seinen aufs sorgfältigste berechneten Licht- und Schattenwirkungen den Eindruck eines besonders plastisch herausgearbeiteten Gemäldes, ohne indes den Charakter der reinen Skulptur zu verleugnen. Die von uns abgebildete Apotheose Kaiser Wilhelms I wurde neuerdings vom Künstler in karrarischem Marmor ausgeführt und schmückte als eines der schönsten Stücke die plastische Abteilung der vorjährigen Berliner Kunstausstellung.

Hidding war als langjähriger Meisterschüler von Begas einer der Mitarbeiter am Berliner Nationaldenkmal; er hat n. a. die Trophäen- und Wappennischen an den Portalen der Säulenhalle gemeißelt, sowie die schöne Gruppe „Kunst“ auf der Rückseite der Attika. Er wurde am 9. Mai 1863 zu Nottulu bei Münster in Westfalen geboren und hat die Akademien von Düsseldorf und Berlin besucht. P. S.


Die Tasso-Eichen in Rom. (Zu dem Bilde S. 137.) Als vor drei Jahren die dreihundertste Wiederkehr von Torquato Tassos Todestag in Italien feierlich begangen wurde, hat auch die „Gartenlaube“ ihren Lesern ein Bild des tragischen Lebensganges geboten, der am 25. April 1595 im Kloster Sau Onofrio am Monte Gianicolo in Rom sein Ende fand. Hier in der stillen Zelle, die den heutigen Besuchern des Klosters als eine Art Nationalheiligtum gezeigt wird, erlöste der Tod den von schwerer Geisteskrankheit gequälten Mann gerade als seine langersehnte Dichterkrönung auf dem Kapitol erfolgen sollte. Noch heute wird an Tassos Todestag alljährlich von den Mönchen des Klosters dem edlen Sänger der ritterlichen Kämpfe um das Grab des Erlösers eine Seelenmesse gelesen im Beisein einer zahlreichen Gemeinde. Die großen schattigen Steineichen aber, die etwas oberhalb des Klosters an einer Stelle des ehemaligen Klostergartens stehen, über die jetzt der Weg zur Höhe des Janiculusbergs führt, sind nach Tasso benannt; hier war sein Lieblingsaufenthalt in jenen letzten Tagen seines Lebens, unter den Zweigen der einen dieser Eichen, die seitdem von Blitz und Sturm arg mitgenommen wurde, entstanden Tassos letzte Verse.

Kein Deutscher, der in Rom weilt, versäumt den Besuch dieser Stätte. Erhielt sie doch von einem Dichter die Weihe, dessen ergreifendes Schicksal durch Goethes Dichtung uns allen innig vertraut ward. Aber noch ein anderer Ruhm lockt den Fremden zu den Tasso-Eichen auf dem Monte Gianicolo, dessen gartenreiche Anlagen die Tiberstadt im Südwesten malerisch umwallen. Schon Martial rühmte die entzückende Aussicht, welche sich vorn Mons Janiculus aus über das weite herrliche Rom dem Auge bietet, unter den Tasso-Eichen des Klosters San Onofrio, das am westlichen Abhang des Hügels liegt, erhält diese berühmte Aussicht ihren besonderen Charakter durch die Nähe des Vatikans und des Petersdoms, der mit seiner gewaltigen himmelanstrebenden Kuppel jedes andere Bauwerk Roms hoch überragt. Das stimmungsvolle Bild R. Püttners läßt uns die Peterskirche zwischen den Stammen der alten Eichen erschauen, während rechts, nahe der Straße, die Gebäude des Klosters Onofrio sichtbar sind. Die Treppe links, neben welcher die eigentliche, vorn Blitz versehrte Tasso-Eiche steht, führt zur Höhe hinauf, von welcher seit zwei Jahren das großartige Garibaldidenkmal auf die ewige Stadt niedergrüßt.


Ingeborg. (Zu dem Bilde S. 157.) Längst ist die romantische Dichtung, welche der Schwede Esaias Tegnér aus dem Stoffe der altnordischen „Frithjofs-Sage“ gestaltet hat, durch vortreffliche Uebersetzungen ein Gemeingut der Deutschen geworden. Die poesieverklärten Gestalten des kühnen Heldenjünglings Frithjof und seiner Jugendgeliebten Ingeborg, die ein rauhes Schicksal trennt, bis die Gunst der Götter sie endlich doch vereinigt, genießen bei uns kaum eine geringere Volkstümlichkeit als im Heimatlande Tegnérs. Das stimmungsvolle Landschaftsidyll H. Dahls, das uns auf einsamer Felsenklippe die Tochter König Beles zeigt, vergegenwärtigt uns in getreuer Naturaufnahme die meerumspülte Heimat des berühmten Liebespaars. Das kleine Reich König Beles lag zu beiden Seiten des buchtenreichen Sognefjords im norwegischen Kirchspiel Bergen. Noch heute führt der steile Felsvorsprung am Nordwestgestade den Namen „Balderhöhe“ nach dem Tempel des Gottes Balder, der einst auf seiner Höhe stand. Im Schutze dieses Tempels trafen sich die von den Vätern füreinander bestimmten Heldenkinder heimlich, als nach der Väter Tod Ingeborgs hochmütige Brüder dem Freibauernsohn Frithjof die Hand ihrer Schwester versagt hatten. Von seinem Stammgut Framnäs auf der anderen Seite des Fjords kam der kühne Degen des Nachts auf seinem Schiff Ellide zum traulichen Stelldichein. In diese Zeit heimlichen Liebesglücks versetzt uns der Maler. Das läßt uns getreulich der hoffnungsfrohe Ausdruck der edlen Züge der Nordlandstochter erkennen. Ingeborg weiß: ist der Geliebte auch zur Stunde noch fern jenseit der Flut – wenn erst Sterne und Mond am Himmel stehn, wird sein schnelles Schiff ihn herübertragen zu ihr. Zu den Perlen der Dichtung Tegnérs gehört der Gesang, in welchem er uns seines Helden Gefühle bei solch nächtlicher Meerfahrt durch dessen eigenen Mund schildern läßt:

„Leis gehn die Sterne, wie auf Zehen
Der Liebende zum Mädchen schleicht,
Ellid’ fahr’ zu mit Sturmeswehen,
Ihr blauen Wellen tragt sie leicht!
Es grünen dort des Gottes Haine,
Zu guten Göttern ziehn wir hin;
Der Tempel glänzt im Sternenscheine,
Drin thront der Liebe Königin.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0162.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2022)